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Kurios: Gratis-Telefonate in roter Telefon­zelle aus England

Wirtschaftlich ergeben die Telefonzellen nur ab einem gewissen monatlichen Mindestumsatz Sinn. Das hat einen massenhaften Abbau zur Folge. Dieses Schicksal könnte sogar ein rotes Telefonhäuschen aus England ereilen.
Von dpa / Daniel Rottinger

So sieht die englische Telefonzelle in Melsungen aus So sieht die englische Telefonzelle in Melsungen aus
Bild: dpa
Vor zehn Jahren gab es noch 110 000 öffentliche Fernsprecher im Land, heute sind es noch etwa 30 000. Das Handy macht viele unrentabel. Doch manche Standorte kommen nicht aus der Mode.

Es gibt sie noch, die gelben Telefonzellen von früher. Oder solche, die D-Mark- und Pfennigsymbole neben den Münzschlitzen haben. Auch Kuriositäten sind darunter wie im nordhessischen Melsungen. Dort steht ein rotes Telefonhäuschen aus England. Sie alle scheinen angesichts der massenhaften Verbreitung von Mobiltelefonen etwas aus der Zeit gefallen zu sein - und tatsächlich werden Telefonzellen immer seltener genutzt. Also verschwinden sie an vielen Orten.

Telekom: 30 000  öffentliche Telefone in Betrieb

So sieht die englische Telefonzelle in Melsungen aus So sieht die englische Telefonzelle in Melsungen aus
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Derzeit sind der Deutschen Telekom zufolge bundesweit etwa 30 000  öffentliche Telefone in Betrieb. Ein rascher Schwund: Vor zehn Jahren gab es nach Zahlen der Bundesnetzagentur noch 110 000 Exemplare, im Jahr 2013 noch rund 48 000. Zahlen zur Entwicklung in den Ländern gibt es nicht.

"Grundsätzlich passen wir unseren Bestand an Telefonzellen fortlaufend dem Bedarf bei den Bürgern an", heißt es bei der Telekom. Der Bedarf freilich ist seit dem Handy-Boom nicht mehr allzu hoch: Die Bundesnetzagentur zählte zuletzt mehr als 113 Millionen SIM-Karten, die unter anderem in Mobiltelefonen stecken. Der Telekom zufolge bleiben die öffentlichen Fernsprecher "überall dort, wo es auch wirtschaftlich Sinn macht", in Betrieb, etwa an Bahnhöfen oder Flughäfen. In der Provinz kann es da schon anders aussehen. So sollen beispielsweise im mittelhessischen Lahnau noch in diesem Jahr die letzten Telefonzellen abgebaut werden. Bürgermeister Eckhard Schultz (SPD) sagt dazu: "Ich kenne keinen, der noch regelmäßig Telefonzellen benutzt".

Geringer Monatsumsatz: Betrieb nicht sinnvoll

In Lahnau gibt es noch zwei Münzfernsprecher und ein so genanntes Basistelefon. Die Häuschen hätten einen monatlichen Umsatz von unter zehn Euro, berichtet Schultz. Das sei nicht wirtschaftlich, die Gemeinde habe daher dem von der Telekom anvisierten Abbau zugestimmt. "Wenn Telefonzellen in frequentierten Bereichen wie Bahnhöfen stehen, dann macht das Sinn. Die hier stehen aber fast in der Landschaft".

In Darmstadt sind innerhalb von drei Jahren rund 30 Genehmigungen für einen Abbau von Telefonzellen erteilt worden. Auch im südhessischen Rüsselsheim gibt es immer weniger öffentliche Telefone. Etwa dreimal im Jahr kommen nach Angaben der Stadt Anfragen, ob wenig genutzte Standorte nicht demontiert werden können. Die Telekom kontaktiert die Kommunen, wenn sie kaum genutzte Telefonhäuschen abbauen will: Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei vereinbart worden, die Orte anzusprechen, "wenn auf deren Gebiet extrem unwirtschaftliche öffentliche Fernsprecher mit einem Umsatz von weniger als 50 Euro im Monat stehen". Der Umsatz sei ein "klares Indiz" dafür, dass in der Bevölkerung der Wunsch nach einer Grundversorgung an dieser Stelle offensichtlich nicht mehr bestehe.

Nutzer können kostenfrei ins deutsche Festnetz telefonieren - mit Zeitlimit

Anderes Bild in Hanau (Hessen), hier wird die Zelle als Bücherkasten genutzt Anderes Bild in Hanau (Hessen), hier wird die Zelle als Bücherkasten genutzt
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Das bekommt auch die englische Telefonzelle in Melsungen zu spüren: Die Stadt hat sie vor mehr als 30 Jahren im Rahmen einer Städtepartnerschaft geschenkt bekommen. Ein Telefonunternehmen biete dort Nutzern sogar an, eine gewisse Zeit kostenlos zu telefonieren. Allerdings nehme die Nutzung in Zeiten der Smartphones trotz des Angebots immer mehr ab, sagt Stadt-Mitarbeiter Mario Okrafka.

Aus Historikersicht ist die Entwicklung nachvollziehbar: "Es gibt in der Infrastrukturgeschichte die allgemeine Tendenz, die Zugänglichkeit solcher Angebote immer unabhängiger vom Ort zu machen", sagt der Gießener Professor für Zeitgeschichte Dirk van Laak. Insofern liege der Abbau von Telefonzellen im Trend.

Handy bietet räumliche Unabhängigkeit

"Das kann man ja schon beim Telefon zu Hause beobachten", erläutert van Laak, der zur Geschichte von Infrastruktureinrichtungen forscht. "Früher stand es im Eingang zentral platziert, später kamen dann immer längere Kabel hinzu, so dass man sich in sein eigenes Zimmer zurückziehen konnte. Und das Handy bietet natürlich eine räumliche Unabhängigkeit in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß".

Wenn eine Infrastruktureinrichtung verschwindet, sagt Wissenschaftler van Laak, "dann heftet sich da immer ein bisschen Sentimentalität und Nostalgie dran. Dann fangen alle an, die gelben Telefonzellen zu vermissen, oder die roten in England, die waren ja geradezu Kult. Während die neueren magentafarbenen, etwas nüchternen Zellen, eigentlich noch keiner vermisst".

Moderne Telefonzellen bieten Internet

Die modernen Exemplare sollen auch mit Mehrwert punkten: Es gibt Geräte, mit denen Nachrichten aufs Handy geschickt werden können oder die als Hotspots für die Internetnutzung dienen. Wen da die Nostalgie überkommt, der kann nach Brandenburg fahren. Dort gibt es ein großes Lager für ausgediente Telefonzellen.

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