ANGA COM 2022: "Dümmeres System als jede Planwirtschaft"
Bis 2025 sollen 20 Millionen Haushalte in Deutschland über einen Glasfaseranschluss im Internet surfen. Das bedeutetet: Pro Jahr müssen rund drei Millionen dieser Anschlüsse gebaut werden. Doch rund ein Viertel aller Haushalte kann nur über die staatliche Förderung erschlossen werden. Damit sollte eigentlich klar sein, was zu tun ist, aber dass Erkenntnis und Umsetzung zwei verschieden paar Schuhe sind, wurde auf dem gestrigen Eröffnungstag der ANGA COM in Köln deutlich.
Im Panel "Breitbandförderung: Wo liegt die Balance zum privat finanzierten Ausbau?" legten Netzbetreiber und ihre Vertreter den Finger in die Wunde: zu viel Bürokratisierung, zu geringe Baukapazitäten und eine Breitbandförderung, die viel Kritik einstecken muss.
VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützern nahm bei seiner Kritik an der Breitbandförderung des Bundes kein Blatt vor dem Mund
Foto: MH Media
"Wir bemühen uns seit mindestens zwei Jahren, um einen DIN-Standard für mindertiefe Verlegemethoden zu erstellen", eröffnete Andrea Huber, Geschäftsführerin des Breitbandverbands Anga, den Reigen. Dass die öffentliche Hand in den Kommunen solchen Verlegemethoden, insbesondere dem Trenching, kritisch gegenübersteht, räumte auch Tobias Miethaner ein. "Mit Trenching kann man 400 Meter Glasfaser pro Tag verlegen, im klassischen Tiefbau 100 bis 150 Meter", plädierte auch der Leiter der Abteilung "Digitale Gesellschaft" im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) für mindertiefe Verlegemethoden. Miethaner sprach sich zudem für einen digitalen Prozess aus, der alle Beteiligten mit einbezieht, damit Aktenordner nicht hin- und hergeschoben werden müssten.
Politik soll Kommunen reinen Wein einschenken
An der Breitbandförderung des Bundes wurde kaum ein gutes Haar gelassen. Zwar hätten laut Miethaner die Kommunen damit erstmals einen Hebel, um Unternehmen überhaupt dazu zu bringen, in nicht rentablen Regionen Glasfasernetze zu errichten, aber speziell das Markterkundungsverfahren für den geförderten Ausbau, und hierin die Verpflichtung des Netzbaus innerhalb von drei Jahren, stieß im Panel auf Kritik. "Wir haben ein System, dass dümmer ist als jede Planwirtschaft", ereiferte sich Jürgen Grützner, Geschäftsführer des Verbands der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM). Es bräuchte klare Ansagen seitens der Politik, wer wann ein Markterkundungsverfahren starten dürfe. Den Kommunen müsse reiner Wein eingeschenkt werden, wenn ein Ausbau nicht in den kommenden drei, sondern eventuell erst in vier oder fünf Jahren möglich ist.
BMDV-Abteilungsleiter Tobias Miethaner warb um Verständnis für die Perspektive der Kommunen
Foto: MH Media
Wolfgang Kopf, Leiter des Zentralbereichs Politik und Regulierung der Deutsche Telekom AG, wies darauf hin, dass der geförderte Ausbau sinnvoll sei, aber eben auch erhebliche Baukapazitäten binde, mit denen anderorts schneller mehr Haushalte verglast werden könnten. "Für Investoren ist es schlecht, wenn im Markt Unsicherheit herrscht", schloss sich Kopf den Aussagen Grützners an. Der VATM-Geschäftsführer schlug vor, ähnlich wie in Nordrhein-Westfalen eine Potenzialanalyse für Deutschland zu erstellen, aus der eine Reihenfolge hervorgeht, wo am schnellsten Glasfaser ausgebaut werden könne.
VATM will Kommunen Perspektive geben
Dagegen verwies Miethaner auf die Perspektive der Kommunen. Die Bürgermeister wollen für ihre Kommune den flächendeckenden Glasfaserausbau. "Es wird schwierig für Kommunalpolitiker, wenn ihnen gesagt wird: Warte ab, bis du an der Reihe bist", sagte der BMDV-Abteilungsleiter auf der ANGA COM. Schnelles Internet gehöre aus Sicht der Bürgermeister zur Daseinsgrundversorgung, die sie für alle Bürger ihrer Kommune sicherstellen wollen.
Um das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch der Kommunen nach einer flächendeckenden und notfalls geförderten Glasfaserabdeckung und dem für Telekommunikationsunternehmen Machbaren aufzulösen, schlug Grützner ein Modell vor, mit dem der VATM nun auf die Länder zugehen will. In 50 Prozent der Fälle bauen die TK-Unternehmen so aus, wie es für sie am schnellsten geht. Die anderen 50 Prozent bilden den Bereich, in dem die Kommunen den größten Förderbedarf sehen und ins Markterkundungsverfahren gehen. Auf diese Weise will der VATM den Kommunen eine Perspektive für einen flächendeckenden Glasfaserausbau geben - mit und ohne Förderung.
In einer weitere ANGA-COM-News geht es um das Thema Gratis-Streaming könnte Netflix & Co. übertrumpfen.