Urteil

Online-Durchsuchung: Welche Schutz genießen Daten auf dem PC?

Bundesverfassungsgericht fällt Mittwoch seine Entscheidung
Von dpa / Björn Brodersen

Nicht zum ersten Mal wartet die Politik auf Karlsruhe. Doch selten war die Spannung so groß. Wer wird nicht alles auf das Bundesverfassungsgericht blicken, wenn es am kommenden Mittwoch sein Urteil zur Online-Durchsuchung verkündet: der Bundesinnenminister wegen seiner Gesetzespläne, die Bürgerrechtler aus Furcht vor dem Überwachungsstaat, die Polizei im Kampf gegen die mit dem Internet hantierenden Terroristen. Und die gesamte Computergemeinde, weil sie längst ihr ganzes Leben auf der Festplatte gespeichert hat.

Dabei geht es formal gesehen eigentlich nur um einige Paragrafen, an deren Überleben sowieso niemand glaubt. Das nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz, das erstmals in Deutschland die Online-Durchsuchung erlaubte, ist wohl zu vage formuliert, um den Anforderungen zu genügen. Als bei der Anhörung im Oktober ein NRW-Vertreter seine eigenwillige Lesart des Gesetzes präsentierte, reagierte Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier mit der ungläubigen Frage, "ob wir noch vom gleichen Gesetz sprechen".

Doch politisch gesehen ist dieses NRW-Gesetz ohnehin nur Nebensache. Im Mittelpunkt steht Innenminister Wolfgang Schäubles Vorhaben, dem Bundeskriminalamt (BKA) neue Kompetenzen zur Gefahrenabwehr einzuräumen. Und zwar einschließlich der von BKA-Chef Jörg Ziercke so eindringlich angemahnten Befugnis, heimlich Computerfestplatten durchsuchen zu dürfen. Auch andere Bundesländer warten auf Karlsruhe: Bayern ist mit einem Kabinettsentwurf zur Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz schon vorgeprescht. In Baden-Württemberg streiten Justiz- und Innenminister noch über die Befugnis für die Polizei.

Welchen Schutz genießen Daten auf dem persönlichen Rechner

Verfassungsrechtlich geht es um eine wirklich große Frage: Welchen Schutz genießen die Daten auf dem persönlichen Rechner? Feder führend in dem Verfahren ist Wolfgang Hoffmann-Riem. Es wird eines seiner letzten Urteile vor der Pensionierung Ende März sein. Mag sein, dass der Verfassungsrichter - 25 Jahre nach der höchstrichterlichen "Erfindung" des Datenschutzes - ein liberales Vermächtnis hinterlässt: ein neues Grundrecht auf vertrauliche Nutzung des eigenen Computers.

Eines allerdings wurde in der Anhörung am 10. Oktober überdeutlich: Online-Durchsuchung ist ein schwammiger und bisweilen irreführend gebrauchter Begriff. Eigentlich ist damit die heimliche Komplett-Kopie der Festplatte mit Hilfe eines eingeschleusten Trojaner-Programms gemeint. Das ist aber jedenfalls nicht das wichtigste Anliegen von Polizei und Verfassungsschützern. Sie wollen an die Kommunikation ran - Mails, Telefonate, Datentransfers.

Sicherheitsbehörden haben ein Problem

Denn die Sicherheitsbehörden haben neuerdings ein Problem: Was sie bisher mit der ganz normalen und tausendfach eingesetzten Telekommunikations-Überwachung (TKÜ) abfangen konnten, geht ihnen mit dem Vormarsch der verschlüsselten Internet-Telefonie (VoIP) verloren. Mit der "Quellen-TKÜ", die das Internet-Telefonat an der unverschlüsselten Quelle im Computer abfängt, wollen sie den technischen Rückstand wieder aufholen. Doch auch dazu muss ein "Trojaner" oder ein Sender installiert werden.

Technisch reichen die Möglichkeiten der virtuellen Fahnder aber noch sehr viel weiter. Wer ein leistungsfähiges Spionageprogramm in einen Rechner einschleust, kann jede Tastatureingabe und jeden aufgerufenen Bildschirm protokollieren, kann Kryptoschlüssel und Passwörter klauen und sogar eine im Heimcomputer integrierte Kamera oder ein Mikro aktivieren - das perfekte Überwachungssystem, steuerbar von jedem Punkt der Welt.

Das Karlsruher Gericht wird die verschiedenen Varianten wohl verfassungsrechtlich sortieren müssen. Mit Spannung wird erwartet, welche rechtsstaatlichen Schutzmechanismen der Erste Senat einbaut: Muss ein Richter die Maßnahme genehmigen? Wie müsste eine wirksame Kontrolle beim Verfassungsschutz aussehen? Und wer schützt den unantastbaren Kern der Privatsphäre, der seit dem Lauschangriff-Urteil einen hohen Rang genießt? Nur eines kann sich bisher keiner vorstellen: dass die Richter den Computer ganz zum Tabu erklären.

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