Breitbandmessung: Schwerer Nachweis für lahmes Internet
Wer seinem Internetanbieter nachweisen will, dass das Netz zu langsam ist, sollte sich sehr viel Zeit dafür nehmen
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Langsames Internet nervt viele Kunden. Beschwerden verhallten allzu oft im Kundenservice-Dschungel. Das neue Telekommunikationsgesetz bietet (theoretisch) eine Handhabe. Doch die Beweisführung ist eine echte Herausforderung für den frustrierten Kunden.
Langsames Internet zur Hauptsendezeit
Wer seinem Internetanbieter nachweisen will, dass das Netz zu langsam ist, sollte sich sehr viel Zeit dafür nehmen
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Wer sein Internet über einen Kabel-TV-Anbieter bezieht, wer in einem Mietshaus mit alten oder schlecht gewarteten Koax-Kabel-TV-Systemen wohnt, wo es vielleicht noch zu stark überbuchten "Clustern" kommen kann, kennt das Problem: Da kann es passieren, dass "zur Hauptsendezeit" das Internet in die Knie geht oder komplett aussteigt. Aber auch bei älteren DSL-Installationen und neuerdings sogar bei Glasfasernetzen oder besonders via Mobilfunk kann es leicht passieren, dass die versprochene Geschwindigkeit zeitweise nicht geliefert wird, weil Teile des Netzes vor Ort schlicht und ergreifend überlastet sind.
Seit heute stellt die Bundesnetzagentur das neue Desktop-PC-Tool mit dem Namen "Breitbandmessung" zur Verfügung, damit Kunden dem eigenen Anbieter nachweisen können, dass die Internet-Leitung "schlecht" ist.
Mit deutscher Gründlichkeit
Deutschland geht gründlich vor. Also werden nur die Messungen über die App vom Portal www.breitbandmessung.de anerkannt. Mess-Angebote von anderen Internetportalen oder Testzeitschriften beispielsweise sind außen vor.
Erster Schritt: Der PC-Nutzer muss sich eine App herunterladen und soll dann damit Messungen durchführen.
Zunächst dürfen die AGBs abgenickt werden: "Die Breitbandmessung Desktop-Applikation (im Folgenden "Desktop-App" oder "Angebot") ist ein Angebot der zafaco GmbH (im Folgenden: "Anbieter"). Im Rahmen des Angebots werden Daten erhoben, um zuverlässig Aussagen bezüglich der zur Verfügung stehenden Datenübertragungsraten treffen zu können. Die Datenschutzpraxis des Anbieters steht im Einklang mit der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)." So weit, so klar.
App kann geladen werden
Die notwendige App steht auf www.breitbandmessung.de bereit, ist schnell heruntergeladen und installiert. Sie läuft wahlweise unter Windows 8, 10 oder 11. Es gibt auch eine Version für macOS (ab Version 10.12) und selbst eine speziell für Linux (diese läuft dann unter Ubuntu ab Version 16.04 oder unter Debian ab Version 8).
App noch nicht vollständig?
Kurioserweise kennt die App (noch?) nicht alle Markt-Tarife, man kann aber die Tarifeckdaten auch selbst editieren. Die speziell von der Telekom angebotene "Hybrid"-Technik, wo Festnetz und Mobilfunk miteinander verkoppelt werden, um als Nutzer steinalter Kupferleitungen in den Genuss höherer Bandbreiten wie LTE-Mobilfunk zu kommen, kennt sie kurioserweise noch nicht, die webbasierte Vorgängerversion kannte sie schon.
Vor dem Start müssen viele Fragen beantwortet werden
Vor der ersten Messung gibt es erst einmal ausführliche Hinweise und Regeln zu beachten.
Breitbandmessung - Screenshot teltarif.de
Bevor es losgehen kann, muss ein umfangreicher Kriterienkatalog beantwortet werden. Neben der Frage nach dem Tarif wird auch der Name des Anbieters und die Postleitzahl (bitte kein Postfach) des Testers abgefragt, weitere Daten wie Postadresse, Telefonnummer oder E-Mail sind nicht darunter.
Strenge Restriktionen
Vor jeder Messung müssen die Häkchen neu gesetzt werden. Insgesamt 30 mal.
Grafik: Breitbandmessung / Screenshot: teltarif.de
Die App stellt klar: Der PC oder Laptop muss per LAN-Kabel direkt am Router angeschlossen sein, eine WLAN-Verbindung ist nicht erlaubt. Weitere LAN-Verbindungen am Router müssen getrennt sein, auch die WLAN-Funktion im Router ausgeschaltet sein. Ein parallel laufendes Smart-Streaming (z.B. über einen Receiver) - ausschalten. Energiesparmodi? Bitte ausschalten, auch die können bremsen. Mehrpersonen-Haushalt? Während der Messungen gibt es kein Internet - basta. Homeoffice? VPN-Einstellungen und diesbezügliche Verbindungen sind zu trennen.
Und schließlich: Ist das Datenvolumen des gebuchten Tarifs ausreichend? Wäre ja peinlich, wenn die langsame Geschwindigkeit vom gedrosselten Datenverkehr her käme.
30 Messungen an drei Tagen, mit einem Tag Pause
Nach spätestens 13 Tagen und 8 Stunden sollte alles vorbei sein.
Grafik:Breitbandmessung Screenshot: teltarif.de
Und nun kommts: "Führen Sie an drei unterschiedlichen Kalendertagen jeweils 10 Messungen durch, wobei zwischen den einzelnen Messtagen jeweils ein zeitlicher Abstand von mindestens einem Kalendertag liegen muss. Zwischen der fünften und sechsten Messung eines Messtages ist darüber hinaus ein Abstand von mindestens 3 Stunden einzuhalten und zwischen allen anderen Messungen eines Messtages ein Abstand von mindestens 5 Minuten."
Das bedeutet: Wenn Sie mit schlechtem Internet gestraft sind, dürfen Sie sich Urlaub nehmen, nur um mathematisch wissenschaftlich exakt Ihrem Anbieter zu beweisen, dass sein Internet nichts taugt.
Der Lohn des Verzichts
Und die App gibt Hoffnung: "Nach erfolgreichem Abschluss der Messkampagne wird ein Messprotokoll erstellt. Dieses enthält eine Aussage über ggf. vorliegende erhebliche, kontinuierliche oder regelmäßig wiederkehrende Abweichungen mit Blick auf die vertraglich vereinbarten Datenübertragungsraten getroffen."
Auch Einzelmessungen möglich
Zum Glück kann die Mess-Serie jederzeit abgebrochen werden, auch Einzelmessungen ("einfach mal schauen") sind möglich.
Am Anschluss des Autors ist alles in Ordnung, dort kommen im Download mehr MBit/s an, als der Tarif hergeben müsste, auch der Upload ist deutlich besser. Nach einer Messung kündigt das Tool an, in 5 Minuten die nächste Messung 2/10 Messungen durchzuführen, danach ist dann ein Tag Pause. Für die gesamte Kampagne gibt das Tool 13 Tage, 8 Stunden und 16 Minuten an. Das ist aber nicht die gesamte Messdauer, sondern innerhalb dieser Zeit müssen die Messungen abgeschlossen sein. Sie müssen also nicht Ihr Feldbett neben dem Computer aufschlagen und eine Kiste Getränke und Essen bereit stellen.
Besonders ärgerlich: Jede einzelne Messung muss von Hand erneut angestoßen werden, also PC und App starten und dann vielleicht für ein paar Tage das Haus verlassen, fällt flach. Den Computer oder das Internet können Sie in dieser Zeit nicht anderweitig benutzen, weil es ja die Messung "stören" könnte. Und jedes Mal müssen die Häkchen neu gesetzt werden, dass alle Vorgaben erfüllt wurden. Jedes Mal.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Diese aktuelle Breitbandmessungs-App ist wieder ein typischer Fall von "gut gemeint, aber..."
Klar, wenn es nachprüfbare vergleichbare Ergebnisse geben soll, müssen bestimmte Spielregeln sein. Es ist nun mal so, dass WLAN-Verbindungen mit zunehmender Funkfrequenzbelegung durch Kinderspielzeug, Tastaturen, Mäuse, andere Router im Haus gegenüber oder der Wohnung darunter mit zunehmender Entfernung beliebig schlecht werden können.
Also darf es nur ein LAN-Kabel zwischen Router und PC/Laptop sein. Ob aber ein geplagter Kunde zwischen mindestens fünf und maximal 13 Tage. 8 Stunden und eine Handvoll Minuten, sein Internet daheim "sperren" kann oder will, nur um zu beweisen, dass der Anbieter ein Problem hat, darf stark bezweifelt werden. Und das alles nur, um vorzeitig aus einem 24-Monatsvertrag rauszukommen, dessen Leistung vorübergehend oder dauerhaft nicht das einhält, was versprochen wurde.
Eine App, die einfach gestartet wird und unauffällig im Hintergrund misst, könnte schon einigen Aufschluss bringen, ohne dass der Nutzer tagelang vor dem PC gefesselt bleibt.
Die eindeutig bessere Lösung wäre schlicht und ergreifend eine generell monatliche Kündigungsfrist gewesen. Der Kunde könnte dann leicht sagen "gefällt mir nicht" und gehen. Der Anbieter hätte auch was davon: Seine Kundenhotline müsste sich nicht mit dem Kunden herumschlagen, um ihm am Ende dann doch ziehen lassen zu müssen. Wenn in einem Hochhaus oder einer Siedlung auf einmal die Mehrzahl der Kunden "flüchtet", spätestens dann dürfte dem Anbieter doch klar werden, dass hier etwas zu tun ist.
Eigenheimbesitzer, Vermieter und Hausverwaltungen sollten sich schon einmal darauf einstellen, ihre Internetzugänge samt Hausverkabelung auf den Prüfstand zu stellen, und wo immer möglich, am besten durchgehend auf Glasfaser umzurüsten oder wenigstens genügend Leerrohre für künftige Umrüstungen der Internet-Versorgung vorzusehen.
Die Anbieter sollten sich besser Gedanken über stabile zuverlässige Netze zu fairen, nachvollziehbaren Preisen machen, anstatt pausenlos Lockvogel-Billig-Angebote mit allerlei Zugaben zu bewerben, die nach wenigen Monaten richtig teuer werden können und nur den Kunden frustrieren.
Kunden und Verbraucherschützer haben lange gekämpft, seit 1. Dezember gelten neue Regeln für Verbraucherverträge. Automatische Vertragsverlängerungen um ein ganzes Jahr sind auch bei Bestandskunden tabu.