Nebenkostenprivileg: Vodafone macht Kompromissvorschlag
Wer darf entscheiden, welche Fernsehprogramme im Haus empfangbar sind? Wie kommt mehr Wettbewerb in die Häuser?
Foto: Vodafone Deutschland
Immer wieder wird über hochleistungsfähige digitale Infrastrukturen diskutiert. Gemeint sind schnelle Internetleitungen zum Kunden. Die aktuelle Pandemie hat uns gelehrt, das Internet zu Hause ist längst nicht mehr "zum Vergnügen" da, sondern auch immer mehr zum Arbeiten im Home-Office.
Es kann sein, dass im Keller eines Gebäudes schon Gigabitgeschwindigkeiten anliegen, die jedoch aufgrund der Gebäude-internen Uralt-Leitungen im Haus gar nicht bei den Bewohnern richtig ankommen.
Wegfall des Nebenkostenprivilegs?
Der europäische Kodex für die elektronische Kommunikation (EKEK oder ECEC) muss in das neue Telekommunikationsgesetz (TKG) eingebaut werden. Das bedeutet neue Regeln für Breitband- und TV-Anschlüsse in Mehrfamilienwohnhäusern. Seit dem Aufbau der Kabel-TV-Netze gibt es die "Umlagefähigkeit" für Anschlüsse und Dienste über die Betriebskosten (sogenanntes Nebenkostenprivileg) - das soll künftig wegfallen.
Telekom plädiert für Abschaffung - Vodafone übt Kritik
Wer darf entscheiden, welche Fernsehprogramme im Haus empfangbar sind? Wie kommt mehr Wettbewerb in die Häuser?
Foto: Vodafone Deutschland
Das Thema birgt einiges an Sprengstoff. Anbieter wie beispielsweise die Deutsche Telekom begrüßen dass ausdrücklich.
Bisher hatte der Betreiber einer Kabel-TV-Hausanlage ein Quasi-Monopol und konnte nach eigenem Geschmack festlegen, welche Programme und Dienste eingespeist werden und welche nicht.
Die Hausverwaltungen schlossen gerne langlaufende Rahmenverträge (bis zu 15 Jahre) mit Kabel-TV-Anbietern und überließen denen Aufbau, Pflege und Wartung der Anlagen. Der Effekt: Jahrelang tat sich dort nichts.
Über die teilweise ziemlich antiken Hausanlagen werden in erster Linie Fernsehprogramme übertragen. Wer Internet oder Telefon möchte, muss das extra bestellen und bezahlen. Radioprogramme sind heute fast nur noch über Internet-Streams zu bekommen.
Kabel-TV-Netze der "Bundespost" bei Vodafone "wiedervereint"
Das frühere Kabel-TV-Netz der "Deutschen Bundespost" musste seinerzeit auf Druck des Regulierers "zerschlagen" werden. Es wurde an zahlreiche regionale Gesellschaften verkauft. Kabel Deutschland (heute Vodafone Kabel Deutschland) war eine solche Gesellschaft, Kabel BW (BW für Baden-Württemberg, wurde später von Unitymedia übernommen) eine weitere. Unitymedia war in Nordrhein-Westfalen und Hessen aktiv. Alle diese Kabel-TV-Anbieter gehören heute zum Vodafone-Konzern.
Kein Wunder, dass Vodafone sich deutlich gegen Änderungen stemmt, weil sie flächendeckend über zahlreiche solcher Kabel-Anlagen-Verträge verfügt. Die lohnen sich für Vodafone doppelt: Um TV-Programme in diesen Anlagen eingespeist zu bekommen, zahlen - nach langem Rechtsstreit - sogar ARD und ZDF an Vodafone eine "Einspeise"-Gebühr, was kleinere Kabel-Anbieter, die absolut kein Geld für die Einspeisung bekommen, zu Recht massiv kritisieren. Die Hausbewohner zahlen dann über ihre Mietnebenkosten ebenfalls noch einen Beitrag.
Von 16,8 Millionen TV-Kabelanschlüssen werden in etwa bei 12,5 Millionen Wohneinheiten die Kosten über die Betriebskosten abgerechnet. Ein lukratives Geschäft.
Wer entscheidet über Programminhalte?
Vodafone oder ein anderer Hausnetzbetreiber kann relativ ungestört entscheiden, welche Programme sie einspeisen oder nicht mehr einspeisen wollen.
Hausbewohner, die spezielle Programme sehen möchten, müssen prüfen, ob der hauseigene Anbieter diese Programme im Grundangebot oder gegen Zusatzkosten liefern kann oder sich diese via Internet oder über eine Satellitenschüssel (sofern die montiert werden kann oder darf) besorgen.
Inhouse muss Glasfaser werden, auch für die Umwelt
Eine moderne Inhouse-Infrastruktur ist für datenintensive Anwendungen alternativlos. Ein Umbau auf Glasfaser schont gegenüber der veralteten Koax-Technik auch die Umwelt. Das hat das Umweltbundesamt herausgefunden. Von daher wäre es dringend notwendig, die Hausinstallationen zu modernisieren.
Wenn nun das Nebenkostenprivileg wegfällt, kann jeder Mieter entscheiden, über welchen Weg er TV-Programme empfangen will oder auch nicht. Da die Nebenkosten-Anschlüsse in der Regel relativ günstig sind, würden die Mieter nun reguläre Endkundenpreise je nach Anbieter bezahlen, was im schlimmsten Falle dazu führen könnte, dass finanziell nicht so gut versorgte Mitmenschen, auf diese Möglichkeit verzichten, um das Geld zu sparen.
Die Mietnebenkosten wurden bisher über Sozialleistungen finanziert, das würde dann erst einmal wegfallen. Der Kabel-Verteilungsverband ANGA rechnet mit Mehrkosten von bis zu 200 Euro im Jahr.
Wik-Conult hat Markt untersucht
Das Forschungsunternehmen WIK-Consult, das den Markt recht gut kennt, hat in einem Gutachten zum Nebenkostenprivileg vorgerechnet, dass in den 27 Staaten der EU im Durchschnitt 46 Prozent in (Miet-)Wohnungen leben, während es in Deutschland 58,5 Prozent sind.
Die Infrastruktur vieler Mietshäuser müsste dringend saniert werden, aber die langlaufenden Verträge mit den Kabel-TV-Anbietern verhindern das. Die Kabel-TV-Anbieter haben wenig Lust, ihre Netze zu modernisieren, weil es gewaltig Geld kostet. Außerdem könnte die Konkurrenz verlangen, die modernen Netze mitnutzen zu dürfen. Die Hausbesitzer dürfen - selbst wenn sie wollten - nicht von sich aus aktiv werden, weil ihnen das im Gestattungsvertrag untersagt ist.
Wo noch Koaxkabel-Netze liegen, neigen viele Kunden dazu, sich damit "zufrieden" zugeben, weil nach derzeitiger Lage ein schnellerer Glasfaseranschluss "extra" bezahlt werden müsste. Glasfaserausbauer machen deshalb um diese Gebäude einen großen Bogen. Es herrscht also Handlungsbedarf.
Quasi-Monopol soll abgeschafft werden
Wer Telefon oder Internet dazu möchte, bleibt gerne beim vorhandenen Kabel-TV-Anbieter, was den Wettbewerb im TK-Markt somit faktisch stark behindert. WIK rechnet vor, dass früher oder später die HFC-Koax-Kabel-Technologie an ihre Grenzen stoßen wird. Im Jahr 2025 werden 76 Prozent der Haushalte nach Übertragungsbandbreiten oberhalb von 500 MBit/s Megabit im Download und oberhalb von 300 MBit/s im Upload nachfragen.
Der Verband BREKO kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Der Hersteller Commscope sieht für das Jahr 2030 eine Nachfrage von 100 GBit/s pro 100 Teilnehmer voraus. Commscope sagt bereits für Mitte der 2020er Jahre das Ende der Leistungsgrenze von Koaxkabel-Netzen voraus. Die Lösung der Experten lautet "P2P Glasfasernetze".
Vodafone schlägt Kompromiss vor: 7 Jahre Verlängerung?
Das Nebenkostenprivileg war eine lukrative Geldquelle für Kabel-TV-Anbieter. Es soll abgeschafft werden. Anbieter leisten Widerstand, der Bundesrat will einen Kompromiss
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Vodafone hat nun einen "Kompromissvorschlag" unterbreitet. Er soll weiterhin günstige TV-Programme erlauben, aber die Wahlfreiheit der Mieter stärken.
Der Kompromiss-Vorschlag sieht vor, die Umlage für Glasfaser (7 Jahre) und weitere Netze mit besonders hoher Kapazität – sogenannte VHC-Netze (5 Jahre) – in Neubauten zu erhalten. Damit wäre es - so Vodafone - möglich, Deutschland tatsächlich bis 2025 – wie im Koalitionsvertrag vorgesehen – mit Gigabit-Geschwindigkeit zu versorgen.
Übergangsfrist für geordnete Umstellung
Vodafone schlägt analog zur Forderung des Bundesrates eine fünfjährige Übergangsfrist für Bestandsnetze vor, um einen "geordneten und für die Kunden problemlosen Übergang" zu ermöglichen. Die längere Übergangsfrist würde die Umstellung auf das Einzelinkasso erlauben.
Für Kunden - so stellt es sich Vodafone weiter vor - könnte es bereits nach zwei Jahren umfassende "Opt-Out"-Möglichkeiten und damit Wahlfreiheit geben. Damit könnte ein Ausgleich geschaffen werden, der günstige TV-Verträge für viele Kunden sichert, den Breitbandausbau deutlich beschleunigt und gleichzeitig mehr Wahlfreiheit für Kunden schafft.
Der BREKO-Verband hatte schon vorher vorgeschlagen, die Umlagefähigkeit rein auf den Bau und Betrieb der Glasfasernetze zu beschränken, die dann allen Anbietern diskriminierungsfrei geöffnet werden müssten, der Mieter müsste sich einen Anbieter frei heraussuchen und selbst entscheiden, welche Programme oder Dienste er haben möchte.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Wer zur Miete wohnt, hat meist einen Kabelanschluss, ob er will oder nicht, ob er ihn nutzt oder nicht. Die Installationen sind oft in katastrophalem Zustand, ein Anreiz, moderne Leitungen zu verlegen gibt es nicht. Eine Umlage, um davon ein offenes Netz für alle Anbieter aufzubauen und zu betreiben, wäre die richtige Lösung, auch wenn das den etablierten Anbietern nicht gefällt, weil es ihre langfristige Kalkulation total pulverisiert.
Für Menschen mit geringerem Einkommen muss es auch in Zukunft bezahlbare Angebote geben. Hier könnten Kabel-TV-Anbieter wie Vodafone die bisher gewährten Sondertarife an die Endkunden durchreichen, die Mehrkosten für die Einzelabrechnung sollten bei einer vernünftigen IT-Landschaft kein Problem darstellen.
Doch hier kochen viele (zu viele) Köche: Man darf gespannt sein, was da am Ende bei herauskommt.