Anga Com: Die Angst des Senders vorm neuen Fernsehen
Fernsehen wann, wo und womit ich will – das ist, kurz gesagt, das Motto von IPTV, Fernsehen, das über Glasfasernetze über das Internet Protocoll (IP) verbreitet wird. IPTV-Dienstleister wie BrightBlue oder Ocilion bieten den Netzbetreiber nicht nur lineare Programme an, sondern auch neue Nutzungsmöglichkeiten wie den Neustart einer bereits laufenden Sendung (Restart) oder den Abruf einer Sendung, die bereits gesendet wurde (Replay). Mehr noch: Auch der Zugriff auf das Programm der vergangenen Wochen ist möglich. „Die Möglichkeit, im Electronic Programme Guide, dem EPG, nicht nur in der Zeit nach vorne, sondern auch zurück zu spulen, hat im Nutzerverhalten zu einer echten Veränderung geführt“, sagte Tina Rodriguez, Vice President Entertainment beim Schweizer Unternehmen Sunrise UPC, auf der Anga Com.
Komfortabel: Im EPG kann man nicht nur zukünftige Sendungen für Aufnahmen programmieren, sondern sich auch bereits gesendete anschauen - wenn der TV-Sender mitspielt und die Rechte dafür erteilt.
Ocilion IPTV Technologies GmbH
Wettbewerbsvorteil gegenüber Sat-Empfang
Komfortabel: Im EPG kann man nicht nur zukünftige Sendungen für Aufnahmen programmieren, sondern sich auch bereits gesendete anschauen - wenn der TV-Sender mitspielt und die Rechte dafür erteilt.
Ocilion IPTV Technologies GmbH
Dieser Aussage schlossen sich die übrigen Teilnehmer der Diskussionsrunde vorbehaltlos an. „Wir sehen, dass 80 Prozent der Nutzer mindestens einmal am Tag Timeshift-Funktionen nutzen“, fügte BrightBlue-Geschäftsführer Savio Dias hinzu. Damit habe man als Netzbetreiber gerade abseits der Ballungsräume einen entscheidenden Vorteil zum kostenlosen Satellitenempfang. „Hier gewinnen Netzbetreiber mit unseren Produkten 20 bis 30 Prozent Marktpenetration“, erklärte Dias in der Panel-Diskussion.
Er ist sich zudem sicher, dass das in der Novelle zum Telekommunikationsgesetz neue Glasfaser-Bereitstellungsentgelt einen Schub für den Glasfaserausbau in Häusern und damit für IPTV-Angebote mit sich bringen wird. „Mit einem Glasfaser-Inhouse-Netz werten Wohnungsunternehmen ihre Immobilien auf und erhöhen die Mieterbindung“, erklärt Dias. „Dazu tragen auch Netzbetreiber bei, die mit einer flexiblen IPTV-Lösung die Ansprüche der Mieter nach brillanten TV-Bildern und interaktiven Zusatzfunktionen erfüllen.“
Rechteerwerb trübt Nutzererfahrung
Die schöne neue TV-Welt hat jedoch auch ihre Einschränkungen, auf die Detlev Fabritius auf der Anga Com hinwies: „Wir wollen unseren Kunden alles anbieten, was lizenzrechtlich möglich ist“, sagte der Senior Produktmarketing Manager TV beim Netzbetreiber M-net. Und lizenzrechtlich ist noch nicht alles möglich, weshalb die IPTV-Dienstleister ihren Kunden auch, wie BrightBlue-Chef Dias sie nennt, „Broadcaster-freundliche“ Funktionen wie das Sperren der Vorspul-Funktion anbieten. Für die junge Zielgruppe ist insbesondere wichtig, Inhalte überall konsumieren zu können. Hier zeigt sich aus Sicht von Marco Hellberg, dass Missverhältnis zwischen Nutzung und Lizenzkosten. „Die Out-of-home-Rechte sind die teuersten, aber die Nutzung ist sehr gering“, sagte der Managing Director von M7 Germany auf der virtuellen Fachkonferenz.
Auf der Anga Com plädierten Branchenexperten dafür, gemeinsam mit TV-Sendern neue Erlösquellen im Target Advertising zu heben
Screenshot: MH Media
Nach Meinung von Gerhard Haidvogel, Geschäftsführer der kabelplus GmbH, haben die Programmanbieter das Gemeinsame noch nicht erkannt, denn längst können die IPTV-Dienstleister zielgerichtete Werbefunktionen anbieten (Targeted Advertising). Ab dem kommenden Jahr können Sender zum Beispiel bei Sunrise UPC im Replay Werbung vorschalten, sogenannte Pre-Rolls. Die Schweiz hat den Vorteil, dass die TV-Sender den Netzbetreibern nicht das Recht vorenthalten dürfen, die Programminhalte zeitversetzt wiederzugeben. In Deutschland erlauben dies einige Sender, andere wiederum nicht. „Fest steht, dass uns eine Flickenteppich-Erfahrung nicht weiterbringt“, sagt Rodriguez und meint damit sowohl Netzbetreiber als auch Programmanbieter.
Wenn der Zuschauer abwandert
Denn was passieren kann, wenn TV-Sender den On-Demand-Bereich vernachlässigen, machte Ocilion-Geschäftsführer Hans Kühberger an einem Beispiel aus seiner Familie deutlich. Seine Töchter konnten zwei verpasste Episoden eine ARD-Daily-Soap nicht in der Mediathek finden und versuchten daher ihr Glück bei Amazon Prime Video. Dort fanden sie die Serie auf Anhieb und schauen sie nun auf Amazon anstatt in der ARD-Mediathek. Insofern warb auch Kühberger dafür, gemeinsam mit Netzbetreibern und TV-Sendern die Möglichkeiten für neue Erlösquellen zu erschließen.