Streitthema Überbau: "Politik lehnt Planwirtschaft ab"
Bei der Messe Anga Com handelt es sich um eine Produktmesse und einen Fachkongress. Teil der Messe sind auch Diskussionsrunden mit teilweise hochkarätiger Besetzung. So zum Beispiel der Digitalgipfel am Dienstag, bei dem mit Srini Gopalan, dem Chef der Telekom Deutschland (TDG), und - erstmalig in einer größeren Öffentlichkeit präsent -, Philippe Rogge, seit Juli 2022 Chef von Vodafone Deutschland als Gesprächspartner zur Verfügung standen. Und auch am Mittwoch gab es mit dem Gigabit-Gipfel ein mit wichtigen Personen aus der TK-Branche besetztes Diskussions-Panel. Und auch wenn die Titel beider Veranstaltungen unterschiedlich klingen, waren die Inhalte dennoch recht ähnlich. Das ist nicht verwunderlich, denn die Themen Gigabit, Digitalisierung und Netzausbau sind nur schwer zu trennen.
Fachkundig moderiert
Moderatorin Anna Planken (l.) nahm Telekom-Deutschland Chef Gopalan (r.) ins Verhör
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Beim Digital-Gipfel am Dienstag diskutierten unter der fachkundigen Moderation von Anna Planken, TV-Zuschauern aus dem ARD/ZDF-Morgenmagazin bekannt, neben Srini Gopalan und Philippe Rogge noch Stefan Schnorr, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), Timo von Lepel, Chef des Kölner Telekommunikationsanbieters Netcologne, Bernd Thielk von willy.tel und Andreas Pfisterer, Chef der Deutschen Glasfaser, zu der inzwischen auch die inexio gehört.
Moderatorin Anne Planken wollte von den Diskussionsteilnehmern wissen, welche Schulnoten sie den deutschen Netzen geben würden. Sie musste dabei mehrfach nachhaken.
Srini Gopalan verwies stattdessen darauf, dass Deutschland sich von Platz 7 auf Platz 4 vorgearbeitet habe. Die Zukunft liege darin, "Deutschland als Netz" auszubauen. 25 bis 30 Prozent seien schon fertig. Um "Deutschland besser zu machen", investiere die Telekom jedes Jahr 5,5 Milliarden Euro in den Netzausbau. Gopalan plädierte dafür, die "Genehmigungsverfahren" (nach wie vor sein "Lieblingswort") weiter zu vereinfachen.
Von E-Plus und o2 über Dänemark zurück nach Deutschland
Andreas Pfisterer (r.) kam von E-Plus über o2 nach Dänemark und ist jetzt Chef der Deutschen Glasfaser
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Andreas Pfisterer, einstiger Technik-Chef von E-Plus und später CIO bei der fusionierten Telefónica-o2, ging dann als Chef des dänischen Netzbetreibers TDC nach Kopenhagen. Seit Dezember 2022 ist er zurück, als Chef der Deutschen Glasfaser.
Pfisterer gibt den deutschen Netzen aktuell die Note 4. Er lebte lange in Dänemark, wo es längst "5G flächendeckend" gibt und 80 bis 90 Prozent aller Anschlüsse per Glasfaser erschlossen sind. Einen analogen Briefkasten habe er eigentlich nur noch für Post aus Deutschland, betonte er. Die Deutsche Glasfaser wolle 1 Milliarde in den Glasfaserausbau in Deutschland investieren.
Köln: Schönste Stadt mit größtem WLAN
Timo von Lepel, Chef der Netcologne, begrüßte die Teilnehmer in der "schönsten Stadt in Deutschland". Er sieht sich als "Daseinsversorger für Köln" und die sei heute digital. Auch die Energiewende brauche ein Netz. Von Lepel gibt der Stadt Köln eine Note "2 Minus", Deutschland sieht er "zwischen 3 und 4".
Neigung, alles negativ zu sehen
Digital-Staatssekretär Stefan Schnorr vergab die Note "3 Minus", mit dem klaren Ziel die Note 2 in zwei Jahren zu erreichen. Deutschland neige dazu, nur zu sehen, was alles nicht läuft, kritisierte er die allgemeine Stimmung. Klar sei, dass es einen Nachholbedarf beim Ausbau des Landes gebe und nannte als Zielvorstellungen bis 2025 die Hälfte des Landes und bis 2030 "überall". So solle es in Deutschland ab September möglich sein, beispielsweise sein Auto digital um- oder abzumelden.
Thielk: Hätten früher anfangen sollen
Bernd Thielk, Geschäftsführer der willy.tel GmbH, verwies darauf, dass sein Unternehmen im Raum Hamburg gemeinsam mit der wilhelm.tel schon seit 2005 den Glasfaser-Ausbau begonnen hatte. Retrospektiv stellte er fest: "Wir hätten noch viel früher viel mehr ausbauen sollen." Jetzt seien die Baukosten extrem gestiegen.
In Deutschland gebe es 24 Millionen Haushalte in Häusern mit mehr als drei Wohneinheiten. Thielk gebe den Netzen im Raum Hamburg die Note 2 bis 3 und Deutschland insgesamt eine 4.
Neuer Vodafone Chef: Deutschland geht langsam auf die Überholspur
Präsentierte sich erstmalig in der Öffentlichkeit: Der neue Vodafone-Deutschland-Chef Philippe Rogge
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Der neue Vodafone-Deutschland-Chef Philippe Rogge ist Belgier und erklärte, "als Ausländer sehr vorsichtig" zu sein. Bei Breitband gehe Deutschland langsam auf die Überholspur. Man sehe die Probleme, es gehe aber langsam "in eine gute Richtung". Stolz betonte Rogge mit seinem Vodafone-Kabel 24 Millionen "Gigabit-Haushalte" erreichen zu können.
Rogge betonte auch, dass eine gute Mannschaft nicht automatisch gewinnen könne. "Es braucht einen starken Bundestrainer", für das Zusammenspiel für Deutschland und für Deutschland in Europa. Wir sind wirtschaftlich stark, die Technik haben wir. "Wir sollten nachdenken, wie wir uns in der Welt aufstellen."
Welches Land könnte Vorbild sein?
Bei der Frage, welches Land in Europa ein Vorbild für Deutschland sein könnte, sieht Srini Gopalan Estland als Vorbild beispielsweise in der Digitalisierung der Verwaltung. Das sei der Schlüssel. Deutschland dürfe nicht "in Schönheit sterben", wir brauchen eine "Test and Fail"-Kultur (= Ausprobieren und auch Scheitern).
Staatssekretär Schnorr gab zu bedenken, dass Estland nach der Unabhängigkeit von Russland "bei null anfangen" konnte. Deutschland sei da viel zu schwerfällig. "Wir haben seit 15 Jahren eine Diskussion über Smart-Meter. Wir sehen unendlich viele Probleme. Wir diskutieren seit 15 Jahren über die elektronische Patientenakte, wir haben 17 Datenschutzbeauftragte im Land, die unterschiedliche Positionen vertreten. Aber: Bei den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sei Deutschland in Sachen Digitalisierung bereits Spitze.
Thielk bestätigte, dass ein Bauantrag nach wie vor drei Monate dauere, dabei gäbe es andauernd einen Medienbruch: Anträge würden zwischen digital und analog (ausdrucken unterschreiben) wechseln. Die Möglichkeiten des neuen TKG seien noch nicht angekommen, es müsse mehr Mut in die Verwaltung gebracht werden und dort gebe es auch einen Fachkräftemangel, der alles bremst. Die Bürgermeister sollten auf den Tisch hauen, das machen wir jetzt.
In Köln, so Timo von Lepel, seien "alle Schulen mit Gigabit ausgestattet" worden. Stolz erwähnte er das "größte öffentliche WLAN-Netz" in seiner Stadt.
Das Beispiel der Fußballmannschaft hätte bisher aus einer "italienischen Abwehr" bestanden, die nur Kupfer verwenden wollte. "Jetzt setzen Italiener auf Glasfaser". Doch sie spielten nicht als Mannschaft, nicht zum Vorteil des Landes.
Streitthema Überbau
Stimmung im Saal kam beim "unnötigen Parallel-Ausbau" - besonders durch die Telekom - auf. Srini Gopalan sieht das nicht so. Sein Unternehmen wolle 25 bis 30 Millionen Haushalte mit Glasfaser versorgen. Beim "Überbau" werde zu 99 Prozent das "eigene" (Telekom)-Kupfernetz mit Glasfaser überbaut. Es blieben etwa ein bis zwei Prozent, "wo die Glasfaser schon ist".
Die von der Branche geforderte "vorherige Abstimmung" (Wer baut hier, wer baut dort?) sei schon kartellrechtlich gar nicht möglich. Gopalan lud die Branche zu Partnerschaften ein, ein Drittel des Telekom-Ausbaus laufe bereits über Partnerschaften. Gopalan stellte aber unmissverständlich klar, "es muss immer eine Win-Win-Partnerschaft sein", also beide Seiten müssen davon etwas haben.
Politik: Kein Eingriff - kein Wettbewerbsverstoß zu sehen
Staatssekretär Stefan Schnorr stellte klar: Beim Streitthema Überbau wird sich die Politik nicht einmischen
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Auch Staatssekretär Schnorr stellte sich hinter den Wettbewerb: Es werde keine Planwirtschaft geben. "Wenn im Ort ein Supermarkt existiert und ein Konkurrent daneben einen weiteren Supermarkt bauen will, greifen wir nicht ein." Schnorr sagte: "Bisher ist kein Wettbewerbsverstoß zu sehen."
Es gäbe eine regelmäßige Runde von Bund und Ländern, ein Gigabit-Forum bei der Bundesnetzagentur, "der Staat sollte sich raushalten", es gäbe inzwischen schon viel zu viel Regulierung.
Die Branche wolle 50 Milliarden investieren und da seien Hindernisse kontraproduktiv. Höchstens in 1 bis 2 Prozent der Fälle sehe sein Ministerium einen parallelen Ausbau.
Branche ist auf Telekom sauer
Die Aussage des Ministeriums brachte Timo von Lepel (Netcologne) in Rage. Die Branche stehe geschlossen gegen die Telekom, die "strategisch" überbaue. 25 Prozent der als "erschlossen" geltenden Haushalte seien aber nur "Home passed" (da führt eine Leitung irgendwo in der Nähe vorbei), entscheidend sei aber "Home connected", also die Häuser und Wohnungen, die wirklich betriebsbereit angeschlossen sind. Anstatt sich auf die fehlenden 75 Prozent zu konzentrieren, streite man sich über den Überbau.
Gigabit-Gipfel: Branche habe den Drive für Kooperationen verloren
Auf dem Gigabit-Gipfel am Mittwoch sparte Nelson Killius nicht mit Kritik an der Telekom. "Wir haben den Drive aus dem vergangenen Jahr für Kooperationen verloren wegen der strategischen Ausrichtung des marktbeherrschenden Unternehmens", sagte der Sprecher der M-net-Geschäftsführung in Köln. Er führte das Beispiel der Gemeinde Gablingen an, in der die Telekom später als M-net und Deutsche Glasfaser ausbauen wollte, weshalb der Zuschlag an die beiden kooperierenden Netzbetreiber ging. Deren Glasfasernetz ist seit Ende 2022 fertig und nun beginnt laut Kilius in Gablingen die Telekom ihrerseits damit, ein eigenes Glasfasernetz zu errichten.
Nelson Kilius, Sprecher der M-net-Geschäftsführung, befürchtet, dass das politische Ziel einer flächendeckenden Glasfaserversorgung bis 2030 verfehlt wird
Foto: M-net
Klaus Müller, Leiter Glasfaser bei Telekom Deutschland, wies jedoch darauf hin, dass die Telekom nach dem Zuschlag an M-net und Deutsche Glasfaser deren Tiefbauarbeiten gerne nutzen wollte, um die eigene Glasfaser mitzuverlegen. "Das wurde damals abgelehnt", sagte Müller - quasi nach dem Motto, dann dürfe man sich auch nicht wundern, wenn man überbaut wird. "In 98 Prozent überbauen wir unser eigenes Netz", erklärte Müller und ergänzte, dass es keine Definition gebe, was Überbau genau bedeute. Dem wiederum widersprach Kilius. Überbau sei, wenn bestehende FTTB/H-Netze überbaut werden. "Bitte lassen Sie solchen volkswirtschaftlichen Irrsinn!", sagte Kilius in Müllers Richtung.
Infrastrukturwettbewerb und Prinzipienreiterei
Auf dem Panel fielen indes auch moderatere Worte. "Am Ende des Tages ist es Infrastrukturwettbewerb", sagte etwa Jens Prautzsch, CEO von Unsere Grüne Glasfaser, zum Thema Glasfaserüberbau. Er fragte jedoch auch rhetorisch, ob der Infrastrukturwettbewerb so viel wert sei, dass man das Ziel der flächendeckenden Glasfaserversorgung bis 2030 hinten runterfallen lasse und sprach von Prinzipienreiterei. "Wir werden etwas gegen diese Aktivitäten unternehmen müssen, ansonsten sind die Ziele nicht erreichbar", warnte Prautzsch auf dem Gigabit-Gipfel.
Aus Sicht von Jan Georg Budden, CEO und Mitgründer der Deutschen GigaNetz, werde die Telekom da investieren, wo sie für ihre Shareholder den größten Return on Invest herausholen kann. "Das ist nicht der Überbau auf dem Land", sagte Budden auf dem Gigabit-Gipfel. Er sieht die Herausforderung vielmehr in der Take-up-Rate, also der Wandlung von Homes passed in Homes activated. Allerdings bezeichnete er die Ankündigung des Überbaus als "größten Kollateralschaden" - eine Wortwahl, die von Telekom-Manager Müller kritisiert wurde.
Lokale Monopole?
Den Vorwurf von Gopalan, lokale Glasfaser-Unternehmen seien eher an lokalen (rentablen) Monopolen interessiert, wies Timo von Lepel (Netcologne) entschieden zurück und sagte auf dem Gigabitgipfel am Dienstag: "Wir sind kein Monopolist. Der Überbau der Telekom ist strategisch" und erhielt dafür viel Beifall.
Auch Bernd Thielk wusste aus Hamburg zu berichten, wo es Parallelausbau aufgrund "falscher Pläne" gegeben habe. "Wir sollten erstmal die Fläche erschließen, wo nichts ist", alles andere mache "volkswirtschaftlich keinen Sinn."
Gopalan hat bereits 21 Stadtwerke als Partner und lud Timo von Lepel (Netcologne) zur Partnerschaft ein. Von Lepel verriet gegenüber teltarif.de nach der Veranstaltung, dass es längst ein Partnerschaftsabkommen mit der Telekom gebe, das "von der Telekom aber nicht genutzt" werde. Die Kritiker sind überzeugt: Wo die Telekom Überbau betreibt, kann nur ein Netz bestehen.
Politik: Keine Vorschriften, kein Eingreifen
Staatssekretär Schnorr betonte erneut: "Sollen wir vorschreiben, wo Unternehmen nicht ausbauen dürfen? Wir können und wollen es nicht verbieten." Stattdessen kam der klare Aufruf zur Kooperation, die Politik will nicht in die unternehmerische Freiheit eingreifen.
Sollte es nachweislich gezielte Verdrängung geben, gelte das Wettbewerbsrecht. Aktuell seien es maximal zwei Prozent der Fälle.
Vodafone: Kabelnetz hat Priorität
Für Vodafone-Chef Rogge hat sein Kabelnetz Priorität. Das wird weiter ausgebaut, die Segmente verkleinert, aber ein kompletter Austausch des Koaxkabels gegen Glasfaser ist nicht sein Plan. Durch ein sieben Milliarden Joint-Venture hat Vodafone die Möglichkeit, den Ausbau voranzubringen.
Rogge appellierte an die Branche, "bitte gemeinsam verantwortlich" vorzugehen. Die letzte 25 Jahre seit Markteröffnung und die Zukunft der Branche seien zwei Paar Stiefel.
Investieren kleine Spieler noch?
Bernd Thielk von willy.tel räumte ein, dass ein Ausbau für Mittelständler sehr schwierig geworden sei. 2005 habe man nur ein Viertel der heutigen Kosten aufbringen müssen. Der Vorteil der kleinen regionalen Unternehmen: Man kennt Kunden vor Ort. Für absolute Neuanfänger sei das schwierig.
Deutsche Glasfaser peilt 4 Millionen neue Anschlüsse an
Auch Andreas Pfisterer (Deutsche Glasfaser) schaut in die Zukunft und will vier Millionen neue Anschlüsse bis 2025 leisten. "Wir müssen lernen, dass es eine heterogene Landkarte gibt."
Wie es mit der Förderung des Ausbaus weitergeht, ließ Schnorr offen: "Wir schauen Ende des Jahres, wie wir das nächstes Jahr machen."
In einer weiteren Meldung zur Anga Com geht es um: Deutschland sollte die Megatrends mitgestalten.