Noch gedruckt?

Trotz Streaming-Boom: TV-Zeitschriften sind nicht tot

Der Fern­seh­konsum verla­gert sich langsam vom linearen Schauen (was kommt zu welcher Zeit) zum selbst gewählten Strea­ming-Programm. Schlechte Zeiten für gedruckte TV-Programm-Zeit­schriften?
Von / dpa

Die New York Times hat ihr gedrucktes TV-Programm eingestampft. Wäre das auch in Deutschland denkbar? Die New York Times hat ihr gedrucktes TV-Programm eingestampft. Wäre das auch in Deutschland denkbar?
Foto: Picture Alliance / dpa
Netflix, Sky, TVNOW, Joyn, Media­theken von ZDF und ARD - Strea­ming boomt in Deutsch­land. Was macht der Trend mit der tradi­tio­nellen TV-Seite in der Tages­zei­tung und den vielen Programm­zeit­schriften?

Programm­zeit­schrift als Einrich­tungs­gegen­stand

Die New York Times hat ihr gedrucktes TV-Programm eingestampft. Wäre das auch in Deutschland denkbar? Die New York Times hat ihr gedrucktes TV-Programm eingestampft. Wäre das auch in Deutschland denkbar?
Foto: Picture Alliance / dpa
Die TV-Programm­zeit­schrift liegt als "Acces­soire" auf dem Wohn­zim­mer­tisch. Mit dem Kugel­schreiber oder Marker­stift wird das gewünschte Programm einge­kreist. In der Tages­zei­tung am Früh­stücks­tisch wird das TV-Programm für den Abend unter­sucht. So lief das vermut­lich früher in Millionen von Haus­halten ab. Und heute? In Zeiten von Strea­ming, Media­theken und TV-Konsum, wann, wie und wo man will?

New York Times wirft TV-Programm raus

Die "New York Times" zog vor kurzem einen radi­kalen Schluss­strich: Sie warf nach 80 Jahren ihr Fern­seh­pro­gramm-Programm aus dem gedruckten Blatt. Die Begrün­dung: Die Bedeu­tung von Strea­ming - also dem Abrufen von Sendungen, Serien und Filmen auf Platt­formen abseits des laufenden Programms nach festen Sende­zeiten - habe zuge­nommen. Verlage in Deutsch­land folgen dem Beispiel aus den USA wohl so nicht, wie eine Umfrage der Deut­schen Presse-Agentur (dpa) ergab.

Deutsch­land: Keine Ände­rungen geplant

Bei der "Frank­furter Allge­meinen Zeitung" (FAZ) seien derzeit "keinerlei Verän­derungen geplant". Das gleiche meldet die "Süddeut­sche Zeitung" (SZ). Man über­lege sogar, die tägliche Programm­seite auch den Nutzern der digi­talen SZ zugäng­lich zu machen.

Ähnli­ches Bild bei regio­nalen Tages­zei­tungen: "Stutt­garter Nach­richten" und "Stutt­garter Zeitung" können sich derzeit nicht vorstellen, auf das TV-Programm zu verzichten. Jan Hollitzer, Chef­redak­teur der "Thüringer Allge­meinen" geht stark davon aus, "dass wir den Service weiterhin anbieten werden. Da im Strea­ming viel on demand abge­rufen wird, braucht es eine andere Präsen­tation der Inhalte als nach Tagen und Uhrzeiten."

Neue Formate

Dann gibt es auch neue Formate: Das RedaktionsNetzwerk Deutsch­land (RND) der Madsack Medi­engruppe, das für Regio­nal­zei­tungen über­regio­nale Inhalte produ­ziert, gibt seit diesem Monat einen News­letter ("Das Stream-Team") heraus, der sich ausschließ­lich Strea­ming widmet. Neben neuen Formaten binden Verlage seit Jahren Strea­ming-Tipps in ihre bestehenden Ange­bote ein.

Fern­sehen ist in Deutsch­land bis heute Massen­medium. In gut 95 Prozent der Haus­halte stand 2019 mindes­tens ein Fern­seh­gerät, wie aus dem "Digi­tali­sie­rungs­bericht Video" der (Landes-)Medi­enan­stalten auf Seite 33 hervor­geht.

Fort­lau­fendes Programm ist DNA

Trotz Strea­ming-Booms gehört das fort­lau­fende Programm mit Sende­schema zur DNA von TV-Sendern. Dort werden bei den Privaten auch noch große Werbe­umsätze erzielt. Dass lineares Fern­sehen fest veran­kert ist, sieht man zum Beispiel daran: Zur "Tages­schau" der ARD um 20 Uhr schalten täglich rund zehn Millionen Zuschauer ein.

Eine lange Tradi­tion haben auch die TV-Programm­zeit­schriften. Man kann sie am Kiosk und im Super­markt kaufen oder abon­nieren. Zeitungen bieten zudem Programm­zeit­schriften als Beilage an. Im Netz sind eben­falls Ange­bote entstanden.

51 Prozent aller Deut­schen lesen Programm­zeit­schriften

Stephan Scherzer, Haupt­geschäfts­führer des Verbands Deut­scher Zeit­schrif­ten­ver­leger erklärt: "Programm­zeit­schriften punkten im Leser­markt, sie errei­chen 51 Prozent aller Deut­schen über 14 Jahre. Im Jahr 2019 wurden gut 371 Millionen Exem­plare allein in diesem Segment gekauft." In der Corona-Krise werden Programm­titel demnach auch stark nach­gefragt. 2010 waren es noch 586 Millionen Exem­plare pro Jahr gewesen - seit Jahr­zehnten gehen insge­samt die Auflagen bei Zeitungen und Zeit­schriften zurück.

Programm­zeit­schriften verzeichnen heute die höchste Aufla­gen­zahl im deut­schen Zeit­schrif­ten­markt. Der Vertriebs­umsatz wird nach Verbands­angaben auf rund 580 Millionen Euro geschätzt, hinzu kommen Millio­nen­beträge an Brut­tower­beum­sätzen. Der Gesamt­ver­band Pres­segroß­handel spricht von etwa 50 TV-Titeln für den Einzel­ver­kauf.

TV-Titel mit Strea­ming Infos

Medi­enhäuser wie Bauer, Burda und die Funke Medi­engruppe setzen auf TV-Titel und binden zugleich den Strea­ming-Trend ein. Der Verlags­geschäfts­führer Bauer Programm KG der Bauer Media Group, Marc de Laporte, findet: "Die Inte­gra­tion von Strea­ming-Ange­boten ist sehr ausdif­feren­ziert. Sie richtet sich danach, wie die Bedürf­nisse der Leser sind und wie die Leser­schafts-Struktur ist." Das Thema Strea­ming sei in nahezu allen Alters­gruppen ange­kommen, aber mit unter­schied­licher Nutzungs­inten­sität.

Er betont auch, dass der Aufbau einer TV-Zeit­schrift etwas mit Gewohn­heiten zu tun habe. "Die Art und Weise, wie wir unsere Programm­infor­mationen aufbe­reiten, ist von unserer Leser­schaft gelernt und wird auch so erwartet - und ist damit auch nicht verhan­delbar."

Frag­men­tie­rung, Indi­vidua­lisie­rung

Der Verlags­manager blickt in die Zukunft: "Es wird sicher­lich Poten­zial für nischi­gere und spit­zere Zeit­schrif­ten­titel geben. Die erfolg­reiche Trans­for­mation unseres Geschäfts­modells wird sich jedoch an Produkten jenseits von Zeit­schriften und Websites fest machen müssen." Es gehe in die Rich­tung Frag­men­tie­rung der Bedürf­nisse, indi­vidua­lisier­bare Produkte.

Eigenes Strea­ming Magazin

Die Funke Medi­engruppe gibt seit Mitt­woch das TV-Magazin "Strea­ming" heraus. Chris­tian Hell­mann, Chef­redak­teur der Funke Programm­zeit­schriften, weiß von seinen Lesern, dass das lineare Fern­sehen noch lange nicht tot ist: "Ein großer Teil der Konsu­menten schätzt die vorge­gebene Zeit­struktur der Sender und nutzt Strea­ming-Inhalte entweder gar nicht oder nur ergän­zend."

Ein ähnli­ches Bild ergibt sich bei Hubert Burda Media. Der Chef­redak­teur TV Spiel­film, TV Today, Cinema und SerienMagazin, Philipp Schulze, sagt: "Wir haben mit 'TV Spiel­film' den Anspruch der ulti­mative Guide zu sein, sowohl für lineares TV als auch im Bereich Video-on-Demand." Seit Jahren gebe es Strea­ming-Infos. Das Medi­enhaus star­tete im Früh­jahr zudem ein Vergleichs­portal für Strea­ming im Internet - "Stream­picker". Schulze sagt aber auch: "An der Darstel­lung des linearen Fern­sehens halten wir in dieser Form aber grund­sätz­lich fest, da es von unseren Lesern und Usern nach wie vor erwartet und geschätzt wird."

Von der rtv Media Group, die zum Bertels­mann-Konzern gehört, ist zu hören: "Die Dynamik des Marktes ist groß." Das Unter­nehmen hat etwa das Magazin rtv im Port­folio, das Zeitungen beiliegt. Das Unter­nehmen bindet längst Strea­ming mit ein. Das Inter­esse der Menschen an Unter­hal­tung, Infor­mation und Show im Bewegt­bild sei insge­samt stei­gend, nicht sinkend. "Der Orien­tie­rungs­bedarf auch."

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