Themenspezial: Verbraucher & Service Skandal

Lahmes Internet: Provider bestimmt Höhe der Minderung?

Es ist schon schwer genug zu beweisen, das das Internet zu langsam ist - und die Mess­pro­tokolle geben keinen genauen Wert für die Preis­min­derung vor. Nun sagt die BNetzA allen Ernstes: Das entscheidet der Provider. Ein Skandal?
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Anfang Dezember war es so weit: Die Neure­gelungen des Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes brachten zahl­reiche Verbes­serungen für Verbrau­cher. Eine der wich­tigsten davon: Kann der Internet-Provider dauer­haft nicht die verspro­chene Geschwin­digkeit liefern, bekommt der Kunde nicht nur warme Worte, sondern er kann fristlos kündigen oder den Preis mindern. Mitte Dezember hat die BNetzA hierzu die neue Breit­band­mes­sungs-App bereit­gestellt.

Doch direkt im Anschluss daran folgte bereits die erste Ernüch­terung: Der Nach­weis einer mangel­haften Leis­tung des Provi­ders ist nur mit großen Schwie­rig­keiten zu erbringen. Und nun folgt der nächste Rein­fall: Die Bundes­netz­agentur bestä­tigt exklusiv gegen­über teltarif.de, dass die Mess­pro­tokolle gar nicht dafür geeignet sind, dass der Kunde eine konkrete Preis­min­derung bei seinem Provider einfor­dern und damit sein verbrieftes Recht geltend machen kann.

Leser mit zu lang­samem Voda­fone-Kabel erstellt Proto­koll

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Foto: AVM, Grafik/Montage: teltarif.de
Im neuen TKG ist die Sache eigent­lich recht klar gere­gelt: Nach § 57 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1  KG ist der Verbrau­cher im Fall von erheb­lichen, konti­nuier­lichen oder regel­mäßig wieder­keh­renden Abwei­chungen bei der Geschwin­digkeit dazu berech­tigt, das vertrag­lich verein­barte Entgelt zu mindern oder den Vertrag außer­ordent­lich ohne Einhal­tung einer Frist zu kündigen. Bei der Minde­rung ist das vertrag­lich verein­barte Entgelt nach § 57 Abs. 4 Satz 2 TKG in dem Verhältnis herab­zusetzen, in welchem die tatsäch­liche Leis­tung von der vertrag­lich verein­barten Leis­tung abweicht.

Ein teltarif.de-Leser mit dem Kabel-Tarif Voda­fone Cable Max 1000 leidet nach eigenen Angaben schon seit mehreren Jahren darunter, dass Voda­fone ihm nicht die verspro­chene Geschwin­digkeit liefert. Eine wirk­liche Breit­band-Alter­native besteht für den Kunden aller­dings nicht, und so nahm er das umfang­reiche Proze­dere auf sich, mit der Breit­band­mes­sung ein Proto­koll zu erstellen, um eine Preis­min­derung bei Voda­fone durch­zusetzen.

Dabei kam es erwar­tungs­gemäß zwischen dem Kunden und Voda­fone zu unter­schied­lichen Auffas­sungen darüber, wie hoch die Preis­min­derung ausfallen sollte. Der Leser sandte daraufhin das komplette Mess­pro­tokoll an teltarif.de.

Was das Mess­pro­tokoll sagt - und was nicht

Das vom Leser über­mit­telte Proto­koll der Breit­band­mes­sung ist ein sage und schreibe 36 Seiten umfas­sendes PDF-Doku­ment, das mit einem Zerti­fikat versehen ist, um Fälschungen auszu­schließen. Zunächst werden zu Beginn noch­mals die entspre­chenden Para­grafen des TKG genannt, es folgt die Angabe des Tarifs. Dann werden die Details der Mess­kam­pagne zusam­men­gefasst: Diese umfasste wie vorge­geben 30 Messungen, die zwischen dem 16. und 25. Januar durch­geführt worden waren. Das Gesamt­ergebnis wird wie folgt zusam­men­gefasst:

Es wurde eine "erheb­liche, konti­nuier­liche oder regel­mäßig wieder­keh­rende Abwei­chung der Geschwin­digkeit" von Fest­netz-Inter­net­zugängen i.S.v. § 57 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 TKG entspre­chend der Allge­mein­ver­fügung 99/2021 der Bundes­netz­agentur fest­gestellt. Bitte wenden Sie sich bezüg­lich der fest­gestellten Abwei­chung mit dem Proto­koll an Ihren Anbieter. Weitere Infor­mationen zum Thema finden Sie im Verbrau­cher­portal der Bundes­netz­agentur.
Danach folgen die konkreten Ergeb­nisse der Mess­kam­pagne zunächst im Down­load, dann im Upload. In zwei Tabellen ist ersicht­lich, an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit die Daten­über­tra­gungs­rate mit den drei Vorgaben "Minimal", "Norma­ler­weise" und "90 Prozent des Maxi­mal­werts" erreicht oder nicht erreicht wurde. Hier ist zu sehen, dass der Anschluss des Nutzers im Down­load in vielen Fällen die gefor­derten Werte errei­chen konnte, im Upload aber fast nie. Dann folgt für jede der 30 Messungen ein Einzel­pro­tokoll mit weiteren Details auf je einer A4-Seite. Ganz am Ende gibt es eine Seite mit Details zur maschi­nen­les­baren Verar­bei­tung des Proto­kolls, dann endet das Proto­koll.

Was der Leser - und wir - schmerz­lich vermissten, war ein konkreter Durch­schnitts­wert aus allen 30 Messungen, mit denen der Kunde nun hätte seine Preis­min­derungs-Forde­rung gegen­über Voda­fone geltend machen können. Hätte dort zum Beispiel gestanden, dass der Anschluss durch­schnitt­lich 20 Prozent lang­samer ist als die entspre­chenden Geschwin­dig­keiten, hätte der Leser jetzt die monat­liche Grund­gebühr bei Voda­fone um 20 Prozent mindern können. Nach unserer Beob­ach­tung (und der des Lesers) ist ein derar­tiges Proto­koll ledig­lich dazu geeignet, den Anschluss fristlos zu kündigen - aber das wollte der Kunde ja gar nicht.

Eine lange Liste von Unklar­heiten

Da das Mess­pro­tokoll keinerlei perso­nen­bezo­gene Daten beinhaltet, sandten wir dieses an die Bundes­netz­agentur und konfron­tierten die Behörde mit den offenen Fragen. Hierbei fragten wir, welche der 30 Messungen denn nun maßge­bend für die Berech­nung der Preis­min­derung sei. Außerdem wollten wir wissen, auf welches Element der Messung sich denn die gesetz­liche Möglich­keit der Preis­min­derung bezieht: Wenn der Wert "Minimal", "Norma­ler­weise" oder "90 Prozent des Maxi­mal­werts" nicht erreicht ist?

Falls ein Durch­schnitts­wert aller 30 Messungen maßge­bend sein sollte, wollten wir wissen, warum dieser dann vom Breit­band­mes­sungs-Tool nicht ausge­rechnet wird, sozu­sagen als "Endergebnis". Eben­falls nicht klar ist, ob für die Berech­nung der Minde­rung nur der Down­load oder auch der Upload heran­gezogen wird oder in welches Verhältnis beide zu setzen sind. Aus der entspre­chenden Messung des Lesers geht ja hervor, dass insbe­son­dere die Upload-Geschwin­digkeit oft nicht gelie­fert wird.

Zum Schluss stellten wir die Frage zum Streit­fall: Wenn über die Höhe der Minde­rung zwischen Anbieter und Kunde Streit besteht, welches Element dieses Mess­pro­tokolls gibt dann den Ausschlag für die Entschei­dung? Was wir und der Leser bei einem Proto­koll wie diesem vermissten, war ein ganz konkreter Wert als "Endergebnis", der als Orien­tie­rungs­wert für die Minde­rung beim Provider heran­gezogen werden kann. Die unbe­stimmte Aussage "erreicht/nicht erreicht" am Ende der Tabellen halten wir und der Leser hierzu für keines­wegs geeignet, um den gesetz­lichen Minde­rungs­anspruch durch­zusetzen. Noch immer erreichen zahlreiche Anschlüsse nicht die versprochene Geschwindigkeit Noch immer erreichen zahlreiche Anschlüsse nicht die versprochene Geschwindigkeit
Bild: teltarif.de

Die verblüf­fende Antwort der Bundes­netz­agentur

Die Antwort der BNetzA veröf­fent­lichen wir hier im kompletten Wort­laut:

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Das Ergeb­nis­pro­tokoll der Messungen enthält die Aussage, ob eine vertrags­kon­forme Leis­tung vorliegt oder nicht. Das Proto­koll dient als Nach­weis für ein außer­ordent­liches Kündi­gungs­recht oder für das Bestehen eines Minde­rungs­rechts. Eine Aussage zur Höhe des Minde­rungs­anspruchs enthält das Mess­pro­tokoll nicht. Die Höhe ist vom Verbrau­cher im Dialog mit dem Anbieter für den konkreten Einzel­fall zu klären.

Liegt laut Mess­pro­tokoll eine nicht vertrags­kon­forme Leis­tung vor, müssen sich die Verbrau­che­rinnen und Verbrau­chern bezüg­lich ihres Minde­rungs- bezie­hungs­weise eines Sonder­kün­digungs­rechts an ihren Anbieter wenden. Die Anbieter bestimmen die Minde­rungs­höhe im konkreten Einzel­fall, möglichst im Dialog mit dem Verbrau­cher. Dabei sind insbe­son­dere der jewei­lige konkrete Tarif des jewei­ligen Anbie­ters sowie die vertrag­lich verspro­chenen sowie die tatsäch­lich gemes­senen verschie­denen Leis­tungs­para­meter von Bedeu­tung. Die Bundes­netz­agentur ist zuver­sicht­lich, dass sich auf der Grund­lage der unter­schied­lichen Verhal­tens­weisen der einzelnen Unter­nehmen hier im Laufe der nächsten Zeit Mindest­stan­dards heraus­kris­tal­lisieren werden, die bei einer sach­gerechten Berech­nung der konkreten Minde­rungs­höhe zwin­gend zu berück­sich­tigen sind.

Die Bundes­netz­agentur setzt keine Sonder­kün­digungs-, Minde­rungs­rechte oder Geld­ansprüche wie Entschä­digungen etc. durch. Dies ist Aufgabe der Zivil­gerichte. Endnutzer können sich bei der Durch­set­zung ihrer Rechte von den Verbrau­cher­zen­tralen oder von einer Rechts­anwältin oder von einem Rechts­anwalt unter­stützen lassen. Die Entschei­dung, ob der Anbieter das Entgelt im konkreten Einzel­fall in einem ange­mes­senen Verhältnis mindert, ist im Streit­fall also letzt­end­lich von den Zivil­gerichten zu treffen.

Wenn im Kontakt mit dem Anbieter keine Eini­gung erzielt werden kann, besteht die Möglich­keit, bei der Bundes­netz­agentur einen Schlich­tungs­antrag zu stellen. Dieser Weg einer mögli­chen gütli­chen außer­gericht­lichen Eini­gung steht Endnut­zern offen, wenn sie zunächst keine Lösung mit dem Anbieter finden konnten. Ein Schlich­tungs­ver­fahren ist kosten­frei. Auch die Schlich­tungs­stelle kann keine Forde­rungen durch­setzen, sie entwi­ckelt einen Schlich­tungs­vor­schlag, der auf einen Kompro­miss abzielt.

Eine Einschät­zung (von Alex­ander Kuch):

Dass die BNetzA keine Sonder­kün­digungs-, Minde­rungs­rechte oder Geld­ansprüche wie Entschä­digungen im zivil­recht­lichen Bereich durch­setzt, das wissen wir - wir wissen auch, dass sie das Kraft ihres Auftrags auch gar nicht darf. Das war auch nicht der Sinn unserer Anfrage. Uns ging es ledig­lich darum, dass der Verbrau­cher seit Dezember ein konkret fest­gelegtes Preis­min­derungs­recht hat, das ihm per Gesetz zuge­sagt wird. Und dafür muss die Bundes­netz­agentur ein geeig­netes Tool bereit­stellen, das dem Verbrau­cher ein ordent­liches Ergebnis liefert - und das macht die Behörde nicht.

Von was träumt denn die Bundes­netz­agentur, wenn sie davon spricht, dass sich bei den Provi­dern "Mindest­stan­dards heraus­kris­tal­lisieren" werden und dass es seitens der Inter­net­anbieter eine "sach­gerechte Berech­nung der konkreten Minde­rungs­höhe" geben wird? Das war doch genau der Grund, warum 2017 zunächst die Trans­parenz­ver­ord­nung einge­führt werden musste, bei der sich dann wieder genau das heraus­gestellt hat: Ohne konkrete Werte und ohne Zwang haben die Provider über­haupt keine Lust dazu, Entschä­digungen an die Kunden zu bezahlen. So musste die Regel durchs neue TKG noch­mals verschärft werden, weil sich eben nichts von alleine "herauskris­tal­lisiert" hatte.

Dass die jetzt einge­führte und eigent­lich klare Rege­lung im TKG seit Dezember durch das völlig unge­eig­nete Breit­band­mes­sungs-Tool nun schon wieder zu einem zahn­losen Tiger mutiert und die Verbrau­cher damit schon wieder dem Wohl­wollen des Provi­ders ausge­lie­fert sind, ist ein Skandal. Es wird Zeit, dass die Bundes­regie­rung hier eingreift und die Bundes­netz­agentur zur Einfüh­rung eines Breit­band­mes­sungs-Tools verpflichtet, mit der der Kunde sein verbrieftes Recht auch geltend machen kann. Man kann nur hoffen, dass sich diese unsäg­lichen Zustände spätes­tens dann ändern, wenn demnächst ein Verbrau­cher­schützer die Leitung der BNetzA über­nimmt.

In einem sepa­raten Ratgeber erläu­tern wir das offi­zielle Proze­dere, wie Sie ein Mess­pro­tokoll zur Vorlage bei Ihrem Provider erstellen.

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