Mit der VHS-Kassette kam das Kino nach Hause
Bei Grundig in Nürnberg wurden beispielsweise VHS-Rekorder produziert
Bild: dpa
"Zurückspulen, bitte" - so hieß es früher stets, wenn
man eine Videokassette auslieh, die später zurückgebracht werden
musste. Die Sammlung im trauten Heim nahm viel Platz ein - von den
teilweise wuchtigen Abspielgeräten ganz zu schweigen. Um diese
denkwürdige Zeit geht es in der Dokumentation "Das VHS-Imperium - Als
das Kino nach Hause kam", die an diesem Freitag (1. September, 21.45 Uhr) auf Arte zu sehen ist.
In der Doku von Dimitri Kourtchine kommen viele Zeitzeugen zu Wort, etwa Video-Pioniere wie Marc Wielage und Ray Glaser, der über 2000 Kassetten im Betamax-Format sein Eigen nennt. Er sitzt vor einer imposanten Kulisse aus Abspielgeräten, die beträchtlichen Platz einnehmen. An einem klebt das Schild "Beta is better", das auf den jahrelangen Kampf der Systeme VHS (Video Home System, JVC) und Betamax (Sony) hinweist, wobei sich VHS schon bald nach der Markteinführung 1976 eindeutig durchgesetzt hat.
Die Sinnlichkeit des Vor- und Rückspulens
Bei Grundig in Nürnberg wurden beispielsweise VHS-Rekorder produziert
Bild: dpa
Der Rechtsanwalt von Universal, Stephen Kroft, berichtet von
illegalen Raubkopien, die damals gang und gäbe waren. Joshua
Greenberg, Autor des Buches "From Betamax to Blockbuster", der vor
einer ganzen Wand mit unzähligen Videokassetten zu sehen ist, und der
Produzent Mike Raso erzählen davon, wie es war, als die Zuschauer
nicht mehr ins Kino gehen mussten, sondern ihre Lieblingsfilme zu
Hause gucken und sogar aufnehmen und sammeln konnten. Filmemacher
Jörg Buttgereit (53, "Schramm", "German Angst") erzählt von der
Sinnlichkeit des Vor- und Rückspulens, bis schließlich der ganze
Rekorder heiß lief, und davon, dass mit der technischen Neuerung
nahezu jeder Videos auch selbst produzieren konnte.
Viele Produzenten begannen bald, Filme direkt für den VHS-Markt zu machen. So wurde das Videosystem das erste demokratische audiovisuelle Medium in der Filmgeschichte - inklusive der rasch zunehmenden Flut an mehr oder weniger guten Filme mit pornografischen Inhalten oder sportlichen Übungen, "Aerobic" genannt.
Doku zeigt Ausschnitte aus legendären Bändern
Lustige Ausschnitte daraus gibt es in der Doku ebenso zu sehen wie solche aus Musikfilmen und beliebten TV-Serien wie "Columbo" mit Peter Falk und "Kojak - Einsatz in Manhattan" mit Telly Savalas. Einige blutige Szenen aus Horrorfilmen sind allerdings nichts für schwache Nerven.
Teilweise erhebliche Qualitätsmängel wie schlechte Bildauflösung, störende Streifen im Bild und baldige Abnutzungserscheinungen des Magnetbands wurden damals durchaus als störend empfunden - aber eine Alternative gab es nicht. Mittlerweile wurde der Nachfolger der Videokassette, die DVD, bereits durch die Blu-ray und das Online-Streaming abgelöst, was bedeutet, dass der Zuschauer alle verfügbaren Filme jederzeit und nahezu überall anschauen kann.
Ein paar Videotheken immerhin haben bis heute überlebt. Umso tröstlicher erscheint es da, dass es - ähnlich wie bei der Schallplatte - ein Revival gibt, mit VHS-Vorführungen und neuen Filmhüllen im alten Look. Es werden sogar Filme im VHS-Stil gedreht, auch mit Hilfe diverser Apps. Zurückspulen hingegen ist nicht nötig.
Der letzte Hersteller von VHS-Rekordern in Japan stellte die Produktion vor rund einem Jahr ein. Und Deutschlands älteste Videothek in Kassel kämpft ums Überleben.