Umbrüche

Skandalogie: Der Shitstorm kann jeden treffen

Social Media und Internet-Skandale verändern die Gesellschaft: Forscher treffen sich zur Internationalen Skandalogie-Konferenz.
Von dpa / Marie-Anne Winter

Der Lügenpresse-Vorwurf ist eine besonders perfide Art der Skandalisierung. Der Lügenpresse-Vorwurf ist eine besonders perfide Art der Skandalisierung.
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Missbrauch in der Kirche, Überwachung zwischen Staaten und Bespitzelung von Bürgern - darum drehen sich viele Skandale. Diese haben durchaus ihren Nutzen: Sie zeigen, wie sich die Moral verändert. Das macht den Skandal auch in der Forschung populär. Zum ersten Mal treffen sich ab Donnerstag Wissenschaftler aus aller Welt zur Internationalen Skandalogie-Konferenz. Auch der Hamburger Forscher Steffen Burkhardt [Link entfernt] kommt dazu an die Universität Bamberg. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erklärt er, was wir aus Skandalen lernen können. Der Lügenpresse-Vorwurf ist eine besonders perfide Art der Skandalisierung. Der Lügenpresse-Vorwurf ist eine besonders perfide Art der Skandalisierung.
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dpa: Was lässt sich über Deutschland sagen anhand seiner Skandale?

Burkhardt: Wir erleben in Deutschland schleichende Umbrüche, die zu einer Gefahr für die Demokratie werden könnten. Und an den Skandalen lassen sich die Veränderungen ablesen. Die neue Welle von Datenschutz-Skandalen beleuchtet, dass sich das Verhältnis zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit verschiebt - und auch der Zugriff von Staat und Wirtschaft auf das Private. Die öffentliche Aufregung um das Abhören von Merkels Handy durch US-Geheimdienste, das offiziell als Lappalie in den deutsch-amerikanischen Beziehungen behandelt wird, zeigt: Da zeichnet sich ein gesellschaftlicher Wandel ab.

Den Gegner diffamieren

Derzeit ist der "Lügenpresse"-Vorwurf im Internet sehr präsent. Welche Rolle spielt hier das Skandalisieren?

Burkhardt: Es gibt eine spannende Konjunktur des Skandals in der aktuellen Politik. Er ist das Prinzip, den Gegner zu diffamieren. Die "Lügenpresse"-Agitation bestimmter politischer Bewegungen ist geradezu ein Widerspruch zum Prinzip einer freien, transparenten Öffentlichkeit, die auf dem Austausch von Argumenten beruht. Häufig packen ausgerechnet die, die behaupten, für neutralere Berichte zu kämpfen, den "Lügenpresse"-Vorwurf aus - um ihren politischen Botschaften mehr Gehör zu verschaffen. Das ist eine besonders perfide Form von Skandalisierung. So funktioniert auch Trumps Wahlkampf in den USA.

Welche Folgen hat es, dass sich Skandale im Internet schneller und weiter verbreiten als frühere Skandale?

Burkhardt: Wenn sich eine Behauptung, die den Ruf eines Menschen schädigen kann, virusartig durchs Netz verbreitet, schnell und nach dem Schneeballprinzip, bedeutet das: Das Opfer kann nicht so gut reagieren wie früher. Früher hatte man kurz nach Veröffentlichung noch die Möglichkeit, eine Reaktion vorzubereiten. Diese Zeit fehlt heute. Heute muss man schon vorher vorbereitet sein auf den Skandal, um überhaupt eine Chance zu haben, den Vorwürfen angemessen zu begegnen.

Die dunkle Seite der Gesellschaft

Haben wir schon begriffen, dass Skandale jeden treffen können?

Burkhardt: Nein, wir haben nicht im Ansatz begriffen, dass heute durch die digitalen Möglichkeiten jeder skandalisiert werden kann - für alles und aus dem anonymen Hinterhalt. Wenn wir uns etwa ansehen, was Ausländern im Netz alles unterstellt wird, sehen wir dunkle Seiten der Gesellschaft, die man auch an Stammtischen erlebt. Daran ist nicht das Internet schuld. Das Problem ist, dass man sich im Netz anonym äußern kann. Es kann nicht sein, dass Menschen andere und die Demokratie massiv schädigen können, ohne dafür einzustehen.

Steffen Burkhardt (38) forscht und lehrt als Professor für Medien- und Kulturtheorie, Medienforschung und Medienkompetenz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Schwerpunkte seiner Studien sind Globalisierung und digitale Öffentlichkeiten, politische Kommunikation, Journalismus und Social Media.

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