EU-Initiative

So will die EU gegen Missbrauchsdarstellungen kämpfen

War es das bald mit der vertrau­lichen Kommu­nika­tion über WhatsApp & Co.? Die EU-Kommis­sion will nun einen Geset­zes­vor­schlag im Kampf gegen Miss­brauchs­dar­stel­lungen vorlegen. Bürger­rechtler fürchten, das digi­tale Brief­geheimnis könnte ausge­hebelt werden.
Von dpa /

Fotos miss­brauchter Kinder fluten Teile des Netzes. Die Zahl erfasster Darstel­lungen sexu­ellen Miss­brauchs in Deutsch­land nahm 2021 im Jahres­ver­gleich um mehr als 100 Prozent auf knapp 40.000 zu. "Europa ist mitt­ler­weile zu einem Dreh­kreuz für den Handel mit Miss­brauchs­dar­stel­lungen geworden", sagt die Miss­brauchs­beauf­tragte der Bundes­regie­rung, Kerstin Claus, der Deut­schen Presse-Agentur. Wenn man sich den Anstieg der Fälle ansehe, stelle sich die Frage, "ob wir den gigan­tischen Mengen, die im Internet ange­boten werden, über­haupt noch etwas entge­gen­setzen können".

Die EU-Kommis­sion will es versu­chen und diesen Mitt­woch einen Geset­zes­vor­schlag im Kampf gegen Darstel­lungen sexu­ellen Miss­brauchs im Internet vorlegen. Doch inwie­weit recht­fer­tigt der gute Zweck den Eingriff in die private Kommu­nika­tion der Bürger?

Aktu­elle Über­gangs­lösung läuft nach drei Jahren aus

Eine Justizbeamtin zeichnet beispielhaft die Aussage eines Missbrauchsopfers im Childhood-Haus auf Eine Justizbeamtin zeichnet beispielhaft die Aussage eines Missbrauchsopfers im Childhood-Haus auf.
picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild
Face­book, Google & Co. haben Privat­nach­richten ihrer Nutzer bis zum Dezember 2020 frei­willig nach Miss­brauchs­dar­stel­lungen gescannt. Dabei suchten sie nach Bildern, die etwa durch frühere Ermitt­lungen bekannt und mit einer Art digi­talem Finger­abdruck, einem soge­nannten Hash, versehen worden waren. Treffer wurden an das US-Zentrum für vermisste und ausge­beu­tete Kinder NCMEC gegeben, wo sie geprüft und gege­benen­falls an die Behörden wie dem Bundes­kri­minalamt (BKA) geschickt wurden. Ab Ende 2020 fehlte dafür in der EU jedoch zeit­weise die recht­liche Grund­lage. Hier ging die Zahl der Hinweise dem NCMEC zufolge zunächst um 58 Prozent zurück.

Deshalb einigten sich die EU-Staaten und das Euro­papar­lament vor rund einem Jahr auf eine Über­gangs­lösung, die nach spätes­tens drei Jahren ausläuft. Seitdem dürfen die Platt­formen die Nach­richten ihrer Nutzer wieder auf Hashes scannen. Nun fällt aller­dings auch das Aufspüren soge­nannter Groo­mings unter die Regeln, worunter man das Heran­machen von Erwach­senen an Kinder im Netz versteht. EU-Innen­kom­mis­sarin Ylva Johansson will eine dauer­hafte Lösung vorschlagen.

Für die Unter­nehmen könnte eine Pflicht zum Scannen kommen

Die Details des Vorschlags sind noch unklar. Die Rich­tung gibt Johansson jedoch schon länger vor. Sie werde ein Gesetz vorschlagen, das "die Unter­nehmen verpflichtet, den sexu­ellen Miss­brauch von Kindern zu erkennen, zu melden und zu entfernen", sagte sie im Januar der "Welt am Sonntag". Frag­lich ist unter anderem, ob sich diese Pflicht auf bekannte Darstel­lungen beschränkt. Auch das Aufspüren von Groo­ming könnte in irgend­einer Form verbind­lich werden. Außerdem dürfte die Kommis­sion vorschlagen, ein EU-Zentrum zum Kampf gegen Kindes­miss­brauch zu schaffen. Über die Vorschläge verhan­deln dann die EU-Staaten und das Euro­papar­lament.

Großer Wider­stand: "Chat­kon­trolle wäre anlass­lose Massen­über­wachung"

Bürger­rechtler sind alar­miert. Im März schrieben 47 Orga­nisa­tionen einen Brand­brief an EU-Kommis­sions­chefin Ursula von der Leyen und Innen­kom­mis­sarin Johansson. Unter­zeichnet hat auch der Verein Digi­tale Gesell­schaft, dem Tom Jennissen ange­hört. Er warnt davor, dass künftig jede etwa über WhatsApp verschickte Nach­richt von den Unter­nehmen gescannt werden könnte. Dies sei ein "ganz massiver und unver­hält­nis­mäßiger Eingriff in die Kommu­nika­tion" und wider­spreche allen rechts­staat­lichen Grund­sätzen, sagt er der dpa.

Jennissen befürchtet, dass auf Grund­lage eines Gene­ral­ver­dachts sogar in verschlüs­selte Kommu­nika­tion einge­griffen werden könnte. Johansson hat dagegen bereits deut­lich gemacht, was für sie schwerer wiegt: Natür­lich seien Daten­schutz und Verschlüs­selung wichtig, sagte sie der "Welt am Sonntag". "Aber der Fokus muss in erster Linie auf dem Schutz der Kinder liegen." Anstelle eines Gesetzes, das womög­lich gericht­lich gekippt werde, brauche es mehr Präven­tion und eine bessere Ausstat­tung der Behörden, fordert dagegen Jennissen.

Auch der FDP-Euro­paab­geord­nete Moritz Körner betont, der Kampf gegen Kinder­por­nografie dürfe nicht als Vorwand miss­braucht werden, "um eine noch nie dage­wesene Zerstö­rung unserer Privat­sphäre" zu recht­fer­tigen. "Die Chat­kon­trolle wäre eine anlass­lose Massen­über­wachung." Auch Körner fordert eine bessere Ausstat­tung der Polizei, der EU-Behörde Europol und mehr Koope­ration der EU-Staaten.

Befür­worter setzen auf Technik gegen Verbrei­tung im Netz

Für eine weit­gehende Filter-Pflicht setzt sich etwa die US-Stif­tung Thorn zum Schutz von Kindern ein. Thorn entwi­ckelt selbst Filter, die nicht nur bekanntes Miss­brauchs­mate­rial finden, sondern auch neues. Zudem arbeitet die Stif­tung an einem Instru­ment zum Aufspüren von Groo­ming. "Unter­nehmen müssen recht­lich befugt sein, ziel­gerich­tete digi­tale Tech­nolo­gien einzu­setzen, um die virale Verbrei­tung von sexu­ellem Kindes­miss­brauchs­mate­rial auf ihren Platt­formen zu unter­binden", fordert Thorn.

Die Miss­brauchs­beauf­tragte Claus begrüßt grund­sätz­lich, dass der Vorschlag der EU-Kommis­sion einen verbind­lichen Rechts­rahmen für den Austausch und die Zusam­men­arbeit der EU-Staaten schaffen werde. Die Viel­zahl gemel­deter Fälle führe dazu, dass Straf­ver­fol­gungs­behörden seit Jahren an der Belas­tungs­grenze arbei­teten. Ein EU-Zentrum zur Bekämp­fung von Kindes­miss­brauch könne "zum Beispiel Meldungen von Kinder­por­nografie vorsor­tieren und dann zur Straf­ver­fol­gung an die entspre­chenden EU-Länder weiter­ver­teilen". "Das wäre nicht nur eine Entlas­tung für die Mitglied­staaten, sondern würde die Arbeit auch effek­tiver machen, die Straf­ver­fol­gung beschleu­nigen und damit ermög­lichen, künftig mehr Verfahren erfolg­reich abzu­schließen."

Einen Eingriff in verschlüs­selte Nach­richten sieht selbst der Kinder­schutz­bund kritisch. "Verschlüs­selte Kommu­nika­tion spielt bei der Verbrei­tung von Miss­brauchs­dar­stel­lungen kaum eine Rolle", sagt Joachim Türk aus dem Bundes­vor­stand der dpa. "Wir halten deshalb anlass­lose Scans von verschlüs­selter Kommu­nika­tion für unver­hält­nis­mäßig und nicht ziel­füh­rend." Wie es nach dem Vorschlag der EU-Kommis­sion weiter­geht, dürfte auch von der Bundes­regie­rung abhängen. SPD, Grüne und FDP verspre­chen im Koali­tions­ver­trag "ein Recht auf Verschlüs­selung".

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