Vergangenheitsklänge

Modem-Melodie, Telefonwählscheibe & Co.: Die Klänge der Vergangenheit

Die Internetseite Conserve the Sound konserviert Geräusche aus der Vergangenheit. Auch für Historiker sind Geräusche mindestens genauso interessant und nützlich wie Bilder. Denn akustische Reize wecken ebenso Erinnerungen wie optische.
Von Jennifer Buchholz mit Material von dpa

Die Vergangenheit kann mit Geräuschen wieder auferleben Die Vergangenheit kann mit Geräuschen wieder auferleben
Bild: conservethesound.de
Tagelang hat Jan Derksen als Kind "Super Mario" gespielt. Nun hält er seine alte Konsole in der Hand. Doch das einstige Hightech-Gerät ist in die Jahre gekommen. Einige Tasten des Controllers klemmen und die Klappe für die Spiele quietscht laut. Für einige ist dies ein Entsorgungs­grund. Doch für Jan Derksen ist dies ein Erinnerungsstück, das vor allem durch seine Geräusche wieder auferlebt. Diese Geräusche hat Derksen in sein Online-Archiv für verschwindende Geräusche hochgeladen um sie dort zu erhalten.

Mit dieser Vorliebe ist der 33-Jährige nicht allein. Gemeinsam mit seinem Freund und Geschäftspartner Daniel Chun hat er das Projekt Conserve the Sound auf die Beine gestellt. Sie bezeichnen sich selber als Geräusche-Retter und haben mittlerweile 120 verschiedene Geräusche gesammelt und hochgeladen. Zu den Werken zählen unter anderem das Klappern von Schreib­maschinen, das Rattern einer alten Schmal­filmkamera oder das sanften Schleifen einer Fensterkurbel im Auto. Damit diese Geräusche nicht in Vergessenheit geraten und bald ganz verschwunden sein könnten, sammeln die beiden Männer diese Sounds. Genauso wie das schrille Quietschen von Finger­nägeln auf der Tafel oder das markante Piepen eines Internetmodems.

Geschichte besteht aus Bildern und Tönen

Die Vergangenheit kann mit Geräuschen wieder auferleben Die Vergangenheit kann mit Geräuschen wieder auferleben
Bild: conservethesound.de
"Seit Jahrhunderten dokumentiert die Menschheit ihre Geschichte in Bildern. Doch auch den Ton festhalten, das können wir erst seit wenigen Jahrzehnten", sagt Karl Karst, Vorsitzender der Initiative Hören. Viel Wissen ist deshalb verloren gegangen: Über die Laute von längst ausgestorbenen Tierarten zum Beispiel, aber auch über die Stimmen von antiken Künstlern oder den Klang alter Waffen. "Doch auch heute werde unsere akustische Welt kaum konserviert", sagt Karst. "Wir dokumentieren unsere optische Welt, aber was oft fehlt: Wie klingt denn das?"

Dabei hätten Geräusche mitunter eine viel eindringlichere Wirkung als visuelle Signale. "Klänge wirken körperlich sehr intensiv", sagt Holger Schulze, Professor für Sounddesign an der Humboldt-Universität in Berlin. "Ohne dass uns das bewusst ist, können Klang­erinnerungen auch körperliche Erinnerungen abrufen. Wir erinnern uns dann nicht nur an ein Geräusch, sondern an eine ganze Lebensumgebung. So kann sogar ein Liebeslied alte Erinnerungen an den Geruch des Ex-Partners hervorrufen. Auch das Knallen von Feuerwerkskörpern können den traumatisierten Soldaten mental in die Situation eines erlebten Gefechts zurück bringen."

Geräusche aus der Jugend

Die meisten Geräusche im Conserve-the-Sound-Archiv stammen von Geräten aus Derksens Jugend. Jahrelang lagerten die klangvollen Maschinen und Apparate in seinem Keller. Nun sind sie in einem grauen Schrank in seinem Essener Büro zu finden: Von der elektrischen Schreibmaschine, auf der er seine ersten Schularbeiten tippte, bis zum Walkman, mit dem er seine selbst aufgenommenen Kassetten abspielte - und so selbst seine Umwelt aufzeichnete.

Vom Telefonklingeln bis zur Startmelodie der Spielekonsole werden alle Geräusche gesammelt Vom Telefonklingeln bis zur Startmelodie der Spielekonsole werden alle Geräusche gesammelt
Bild: conservethesound.de
In den 1970er Jahren gab es die ersten wissenschaftlichen Versuche die Geräuschwelt zu dokumentieren und zu bewahren, erzählen die Akustik-Experten. Ein Team von Wissenschaftlern um den Komponisten und Klangforscher R. Murray Schafer zog durch Kanada und Europa, um dort den Wandel der Geräuschkulisse zu dokumentieren. Schafer vertritt die Ansicht, dass Landschaften deshalb nicht nur sichtbar sondern auch hörbar seien.

"Das gelte auch für Deutschland", sagt Karl Karst. "Alleine durch die Auflösung der DDR seien tausende von einzigartigen Geräuschen aus unserer Kultur und unserem Alltag verschwunden. Wie zum Beispiel der Klang der Glocken an den DDR-Bahnschranken".

Wie klingt die Vergangenheit?

Die US-Historikerin Emily Thompson gilt als eine der wenigen, die sich mit dem Klang der Vergangenheit auseinander gesetzt hat. Hierzu hat sie mit alten Filmaufnahmen in einer Art Online-Museum die Geräuschkulisse der wilden 1920er in Manhattan aufgebaut. Diese Zeit war bekannt für ihren Geräuschpegel. Denn damals beschwerten sich die Einwohner von New York in Briefen an den Bürgermeister über die Lärmbelästigung durch Radios und die Bauarbeiten an New Yorks zahlreichen Wolkenkratzern.

Auf Jan Derksens und Daniel Chuns Homepage erinnern bisher nur zwei Aufnahmen an die 1920er Jahre in Deutschland: Das schwerfällige Klappern der schwarz-goldenen Schreibmaschine "Urania" und das Rattern und Knarzen einer Taubenuhr, einem kleinen Holzkasten, mit dem man früher bei Taubenrennen die Zeiten maß.

Einige wichtige Geräusche aus Derksens eigener Jugend fehlen noch in der Sammlung, sagt er. "Sowas wie das Nokia-Klingeln, die Tetris-Melodie oder das Tamagotchi-Piepen. Die sind Urheberrechtlich geschützt." Diese Geräusche allerdings dürften immerhin von den Herstellern archiviert sein - und sind somit noch nicht ganz verschwunden.

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