Verbände: Diensteanbieterverpflichtung gegen Frequenzen
Die Mobilfunk-Service-Provider und virtuellen Netzbetreiber in Europa haben sich im MVNO Europe zusammengeschlossen. Gemeinsam mit dem Bundesverband Glasfaser (Buglas), dem Bundesverband Breitbandkommunikation (BREKO) und dem Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) haben sie ein Papier zum Wettbewerb auf Diensteanbieterebene verabschiedet.
Was ist ein MVNO?
In einem Grundsatzpapier fordern die Verbände vollen Zugriff auf alle Mobilfunkprodukte auch für MNVNOs und Service-Provider.
Logos: Verbände, Montage: teltarif.de
Der Begriff MVNO kürzt die Worte "Mobile Virtual Network Operator" ab. Darunter versteht man im Wesentlichen zwei Konstruktionen. In Deutschland sind das die Service-Provider die mit dem Start des GSM-Mobilfunks im Jahre 1992 erstmalig auftraten. Diese Service-Provider haben kein eigenes Netz, sondern verkaufen SIM-Karten und Tarife in den Netzen der bestehenden Mobilfunknetzbetreiber. Dazu bekommen sie (meist) die Original-Tarife des Netzbetreibers minus einen dicken Großhandelsrabatt. Dafür müssen sie sich um die Kundenverwaltung (Werbung, Aktivierung, Händler, Rechnungsstellung, Inkasso, Hotline, Deaktivierung bei Kündigung) selbst kümmern. Der Netzbetreiber ist für diese Kunden nicht zuständig, er kennt sie auch gar nicht.
Viele Namen sind Geschichte
Viele Service-Provider-Namen sind Geschichte. Sie gaben entweder auf oder wurden im Rahmen von Fusionen übernommen, weil sich das Geschäftsmodell für die kleinen Unternehmen oft nicht gerechnet hat. Wer erinnert sich noch an Marken wie "Axicon", "Cellway", "Debitel", "Dekratel", "Dekraphone", "Ford-Mobitel-2000", "Martin Dawes", "Proficom" oder Unicom (heute alle bei Freenet) oder an Drillisch, eteleon, (Motorola)-Telco, oder Victor Vox (heute alle bei 1&1)?
Virtuelle Netzbetreiber
Später kamen die virtuellen Netzbetreiber dazu. Einer der ältesten dieser Art waren in Deutschland die UMTS-Lizenzinhaber Quam und Mobilcom-Multimedia. Sie hatten eine eigene Mobilfunkvorwahl (Quam 01505 und Mobilcom-Multimedia 01566). Ihre SIM-Karten buchten sich in Deutschland in ein bereits vorhandenes Mobilfunknetz ein, in Deutschland war das seinerzeit E-Plus.
Weitere virtuelle Netzbetreiber sind Lycamobile (01521) oder Truphone (01529), beide im Netz von Vodafone. Der Anbieter vistream (spätere Telogic) mit der von E-Plus geliehenen Vorwahl 01570 musste aufgeben. Auch Ring (01575) gibt es nicht mehr (Vorwahl ging zurück an E-Plus/o2). Aktiv sind auch noch sipgate mit der Vorwahl 01579 (im Netz von E-Plus, heute bei Telefónica/o2) oder Lebara (Vorwahlen 015510 und 015511, zu Gast bei Telefónica/o2). Dann gibt es noch weitere teilweise ziemlich unbekannte Anbieter, die eine eigene Vorwahl erhalten haben. Auch satellite.me ist ein MVNO mit einer eigenen Vorwahl (015678), der aber OTT (over the top) arbeitet und somit eine bestehende Internetverbindung (über einen separaten Anbietervertrag) braucht.
Die meisten MVNOs müssen mit existierenden Netzbetreibern Verträge abschließen. Um für die Endkunden attraktiv zu sein, brauchen sie möglichst günstige Einkaufspreise, damit ihre Endkundenpreise möglichst unter den regulären Listenpreisen der Netzbetreiber liegen. In Zeiten von Preissteigerungen und im Gegenzug starken Preisdruck durch zahlungsunwillige Kundschaft ("ist alles viel zu teuer") sind die Netzbetreiber damit nicht glücklich, weil sie fürchten, künftig noch weniger zu verdienen. Preiserhöhungen für Endkunden galten lange Zeit als nicht durchsetzbar.
Neue Technologien - zuerst beim Original
Immer wenn neue Technologien auf den Markt kamen, haben die Netzbetreiber diese Technologien erst einmal ihren eigenen Kunden in teuren "Original"-Tarifen gewährt. Wir erinnern uns an LTE (4G). Erst mit der nahenden Abschaltung der 3G/UMTS-Technologie wurde LTE und später dann auch VoLTE allen Kunden von Service-Providern freigeschaltet.
Nun sind wir im 5G-Zeitalter. Das können interessierte Endkunden aktuell in der Regel nur beim Original-Netzbetreiber in "teuren" Laufzeitverträgen buchen. Bei Vodafone und Telekom geht 5G auch in den Original-Prepaid-Tarifen (bei o2 bislang nicht). Eine Ausnahme stellt der Serviceprovider freenet (teils noch bekannt unter dem bisherigen Markennamen mobilcom-debitel) dar. Hier gibt es auch für freenet-Kunden 5G, wenn dafür ein "Original-Netzbetreiber-Tarif" gebucht wird (z.B. "freenet Magenta Mobil Young 5G" mit 20 GB monatlichem Volumen für aktuell 26,95 Euro, nur die ersten 24 Monate, nur bis 28 Jahre).
Frequenzvergabe kann Wettbewerb fördern
Die genannten Verbände begrüßen in ihrer Stellungnahme die Aussagen der Bundesnetzagentur, dass „im Rahmen der Bereitstellung von Frequenzen der Wettbewerb auf der Diensteebene gefördert werden soll“, nachzulesen im BNetzA-Positionspapier 2022, S.26. Der Begriff "Diensteebene" umfasst nach Rechtsprechung der Bundesnetzagentur sowohl Diensteanbieter (Service-Provider) als auch MVNOs (virtuelle Netzbetreiber).
Sehr zum Leidwesen der Netzbetreiber ist die Bundesnetzagentur bei Frequenzvergaben nach §105 TKG verpflichtet, "wirksamen Wettbewerb zu fördern und Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden". Dabei spielt es keine Rolle, ob eine "beträchtliche Marktmacht" vorliegt, es reicht allein die „Förderung des Wettbewerbs“. Geld für teure Lizenzen, das dann später für den notwendigen Netzausbau fehlt.
Ungleichgewicht bei 5G?
Die Verbände bemängeln ein "eklatantes Ungleichgewicht auf dem gesamten Telekommunikationsmarkt" seit dem Vermarktungsstart von 5G-Produkten durch die deutschen Mobilfunknetzbetreiber vor mittlerweile über drei Jahren.
Nachfragern von 5G-Vorleistungen werde der deutsche Markt durch "die symmetrische Struktur der etablierten Mobilfunknetzbetreiber" verschlossen. Damit würden sich die deutschen Mobilfunknetzbetreiber von unabhängigem Wettbewerb auf dem Mobilfunk-Endkundenmarkt abschirmen und potenzielle Marktzutritte neuer Mobilfunkanbieter verhindern, sowie die Wettbewerbsbedingungen auf dem deutschen Festnetzmarkt verfälschen. Festnetzbetreiber ohne konkurrenzfähige Mobilfunk- und Bundle-Produkte könnten gegenüber den großen Mobilfunknetzbetreibern mit eigenem Festnetzangebot bestehen.
Wirksamer Dienstewettbewerb?
Die Existenz eines wirksamen Dienstewettbewerbs ist aus Sicht der Bundesregierung „von großer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung“, stellt sie in einer Stellungnahme zum Sektorgutachten Nr. 12 der Monopolkommission auf Seite 22 fest. So kommen die Verbände zu dem Schluss, die "wettbewerbsbelebende Funktion" könne der Dienstewettbewerb nur entfalten, wenn Nachfrager die gleichen Konditionen bekämen, was Tarife und Technik betrifft, wie der Eigenvertrieb der Mobilfunknetzbetreiber.
Selbst "über drei Jahre nach dem 5G-Vermarktungsstart" bekämen nachfragende Unternehmen entweder keinen 5G-Zugang oder zu finanziell und technisch diskriminierenden Konditionen angeboten (z.B. geminderte Übertragungsgeschwindigkeit).
Die Monopolkommission analysiert ab Seite 58, dass "eine einheitliche Verschlussstrategie der aktiven Mobilfunknetzbetreiber zusammen mit einer unwirksamen Regulierung" den Wettbewerb außer Kraft gesetzt habe.
Alle deutschen Mobilfunknetzbetreiber seien allesamt auch auf dem Festnetzmarkt tätig und setzten den Vertrieb von Bündel-Produkten (Festnetz und Mobilfunk) als Marktstandard durch. Weil aber der Mobilfunkmarkt für neue Anbieter "abgeschottet" sei, entstehe eine Wettbewerbsverfälschung im Festnetzbereich: Festnetzbetreiber ohne eigenes Mobilfunknetz würden von "jeglichem Wettbewerb auf Augenhöhe" mit den Mobilfunknetzbetreibern ausgeschlossen. Sie könnten keine konkurrenzfähigen Bundle-Produkte anbieten.
Hört die Politik auf die Wettbewerbsexperten?
Sowohl die Monopolkommission als auch das Bundeskartellamt hätten die Notwendigkeit einer wirksamen Regulierung betont. Eine MVNO- und Diensteanbieterverpflichtung würde den Wettbewerb fördern, das Kartellamt empfiehlt, die „nächste Frequenzvergabe mit einer "durchsetzbaren Diensteanbieterverpflichtung zu verbinden“.
Die Verbände sind der Ansicht, dass im Regulierungsfall geltende Preisfindungsmechanismen die Einkaufspreise von Nachfragern – egal ob Service-Provider oder Netzbetreiber - die anteiligen Beiträge zu den Frequenz-, Netzausbau- und Netzbetriebskosten der Mobilfunknetzbetreiber umfassen sollten.
So würde jeder Mobilfunkkunde eines Stadtwerks den gleichen Infrastruktur-Kostenanteil wie ein Kunde bezahlen, der direkt beim Mobilfunknetzbetreiber unter Vertrag steht.
Der Wettbewerb solle die Anbieter von "White Label"- und ähnlichen Produkten fördern, weil die "MVNO- und Diensteanbieterverpflichtung" den Vorleistungswettbewerb zwischen MVNOs und Mobilfunknetzbetreibern intensivieren würde. Die Nachfrager von White-Label-Mobilfunkprodukten könnten dann eine größere Auswahl an Vorleistungsanbietern vorfinden. Die könnten dann auch bei MVNOs einkaufen und wären im Hinblick auf 5G-Produkte nicht mehr nur auf die – bisher erfolglose – Nachfrage direkt bei den Mobilfunknetzbetreibern beschränkt.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Die Bedenken der virtuellen Netzbetreiber und Service-Provider sind zunächst verständlich. Die Forderungen könnten im Endeffekt darauf hinauslaufen, dass die Zugangspreise zu Mobilfunkprodukten ähnlich wie im Festnetz z.B. von der Bundesnetzagentur aufwendig reguliert werden müssten. Wenn "Nachfrager" auch bei den MVNOs einkaufen sollen, die wiederum dann bei den Netzbetreibern einkaufen, müssten hier riesige Rabatte eingeräumt werden, damit sowohl der MVNO als auch der Nachfrager und am Schluss der Endkunde diese Preise noch attraktiv finden kann und die Anbieter davon leben können. Ob das in der aktuellen Marktlage funktionieren kann und wird, ist die Frage.
Auch wenn die kompletten Vertragsdetails der Netzbetreiber streng geheim sind, sieht es wohl so aus, dass Service-Provider schon jetzt das "volle Programm" (also auch 5G) haben können, wenn sie bereit sind, dafür den "vollen Preis" zu bezahlen. Der kann unattraktiv sein, wenn man im Endkundenpreis unter den Angeboten der Netzbetreiber liegen will und muss, um für die Kunden attraktiv zu sein.
Die Diensteanbieterverpflichtung könnte aber auch den etablierten Netzbetreibern weiterhelfen. Der aktuell vierte Netzbetreiber hat sich wohl nur deswegen zum Bau eines eigenen Netzes entschlossen, weil er befürchtete, am Arm der bisherigen Anbietern zu "verhungern". Hätte er dann ohne eigenes Netz wieder bessere Chancen?
Selbst wenn die geforderte Dienstebetreiberverpflichtung wirksam umgesetzt wird, wird die nächste Frage auf dem Tisch liegen: Was darf der Spaß kosten? Muss ein Netzbetreiber einen Nachfrager akzeptieren, der einen viel niedrigeren Preis fordert, als der Netzbetreiber zu bieten gewillt ist? Und landet das dann nicht alles wieder bei der Bundesnetzagentur?
Halten wir fest: Die Netzbetreiber sollen Frequenzen möglichst teuer ersteigern und ihre Netze dann möglichst günstig an die Diensteanbieter vermieten müssen. Was passiert, wenn ein Netzbetreiber irgendwann entnervt aufgibt und den Betrieb einstellt oder seinen Netzausbau aus Kostengründen quasi einstellt? Damit wäre auch nichts gewonnen.
Es gibt Beobachter, die der Ansicht sind, dass ein oder zwei Netze im Land ausreichen würden, um eine ordentliche Netzabdeckung hinzubekommen. Das würde Synergien freilegen, um die gewaltigen Netzaufbaukosten finanzieren zu können. Es würde natürlich auch die Neigung fördern, am Ende deutlich höhere Preise zu verlangen, weil es ja dann keine Alternativen mehr gibt. Alles nicht so einfach, wie es scheint.
Ende letzten Jahres wurde von freenet die Marke callmobile eingestampft.