US-Lauschangriff: Weitere europäische Spitzenpolitiker betroffen
Der US-Lauschangriff beeinflusst den EU-Gipfel
Bild: dpa
Nach dem vermuteten US-Lauschangriff auf Kanzlerin
Angela Merkel sucht Europa empört nach starken Antworten. Die
Forderungen reichen von einer Unterbrechung der
Freihandelsgespräche
mit den USA bis hin zum Aufkündigen von Daten-Abkommen mit den
Amerikanern. Beim EU-Gipfel kritisierte Merkel nach dem Vorwurf, der
US-Geheimdienst NSA habe ihr Handy ausgespäht, die Verbündeten
ungewöhnlich scharf: "Ausspähen unter Freunden - das geht gar nicht."
Das habe sie auch schon US-Präsident Barack Obama bei seinem Berlin-Besuch im Juni gesagt und in einem Telefongespräch am Mittwoch bekräftigt, erklärte Merkel in Brüssel. "Dabei geht es nicht vordergründig um mich, es geht um alle Bürgerinnen und Bürger." Das Vertrauen müsse "jetzt wieder neu hergestellt werden." Mehrere Staatenlenker zeigten sich mit Deutschland solidarisch.
Der US-Lauschangriff beeinflusst den EU-Gipfel
Bild: dpa
Andere EU-Länder sind ebenfalls empört
Mit dem französischen Präsidenten François Hollande will sich Merkel in der Affäre um die NSA-Überwachung eng abstimmen. Nach Angaben aus Delegationskreisen in Brüssel sind sich Deutschland und Frankreich in der Beurteilung der Vorfälle weitgehend einig. Merkel und Hollande trafen sich am Rande des Gipfels. Nach Medienberichten spionierte die NSA auch Personen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Frankreich aus. Laut einem neuen Bericht des Guardian überwachte der US-Abhördienst die Telefonkommunikation von 35 internationalen Spitzenpolitikern.
EU-Parlamentschef Martin Schulz verlangte, die Gespräche mit Washington über eine Freihandelszone auszusetzen. "Ich glaube schon, dass wir jetzt mal unterbrechen müssen", sagte der SPD-Politiker. "Das ist kein Arbeiten auf gleicher Augenhöhe."
Die EU verhandelt mit Washington seit Sommer über die Schaffung der weltgrößten Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern. Experten hoffen auf bis zu zwei Millionen neue Arbeitsplätze. Das EU-Parlament redet in der Handelspolitik mit, weil es den Pakt billigen muss.
Österreichs Vizekanzler Michael Spindelegger betonte: "Man kann besonders zwischen befreundeten Ländern nicht einfach jemand anderen abhören, Daten absaugen, verarbeiten, ohne dass es dafür wirklich eine gemeinsame Grundlage gibt." "Dieses systematische Ausspionieren ist nicht hinnehmbar", sagte Belgiens Regierungschef Elio Di Rupo. "Es sind nun europäische Maßnahmen nötig." Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte: "Ich habe keine Hinweise, dass ich abgehört werde" - und fügte hinzu, dass man da nie sicher sein könne.
Europa stoppt SWIFT-Abkommen wegen NSA-Affäre
Bereits am Vortag hatte das Europaparlament die Kündigung des Swift-Abkommens gefordert, das den US-Geheimdiensten seit 2010 den gezielten Blick auf Kontobewegungen von Verdächtigen in Europa erlaubt. Auch der in Belgien ansässige Finanzdienstleister Swift, der Überweisungen von Bankkunden weltweit abwickelt, soll im Visier der NSA gewesen sein.
Auf dem offiziellen Programm des zweitägigen Gipfels stehen die Internetwirtschaft, die Bankenunion und das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, kam zum Abendessen. Die Notenbank pocht darauf, dass sich die Mitgliedstaaten umfassend auf neue Banken-Stresstests im kommenden Jahr vorbereiten. Neue milliardenschwere Hilfsmaßnahmen könnten nötig werden, wenn Institute bei den Tests durchfallen.
Die frischen Lausch-Enthüllungen geben auch der Datenschutzreform neuen Schwung, über die die EU seit Anfang 2012 diskutiert. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso verwies auf diese Pläne, die Europas Bürgern mehr Rechte an ihren Daten im Internet - etwa gegenüber US-Konzernen wie Google und Facebook - geben sollen. "Wir sehen das Recht auf Privatsphäre als ein Grundrecht an. (...) Das ist sehr wichtig, nicht nur für Deutschland." Er erinnerte an die Erfahrungen mit der Stasi in der damaligen DDR.