Wohin steuert Deutschlands TV-Branche?
Gerhard Zeiler ist ein Paradebeispiel für Aufstieg in der Medienbranche. Der ehemalige RTL-Chef hat Deutschland längst den Rücken gekehrt und blickt heute aus seinem Büro über die New Yorker Skyline. Sein aktueller Arbeitgeber ist der US-Mediengigant Warner Bros. Discovery. Dort backt Zeiler keine kleinen Brötchen, der Österreicher ist für das gesamte internationale Geschäft des Konzerns zuständig. Ironischerweise umfasst das künftig ebenso den Streaming-Dienst HBO Max, wenn dieser voraussichtlich auch auf dem deutschen Markt ins Rennen geschickt wird.
Zeiler konkurriert dann mit seinem ehemaligen Arbeitgeber RTL bzw. dessen Streaming-Dienst RTL+. Gerade die deutschen bzw. europäischen Fernsehkonzerne stehen unter Druck wie selten zuvor, mit ihren Geschäftsmodellen Antworten für die Zukunft zu finden. Das betrifft auch die Konsolidierung der Branche insgesamt.
Beispiel ProSiebenSat.1
Bertelsmann-Chef Thomas Rabe sieht die deutsche TV-Branche vor Umbrüchen
Foto: Bertelsmann
Wie eine Konsolidierung auf dem deutschen TV-Markt aussieht, scheint den Medienkonzernen teilweise selbst nicht ganz klar zu sein. Beispiel ProSiebenSat.1: Dessen CEO Rainer Beaujean sieht die Zukunft seiner Sendergruppe auf nationaler Ebene, von europäischen oder gar globalen Zusammenschlüssen in der Branche will er zumindest für sein Haus nichts wissen.
Ganz anders sieht es ProSiebenSat.1-Großaktionär Media For Europe. In Mailand strebt man bekanntermaßen sehr wohl eine Konsolidierung der TV-Branche auf europäischer Ebene an und möchte dabei selbst eine zentrale Führungsrolle einnehmen. Wie soll man bei solchen völlig gegensätzlichen Vorstellungen auf einen gemeinsamen Nenner kommen? Man kann sich bei derart zentralen strategischen Fragen schließlich nicht einfach irgendwo in der Mitte treffen und nur ein "bisschen" international konsolidieren.
Aber mal angenommen, es würde speziell im Falle ProSiebenSat.1 tatsächlich dazu kommen, was wäre das Ergebnis? Schafft man einen schlagkräftigen internationalen Konzern, wenn sich zwei "schwache" hauptsächlich nationale Medienkonzerne zusammentun? Wird das Disney, Warner oder Netflix beeindrucken? Vermutlich eher nicht. Und was ist mit dem Werbegeschäft? Wollen italienische Unternehmen in Deutschland Werbung ausstrahlen? Wollen Italiener unbedingt Formate wie "The Masked Singer" oder "Joko und Klaas" sehen? Viel dürfte dabei für alle Beteiligten letztendlich nicht rumkommen.
Option nationale Konsolidierung
Bertelsmann-Chef Thomas Rabe ist vielleicht schon eher auf Wellenlänge von Beaujean. Auch er gilt nicht unbedingt als großer Befürworter einer europäischen Konsolidierung der TV-Branche. So hatte sich die RTL Group bereits von wesentlichen Beteiligungen in Europa getrennt. Nun könnten es RTL und ProSiebenSat.1 in Deutschland miteinander versuchen.
Abgesehen von grundsätzlich kartellrechtlichen Fragen erscheint so ein Modell für alle Beteiligten durchaus schmackhaft. Es gäbe nur noch eine große private Sendergruppe, die sich den Kuchen mit keinem wesentlichen Wettbewerber mehr teilen müsste. Und auch gegenüber US-Konkurrenz könnte man zumindest hierzulande sehr schlagkräftig auftreten. Doch selbst ein solcher Konzern wäre trotz seiner Größe außerhalb der Grenzen Deutschlands de facto bedeutungslos und hätte nach wie vor nicht das Budget oder die operativen Möglichkeiten von Netflix oder Disney. Vom Arbeitsplatzabbau mal ganz zu schweigen, der politisch ebenfalls nur schwer zu vermitteln wäre. Ein potenzieller Zusammenschluss der beiden Unternehmen erinnert ein bisschen an die geplatzte Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank.
Status Quo
Bleibt also die dritte Option: Man belässt alles wie es ist. Eine langfristige Perspektive ist aber auch das nicht, denn klar bleibt: Der Druck auf die TV-Branche wird in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht kleiner, der Werbekuchen gleichzeitig nicht größer. Amazon hat kürzlich bereits den Start seines werbefinanzierten Streamers Freevee in Deutschland angekündigt. Das dürfte ganz besonders ProSiebenSat.1 nicht schmecken, denn der Dienst schlägt mit seinem AVoD-Modell genau in die gleiche Kerbe wie "Joyn".
Warner Bros. Discovery wird künftig voraussichtlich mit HBO Max eher zum Mitbewerber, was außerdem die strategische Zusammenarbeit bei Joyn infrage stellt. Realistisch betrachtet sind die Optionen also insgesamt überschaubar. Vielleicht muss man aber auch einfach eingestehen, dass der Zug für die europäischen Medienkonzerne mit Blick auf organisches Wachstum bereits abgefahren ist.
Wie so oft spielt die Musik auf der anderen Seite des Atlantiks. Aber selbst die finanzstarken US-Medienkonzerne hätten wohl aus heutiger Sicht keine allzu große Lust mehr, ihr Kapital in die deutsche TV-Branche zu investieren. Übrigens sind sie damit nicht allein: Springer-Chef Mathias Döpfner hatte vor einiger Zeit mal in einem Interview durchblicken lassen, dass sein Konzern nach dem gescheiterten Einstieg bei ProSiebenSat.1 kein Interesse mehr an Abenteuern im deutschen TV-Geschäft habe. Die Zeiten seien schlicht vorbei.
In einer weiteren Meldung geht es um das Thema ProSiebenSat.1: Schluckt Berlusconi die Sendergruppe?