Niedersachsen will rote Laterne bei DAB+ abgeben
Niedersachsen will das Ende von DAB+
Foto: Hama
Da einige Privatradios den Standard nicht wollen, kämpft das Land Niedersachsen derzeit an einsamer Front gegen das Digitalradio DAB+. Nächstes Kapitel dieses Theaters: Am 12. Juni soll nun der Ausschuss für Haushalt und Finanzen des Landtags über den Antrag der FDP beraten, später folgt noch der Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen, ehe es zur Abstimmung ins Plenum geht.
Wie berichtet, wurde zuvor im Unterausschuss "Medien" des niedersächsischen Landtags einstimmig ein Änderungsvorschlag der Regierungsfraktionen zu einem Antrag der FDP-Fraktion beschlossen. Darin fordern die Freien Demokraten den Verzicht auf ein UKW-Abschaltdatum, die Beendigung der Förderung von DAB+ durch den Rundfunkbeitrag, eine "technologieneutrale Ausgestaltung der Radiointeroperabilität" sowie den Ausbau von schnellem Internet in der Fläche zur flächendeckenden Einführung des Internetradios sowie die Verfügbarkeit der für die Radioverbreitung über 5G notwendigen Frequenzspektren für den Rundfunk zur Partizipation des Hörfunks an 5G anstelle von DAB+.
Wachstum statt Akzeptanzlosigkeit
DAB+ verzeichnet, anders als im FDP-Antrag behauptet, seit einiger Zeit starkes Wachstum. In immer mehr Bundesländern dürfen Privatradios digital-terrestrisch auf Sendung gehen. Noch in diesem Jahr ist der Start regionaler Programme im Saarland und Schleswig-Holstein geplant, 2020 soll Nordrhein-Westfalen folgen. In weiteren Ländern wie Rheinland-Pfalz oder Thüringen laufen derzeit intensive Vorplanungen, um DAB+ für den regionalen Markt attraktiv zu machen.
Leidtragende der Polit-Komödie aus Niedersachsen sind die Radiohörer im norddeutschen Bundesland: Sie hätten ebenso wie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Berlin, Hamburg, Bremen, Sachsen oder Brandenburg ein größeres, regionales Programmangebot im terrestrischen Digitalradio verdient.
Zwei Projekte statt Blockadepolitik
Niedersachsen will das Ende von DAB+
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Aktuell hält Niedersachsen mit einer Haushaltsdurchdringung von nur 14,1 Prozent laut Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten die rote Laterne beim Digitalradio. Dabei gab es durchaus gute Ansätze, etwa ein auch international viel beachtetes Projekt der TU Braunschweig zur lokalen Auseinanderschaltung innerhalb eines Multiplex. Der Abschlussbericht zum Betriebsversuch im Innenstadtgebiet von Braunschweig rät zu einem größeren Projekt, um mehr Erkenntnisse darüber zu gewinnen.
Der Ansatz der TU Braunschweig sah vor, dass für die Ausstrahlung lokaler und regionaler Schwerpunkte ein Signal nur auf den jeweiligen Sendeturm geschickt wird, der für die betreffende Region zuständig ist. Von diesem Verfahren könnten beispielsweise Lokalradios profitieren: Sie wären in einem vorhandenen Bouquet nur in ihrem definierten Sendegebiet zu hören, ohne dass hierfür extra ein eigener Multiplex aufgeschaltet werden muss.
Hierfür böte sich der Großraum Hannover/Braunschweig/Hildesheim perfekt an. Hier könnte man nicht nur wie in Schleswig-Holstein die Akzeptanz von neuen Programmangeboten in einem regionalen Bouquet erproben, sondern auch die lokale Auseinanderschaltung. So könnte der Privatsender Radio 21 seine getrennten Fenster für Hannover, Braunschweig und Hildesheim auf einem DAB+-Kanal ausstrahlen, nur für die jeweilige Stadt. Ein weiterer Kanal könnte mit den Lokalsendern Radio Hannover und Radio 38 (Braunschweig) belegt werden oder mit den nichtkommerziellen Angeboten Radio Tonkuhle (Hildesheim) und Okerwelle (Braunschweig).
Ein weiteres Projekt böte sich im Nordwesten an. Hier könnte der Bremer Multiplex im Rahmen einer Zusammenarbeit der Landesmedienstalten auf Standorte in Niedersachsen, etwa Oldenburg, ausgedehnt werden, um die Reichweite zu erhöhen. Auch hier könnte man lokale Auseinanderschaltungen für Bremen und Oldenburg erproben.
Es wäre geradezu grotesk, wenn die niedersächsische Politik all das verhindert, nur weil einige UKW-Privatradios ihre Marktposition verteidigen wollen. Denn letztlich geht es in der Angelegenheit - anders als im FDP-Antrag formuliert - nicht um eine "digitale Radiozukunft" mit Technologien, die noch längst nicht Realität sind und deren kommerzielle Einführung sogar noch offen sind (5G Broadcast). Vielmehr geht es um die Absicherung des durch Frequenzmangel geschützen UKW-Marktes bei gleichzeitiger Verhinderung einer weiteren positiven Entwicklung von DAB+, das sich auch international immer stärker durchsetzt.