Funkzellenauswertung

Generalverdacht: Berliner Polizei späht massenhaft Handys aus

Komplette Funkzellenauswertung in allen Netzen bringt Polizei in Erklärungsnot
Von mit Material von dapd

Berliner Polizei spähte massenhaft Handys aus Berliner Polizei spähte massenhaft Handys aus
Foto: teltarif.de
Die Berliner Polizei steht in der Kritik: Bei ihrer Suche nach Brandstiftern soll sie in großem Umfang Handydaten unbeteiligter Bürger ausgewertet haben. Das geht aus Dokumenten der Ermittler hervor, die das Portal netzpolitik.org am Donnerstag veröffentlichte. Eine Bestätigung stand zunächst aus. Die neun Din-A-4-Seiten galten in Polizeikreisen nach dapd-Informationen jedoch als "vermutlich authentisch". Grüne und Piraten wollen den Fall am Montag im Innenausschuss ansprechen.

Berliner Polizei spähte massenhaft Handys aus Berliner Polizei spähte massenhaft Handys aus
Foto: teltarif.de
Konkret geht es um einen Vorfall im Oktober 2009 im Stadtteil Friedrichshain, bei dem in der Nacht ein Fahrzeug brannte - laut den veröffentlichten Ermittlungsunterlagen des Landeskriminalamtes mit "geringem Sachschaden". Im selben Jahr hatte eine Studie der Innenverwaltung bestätigt, dass der betroffene Abschnitt entlang der Rigaer Straße ein Schwerpunkt der linksextremen Szene sein soll.

Das überwachte Gebiet liegt zwischen Weberwiese, Petersburger Platz, S-Bahnhof Frankfurter Allee und Grünberger Straße und bietet viele Clubs und Restaurants. Außer den Daten der Anwohner sind also mit ziemlicher Sicherheit auch die Funkdaten zahlreicher Besucher mit erfasst worden. Denn bei einer Funkzellenauswertung können auf richterliche Anweisung alle ins Netz eingebuchten Mobiltelefone und ihre Besitzer erfasst werden, auch wenn gerade keine Kommunikation über Telefon oder SMS erfolgt.

Antrag der Staatsanwaltschaft: "Eilt! Datenverlust droht!"

Das überwachte Gebiet rund um die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain Das überwachte Gebiet rund um die Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain
Karte: Google Maps
Im Internet veröffentlicht wurde am Donnerstag auch ein Antrag der Staatsanwaltschaft ("Eilt! Datenverlust droht!") sowie ein Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten. Die Mobilfunkkonzerne wurden demnach angewiesen, "sämtliche Verkehrsdaten und Verbindungsdaten" von 13 Funkzellen in dem dicht bewohnten Gebiet zu übermitteln. Die Daten sollten ein klar definiertes Zeitfenster von 75 Minuten abdecken. Das staatsanwaltliche Schreiben enthält übrigens einen interessanten Hinweis, nach dem die Mobilfunkunternehmen sich gegenüber der Polizei schon mehrfach geweigert haben sollen, die geforderten Daten herauszugeben.

Die Berliner Polizei wollte sich am Donnerstag zunächst nicht zu den Dokumenten äußern. Ein Sprecher gab auch keine Auskunft darüber, in welchem Umfang die sogenannte Funkzellenauswertung bei Ermittlungen nach Autobränden generell angewandt werde. Die Frage, wie viele Handynutzer von der Übermittlung ihrer Verbindungsdaten betroffen gewesen sein könnten, blieb zunächst ebenfalls offen. Indirekt soll die Polizei aber zugegeben haben, dass außer Rufnummer und Standort auch Name, Anschrift und Geburtsdatum erfasst worden sein sollen. Der Berliner Datenschutzbeauftragte will die Zulässigkeit der Maßnahme überprüfen.

Piratenpartei: "Massiver Eingriff in die Grundrechte der Berliner"

Die Berliner Grünen sahen "erheblichen Aufklärungsbedarf". Der innenpolitische Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, Benedikt Lux, forderte mit dem Instrument der Funkzellenauswertung sensibel umzugehen. Die Abfrage greife in die Rechte tausender Unbeteiligter ein, "weil deren Daten notwendigerweise mit erhoben werden", mahnte Lux. Pauschale Abfragen, die nicht auf einzelne Verdächtige begrenzt sind, dürften nur "im absoluten Ausnahmefall" zugelassen werden.

Auch die Berliner Piratenpartei hat die mögliche massenhafte Auswertung von Handydaten scharf verurteilt. "Das ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte der Berliner", sagte der innenpolitische Sprecher der Piratenpartei im Abgeordnetenhaus, Christopher Lauer, der Nachrichtenagentur dapd. Lux und Lauer kündigten an, den Vorfall am Montagvormittag im Berliner Innenausschuss zu thematisieren. Bislang ist kein Fall bekannt geworden, wo eine Funkzellenauswertung tatsächlich zur Ergreifung von Tätern geführt oder Straftaten verhindert hat.

Dutzende Autobrände in der Hauptstadt

Lauer erinnerte zudem daran, dass in Berlin in den vergangenen Jahren dutzende Fahrzeuge brannten - und das auf viele Stadtteile verteilt. "Wir werden Innensenator Frank Henkel deshalb auch fragen, ob diese Ermittlungsmethode in Berlin nach Autobränden in Serie ging und flächendeckend angewendet wurde", sagte der Pirat. Henkel sei "gut beraten, jetzt alles auf einen Schlag offenzulegen".

Zuletzt waren die Behörden in Sachsen in die Kritik geraten, weil sie massenhaft Verbindungsdaten auswerteten. 2011 hatten sie nach Krawallen bei Protesten gegen Neonazi-Aufmärsche mehr als eine Million Handydaten erfasst - auch von unbeteiligten Demonstranten, Journalisten und Politikern. Die Enthüllung dieses Vorgangs machte bundesweit Schlagzeilen und löste Empörung bei Datenschützern aus.

Die Netzaktivisten sprachen am Donnerstag nach dem Veröffentlichen der Berliner Unterlagen auf der eigenen Seite davon, die Aktion in Dresden sei "nur die Spitze des Eisbergs" gewesen. Bei "Netzpolitik" hieß es dazu: "Ist die Vorratsdatenspeicherung einmal da, werden die Daten auch freizügig verwendet."

Weitere umstrittene Maßnahme: "Stille SMS"

Ebenfalls umstritten ist die Ermittlungsmethode über den unbemerkten Versand von Handy-Ortungsimpulsen - so genannter Stiller SMS. In insgesamt 778 Ermittlungsfällen haben die Polizeibehörden von Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 insgesamt 2 644 Anschlussinhaber überwacht. Dabei wurden 255 784 Ortungsimpulse verschickt, um den Standort verdächtiger Personen zu ermitteln. Verfassungsschutz und Polizei in Hamburg haben 2011 insgesamt 134 706 stille SMS an mindestens sieben Handy-Nutzer versandt.

Mehr zum Thema Ermittlungen