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Anga Com: Die Angst des Senders vorm neuen Fernsehen

Netflix hat dem Zuschauer gezeigt, wie bequem es ist, Sendungen auf Abruf zu nutzen. Bei der TV-Verbrei­tung über Glas­faser ist mit zeit­ver­setzten Funk­tionen noch mehr möglich. Doch was der Zuschauer will, ist nicht im Sinne eines jeden Programm­anbie­ters.
Von Marc Hankmann

Fern­sehen wann, wo und womit ich will – das ist, kurz gesagt, das Motto von IPTV, Fern­sehen, das über Glas­faser­netze über das Internet Proto­coll (IP) verbreitet wird. IPTV-Dienst­leister wie BrightBlue oder Ocilion bieten den Netz­betreiber nicht nur lineare Programme an, sondern auch neue Nutzungs­mög­lich­keiten wie den Neustart einer bereits laufenden Sendung (Restart) oder den Abruf einer Sendung, die bereits gesendet wurde (Replay). Mehr noch: Auch der Zugriff auf das Programm der vergan­genen Wochen ist möglich. „Die Möglich­keit, im Elec­tronic Programme Guide, dem EPG, nicht nur in der Zeit nach vorne, sondern auch zurück zu spulen, hat im Nutzer­ver­halten zu einer echten Verän­derung geführt“, sagte Tina Rodri­guez, Vice Presi­dent Enter­tain­ment beim Schweizer Unter­nehmen Sunrise UPC, auf der Anga Com. Screenshot EPG Komfortabel: Im EPG kann man nicht nur zukünftige Sendungen für Aufnahmen programmieren, sondern sich auch bereits gesendete anschauen - wenn der TV-Sender mitspielt und die Rechte dafür erteilt.
Ocilion IPTV Technologies GmbH

Wett­bewerbs­vor­teil gegen­über Sat-Empfang

Screenshot EPG Komfortabel: Im EPG kann man nicht nur zukünftige Sendungen für Aufnahmen programmieren, sondern sich auch bereits gesendete anschauen - wenn der TV-Sender mitspielt und die Rechte dafür erteilt.
Ocilion IPTV Technologies GmbH
Dieser Aussage schlossen sich die übrigen Teil­nehmer der Diskus­sions­runde vorbe­haltlos an. „Wir sehen, dass 80 Prozent der Nutzer mindes­tens einmal am Tag Times­hift-Funk­tionen nutzen“, fügte BrightBlue-Geschäfts­führer Savio Dias hinzu. Damit habe man als Netz­betreiber gerade abseits der Ballungs­räume einen entschei­denden Vorteil zum kosten­losen Satel­liten­emp­fang. „Hier gewinnen Netz­betreiber mit unseren Produkten 20 bis 30 Prozent Markt­pene­tra­tion“, erklärte Dias in der Panel-Diskus­sion.

Er ist sich zudem sicher, dass das in der Novelle zum Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz neue Glas­faser-Bereit­stel­lungs­ent­gelt einen Schub für den Glas­faser­ausbau in Häusern und damit für IPTV-Ange­bote mit sich bringen wird. „Mit einem Glas­faser-Inhouse-Netz werten Wohnungs­unter­nehmen ihre Immo­bilien auf und erhöhen die Mieter­bin­dung“, erklärt Dias. „Dazu tragen auch Netz­betreiber bei, die mit einer flexi­blen IPTV-Lösung die Ansprüche der Mieter nach bril­lanten TV-Bildern und inter­aktiven Zusatz­funk­tionen erfüllen.“

Rech­teer­werb trübt Nutzer­erfah­rung

Die schöne neue TV-Welt hat jedoch auch ihre Einschrän­kungen, auf die Detlev Fabri­tius auf der Anga Com hinwies: „Wir wollen unseren Kunden alles anbieten, was lizenz­recht­lich möglich ist“, sagte der Senior Produkt­mar­keting Manager TV beim Netz­betreiber M-net. Und lizenz­recht­lich ist noch nicht alles möglich, weshalb die IPTV-Dienst­leister ihren Kunden auch, wie BrightBlue-Chef Dias sie nennt, „Broad­caster-freund­liche“ Funk­tionen wie das Sperren der Vorspul-Funk­tion anbieten. Für die junge Ziel­gruppe ist insbe­son­dere wichtig, Inhalte überall konsu­mieren zu können. Hier zeigt sich aus Sicht von Marco Hell­berg, dass Miss­ver­hältnis zwischen Nutzung und Lizenz­kosten. „Die Out-of-home-Rechte sind die teuersten, aber die Nutzung ist sehr gering“, sagte der Mana­ging Director von M7 Germany auf der virtu­ellen Fach­kon­ferenz.

Screenshot Diskussionsrunde Anga Com 2021 Auf der Anga Com plädierten Branchenexperten dafür, gemeinsam mit TV-Sendern neue Erlösquellen im Target Advertising zu heben
Screenshot: MH Media
Nach Meinung von Gerhard Haid­vogel, Geschäfts­führer der kabel­plus GmbH, haben die Programm­anbieter das Gemein­same noch nicht erkannt, denn längst können die IPTV-Dienst­leister ziel­gerich­tete Werbe­funk­tionen anbieten (Targeted Adver­tising). Ab dem kommenden Jahr können Sender zum Beispiel bei Sunrise UPC im Replay Werbung vorschalten, soge­nannte Pre-Rolls. Die Schweiz hat den Vorteil, dass die TV-Sender den Netz­betrei­bern nicht das Recht vorent­halten dürfen, die Programm­inhalte zeit­ver­setzt wieder­zugeben. In Deutsch­land erlauben dies einige Sender, andere wiederum nicht. „Fest steht, dass uns eine Flicken­tep­pich-Erfah­rung nicht weiter­bringt“, sagt Rodri­guez und meint damit sowohl Netz­betreiber als auch Programm­anbieter.

Wenn der Zuschauer abwan­dert

Denn was passieren kann, wenn TV-Sender den On-Demand-Bereich vernach­läs­sigen, machte Ocilion-Geschäfts­führer Hans Kühberger an einem Beispiel aus seiner Familie deut­lich. Seine Töchter konnten zwei verpasste Episoden eine ARD-Daily-Soap nicht in der Media­thek finden und versuchten daher ihr Glück bei Amazon Prime Video. Dort fanden sie die Serie auf Anhieb und schauen sie nun auf Amazon anstatt in der ARD-Media­thek. Inso­fern warb auch Kühberger dafür, gemeinsam mit Netz­betrei­bern und TV-Sendern die Möglich­keiten für neue Erlös­quellen zu erschließen.

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