Wenn Fernsehen nicht mehr genug ist: Das Phänomen Second Screen
Viele Fernsehzuschauer nutzen einen Second Screen. (Symbolfoto)
Foto: dpa
Laufen Krimis oder Quiz-Shows im
Fernsehen, haben Smartphone, Tablet und Notebook immer seltener
Pause. Nebenbei die richtige Antwort googeln, in der Vita eines
Schauspielers schmökern, einen Kommentar zur Sendung posten oder sich
mit der besten Freundin per Messenger über den neuen Seriendarsteller
austauschen - Second Screen macht es möglich.
Knapp jeder zweite Fernsehzuschauer (46,5 Prozent) ab 14 Jahren verwendete vergangenes Jahr beim Fernsehen mindestens ein zweites Gerät parallel, bei den 14- bis 29-Jährigen waren es sogar knapp 80 Prozent. Das geht aus dem Digitalisierungsbericht 2016 der Medienanstalten hervor. Und dabei erfährt der Second Screen mittlerweile mitunter schon mehr Aufmerksamkeit als der Fernseher.
"Der Second Screen, das Smartphone, ist eigentlich zum dauerhaft genutzten First Screen geworden", sagt Prof. Jens Müller, Medienwissenschaftler an der Business and Information Technology School (BiTS) in Iserlohn. "Dieses Gerät verbindet uns mit der Welt, verschafft uns jederzeit aktuelle Informationen, ist Lexikon mit Wikipedia, erklärt uns die Welt mit Google oder lässt uns mit einer von Millionen von Apps spielen."
Gibt es einen Mehrwert durch den Second Screen?
Viele Fernsehzuschauer nutzen einen Second Screen. (Symbolfoto)
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Ob der Second Screen den Nutzern einen echten Mehrwert bietet, müsse
jeder für sich selbst entscheiden. Noch befänden sich die
Fernsehsender in der Probierphase. Gut gemachte Angebote seien "wie
das berühmte Sahnehäubchen", so Prof. Müller, der auch in der
ZDF-Unternehmensplanung tätig ist. "Man nimmt es gerne, es schmeckt
auch, macht aber einen langweiligen Kuchen nicht zur Hochzeitstorte".
Die ARD etwa hat für ihren sonntäglichen Krimi-Klassiker Tatort eine App mit dem Second-Screen-Angebot "Live ermitteln" entwickelt. Dabei erscheinen die potenziellen Täter, Motive und zusätzliche Informationen sukzessive und parallel zur Handlung. Ziel ist es, den richtigen Täter-Tipp vor der Auflösung im Fernsehen abzugeben. Wer besonders aktiv ist, kann sich regelmäßig Bonuspunkte sichern und so im Status nach oben klettern - vom Zuschauer zum Polizeipräsidenten.
Fußball-Fans bietet die Sportschau im Ersten die Möglichkeit, auf Rechner oder Mobilgerät das letzte Tor noch mal in aller Ruhe anzuschauen sowie unter anderem O-Töne, Highlight-Videos, aktuelle Daten, Aufstellungen und Tabellen abzurufen. ZDF-Zuschauer können über die App Myview Spiele der Champions League aus unterschiedlichen Kameraperspektiven verfolgen, Tore aus beliebigen Blickwinkeln beobachten und in der sogenannten Webtribüne in Hintergrundinfos und Twitter-Kommentaren stöbern. RTL hat sein Second-Screen-Angebot mit Zusatzinfos und Programmhöhepunkten Videos Inside getauft.
Wie wirkt sich die Informationsflut auf den Zuschauer aus?
Spannend ist die Frage, wie sich die Informationsflut auf den Zuschauer auswirkt. Leidet die Konzentrationsfähigkeit oder wird sie sogar gefördert? Prof. Müller sieht dieses Thema ganz entspannt: Heute wolle niemand mehr darauf verzichten, alles zu jeder Zeit an jedem Ort auf seinen kleinen Bildschirm zu holen. Das Smartphone habe die Nutzer zu Multitasking-Experten gemacht. Trotz der vielfältigen Ablenkungen im Netz und insbesondere in den sozialen Netzwerken ist sich der Medienwissenchaftler sicher: "Beim entscheidenden Elfmeter oder dem Happy-End-Kuss konzentrieren sich auch alle mal wieder auf den First Screen."
Grundsätzlich stellen Apps und Second-Screen-Angebote für die Sender eine effektive Möglichkeit dar, um die Bindung zum Zuschauer zu steigern, sagt Prof. Müller. Gerade für die Privaten, die besonders auf den ökonomischen Erfolg schauen müssen, bieten sich auf diesem Weg völlig neue Optionen. Mehr treue Zuschauer und eine engere Bindung des Zuschauers an seine Lieblingssendung führen dem Experten zufolge unter Umständen zu höheren Werbeeinnahmen.
Die Fachhochschule St. Pölten hat erst kürzlich die Wirkung von Second-Screen-Werbung untersucht. Das Ergebnis der Studie: Zuschauer können sich besser an Marken erinnern und der Wiedererkennungseffekt ist höher, "wenn die Werbung gleichzeitig im Fernsehen und auf einem mobilen Endgerät gezeigt wird, als wenn die Werbung nur auf einem Kanal beziehungsweise Gerät betrachtet wird oder auf beiden, aber zu verschiedenen Zeitpunkten". Die Wahrscheinlichkeit, dass die Sender ihre Second-Screen-Aktivitäten weiter ausbauen, ist also hoch.