Entschärft

EU: Chatkontrolle abgesagt, Verschlüsselung bleibt

Der LIBE-Ausschuss im Euro­päi­schen Parla­ment mit Mehr­heit ein Verhand­lungs­mandat zur Entschär­fung der umstrit­tenen EU-Chat­kon­trolle ange­nommen.
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Heute hat der Ausschuss für bürger­liche Frei­heiten, Justiz und Inneres (LIBE) im Euro­päi­schen Parla­ment mit großer Mehr­heit (51:2:1) ein Verhand­lungs­mandat zum umstrit­tenen EU-Gesetz­ent­wurf zur Chat­kon­trolle ange­nommen. Darauf macht der Euro­paab­geord­nete der Piraten, Dr. Patrick Breyer, aufmerksam.

Gezielte Über­wachung nur bei Verdacht

Das Euro­päi­sche Parla­ment fordert darin, anstatt einer verdachts­losen Massen­über­wachung privater Kommu­nika­tion (Chat­kon­trolle) nur eine gezielte Über­wachung von Einzel­per­sonen und Gruppen bei konkretem Verdacht zu erlauben. Eine Durch­suchung verschlüs­selter Kommu­nika­tion wird dabei ausdrück­lich ausge­schlossen. Statt­dessen sollen Inter­net­diensten verpflichtet werden, ihre Ange­bote sicherer zu gestalten, um die sexu­elle Ausbeu­tung von Kindern im Netz von vorn­herein zu verhin­dern.

Massive Proteste gegen Chat­kon­trolle

Der LIBE-Ausschuss des EU-Parlamentes hat die geplante Chat-Kontrolle entschärft. Der LIBE-Ausschuss des EU-Parlamentes hat die geplante Chat-Kontrolle entschärft.
Foto: Picture Alliance/dpa
Dr. Patrick Breyer, lang­jäh­riger Gegner der Chat­kon­trolle, als Euro­paab­geord­neter der Pira­ten­partei und Schat­ten­bericht­erstatter seiner Frak­tion mit am Verhand­lungs­tisch dabei, ist auf das Ergebnis stolz: „Unter dem Eindruck massiver Proteste gegen die drohenden verdachts­losen Chat­kon­trollen haben wir es geschafft, eine breite Mehr­heit für einen anderen, neuen Ansatz zum Schutz junger Menschen vor Miss­brauch und Ausbeu­tung im Netz zu gewinnen. Als Pirat und digi­taler Frei­heits­kämpfer bin ich stolz auf diesen Meilen­stein. Gewinner dieser Eini­gung sind einer­seits unsere Kinder, die viel wirk­samer und gerichts­fest geschützt werden, und ande­rer­seits sämt­liche Bürger, deren digi­tales Brief­geheimnis und Kommu­nika­tions­sicher­heit garan­tiert wird."

Nicht ganz idealer Kompro­miss

Breyer findet, dass dieser Kompro­miss, der vom progres­siven bis zum konser­vativen Lager getragen werde, nicht in allen Punkten perfekt sei. Aber es sei ein "histo­rischer Erfolg", dass der Stopp der Chat­kon­trolle und die Rettung sicherer Verschlüs­selung nun "gemein­same Posi­tion des gesamten Parla­ments" sei.

Entwurf der Regie­rungen brand­gefähr­lich

Damit werde das genaue Gegen­teil der meisten EU-Regie­rungen verfolgt, die das digi­tale Brief­geheimnis und sichere Verschlüs­selung zerstören wollten. Die Regie­rungen müssten endlich akzep­tieren, dass dieser brand­gefähr­liche Gesetz­ent­wurf nur grund­legend umge­staltet oder über­haupt nicht beschlossen werden könne. Der Kampf gegen die "auto­ritäre Chat­kon­trolle" müsse mit aller Entschlos­sen­heit weiter geführt werden.

Um was geht es im Detail?

Breyer erklärt die wich­tigen Punkte:

  • Das "digi­tale Brief­geheimnis" werde gerettet und die "grund­rechts­wid­rigen Pläne flächen­deckender verdachts­loser Chat­kon­trollen" gestoppt. Auch die aktu­elle frei­wil­lige Chat­kon­trolle privater Nach­richten (nicht sozialer Netz­werke) durch US-Inter­net­kon­zerne laufe aus. Eine ziel­gerich­tete Tele­kom­muni­kati­ons­über­wachung und -durch­suchung werde nur auf rich­ter­liche Anord­nung und nur beschränkt auf Personen oder Perso­nen­gruppen zuge­lassen, die im Verdacht stehen, mit Kinder­por­nografie und Miss­brauchs­dar­stel­lungen in Verbin­dung zu stehen.
  • Das Vertrauen in sichere Ende-zu-Ende-Verschlüs­selung werde gerettet, denn das soge­nannte "client-side scan­ning", also den Einbau von Über­wachungs­funk­tionen und Sicher­heits­lücken in unsere Smart­phones, werde klar ausge­schlossen.
  • Es werde das Recht auf anonyme Kommu­nika­tion garan­tiert und eine Alters­nach­weis­pflicht für Benutzer von Kommu­nika­tions­diensten ausge­schlossen. Damit könnten Whist­leblower weiterhin Miss­stände anonym leaken (veröf­fent­lichen), ohne dazu einen Ausweis oder ein Gesicht vorzeigen zu müssen.
  • Unter dem Thema "Löschen statt sperren" müssten keine Netz­sperren verhängt werden. Auf keinen Fall dürften zuläs­sige Inhalte als „Kolla­teral­schaden“ mit gesperrt werden.
  • Der "digi­tale Haus­arrest" werde verhin­dert: Appstores müssen junge Menschen unter 16 nicht wie geplant "zu ihrem eigenen Schutz" an der Instal­lation von Messenger-Apps, sozialen Netz­werken und Spielen hindern. Es bleibe bei der Daten­schutz-Grund­ver­ord­nung.

Wirk­samer Schutz von jungen Menschen und Miss­brauchs­opfern

Junge Menschen und Miss­brauchs­opfer würden wirk­samer, als im Entwurf der EU-Kommis­sion vorge­sehen, geschützt:

  • Durch "Secu­rity by design" sollen junge Menschen vor sexu­eller Ansprache und Ausbeu­tung geschützt werden, indem Inter­net­dienste und Apps sicher ausge­staltet und vorein­gestellt werden. Es muss möglich sein, andere Nutzer zu blockieren und zu melden. Nur auf Wunsch des Nutzers soll dieser öffent­lich ansprechbar sein und Nach­richten oder Bilder anderer Nutzer sehen können. Vor dem Verschi­cken von Kontakt­daten oder gar Nackt­bil­dern soll rück­gefragt werden. Poten­zielle Täter und Opfer sollen bei konkretem Anlass gewarnt werden, etwa versucht werde anhand bestimmter Such­worte nach Miss­brauchs­mate­rial zu suchen. Öffent­liche Chats seien bei hohem "Groo­ming-Risiko" (Gefahr sexu­eller Beläs­tigung) zu mode­rieren.
  • Um das Netz von Kinder­por­nografie und Miss­brauchs­dar­stel­lungen zu säubern, solle das neue EU-Kinder­schutz­zen­trum proaktiv öffent­lich abruf­bare Inter­net­inhalte auto­mati­siert nach bekannten Miss­brauchs­dar­stel­lungen durch­suchen können. Dieses Craw­ling sei auch im Darknet einsetzbar und dadurch effek­tiver als Privat­über­wachungs­maß­nahmen der Anbieter.
  • Anbieter, die auf eindeutig ille­gales Mate­rial aufmerksam werden, werden – anders als von der EU-Kommis­sion vorge­schlagen – zur Löschung verpflichtet.
  • Straf­ver­folger, die auf ille­gales Mate­rial aufmerksam werden, müssen dies dem Anbieter zur Löschung melden. Damit soll auf den Fall der Darknet-Platt­form Boystown reagiert werden, bei der schlimmstes Miss­brauchs­mate­rial mit Wissen des Bundes­kri­minal­amts mona­telang weiter verbreitet wurde.“

Wie geht es weiter?

Das Mandat wird voraus­sicht­lich nicht im Plenum abge­stimmt. Der Rat könnte am 4. Dezember einen weiteren Versuch der Posi­tio­nie­rung unter­nehmen, anschlie­ßend können die Verhand­lungen des Euro­päi­schen Parla­ments mit dem Rat und der Euro­päi­schen Kommis­sion ("Trilog") beginnen. Die Mehr­heit der EU-Regie­rungen hält bisher am Vorhaben einer verdachts­losen, massen­haften Chat­kon­trolle und am Aushe­beln sicherer Verschlüs­selung fest. Andere Regie­rungen lehnen dies entschieden ab.

Ein gestern veröf­fent­lichtes Rechts­gut­achten eines ehema­ligen EuGH-Rich­ters kommt zum Ergebnis, dass weder eine Chat­kon­trolle noch ein Ende sicherer Verschlüs­selung vor Gericht Bestand hätte. Dr. Patrick Breyer hat zum Vergleich des Vorschlags der EU-Kommis­sion und des Verhand­lungs­standes des Rates mit der Posi­tion des EU-Parla­ments eine Vergleichs­tabelle ins Netz gestellt.

Aufgrund einer EU-Entschei­dung muss Apple sein iOS Betriebs­system für Apps außer­halb des iOS-AppStores öffnen.

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