Schöne neue Arbeitswelt

Digitalisierung: Das Büro verändert sich im Turbo-Modus

Büro­klam­mern, Tacker oder Kartei­kästen - für junge Arbeits­for­sche­rinnen ist das "alles so 80er". Die Digi­tali­sie­rung der Büro­welten startet in vielen Bran­chen jetzt richtig durch. Was kommt da auf Millionen von Ange­stellten zu?
Von dpa /

Allein dieses Wort: Büro­klammer. Arbeits­sozio­login Setareh Radma­nesch wird ganz warm ums Herz. "Es hat so was Nost­algi­sches", sagt sie. "Da hängt so viel Arbeits­kultur dran." Mitte bis Ende des 19. Jahr­hun­derts kam die Büro­klammer in Mode. Mehr als ein Jahr­hun­dert lang fehlte sie auf kaum einem Schreib­tisch. Sie bekam sogar ihren eigenen Ehrentag: den 29. Mai.

Der ist aller­dings inzwi­schen viel­mehr ein Gedenktag. Denn wofür die Büro­klammer einmal stand, heißt für Arbeits­for­scher heute Cloud: Die digi­tale Wolke nimmt im über­tra­genen Sinn Vieles auf, was früher eine kleine Klammer zusam­men­gehalten hat.

Heute sind viele Tisch­platten leer

Das moderne Büro: Man bucht sich online einen Platz und bringt den Laptop mit (Symbolbild) Das moderne Büro: Man bucht sich online einen Platz und bringt den Laptop mit (Symbolbild)
Bild: Image licensed by Ingram Image
Wer heute in ein Büro kommt, sieht oft keine Schreib­tische mehr, auf denen sich Papier stapelt, Locher und Stif­tebox neben­ein­ander stehen und das Fami­lien­foto neben dem Telefon ein privates Revier markiert. Viele Tisch­platten sind nun leer. Wer hier arbeiten möchte, bucht sich online einen Platz und bringt den Laptop mit. Steck­dose und WLAN sind der Anschluss zur Arbeits­welt, Nach­barn wech­seln.

Dieser Wandel ist für Arbeits­for­schende rasanter als beim schlei­chenden Umbruch vor rund 30 Jahren. Damals ersetzte der Computer die Schreib­maschine, und das Internet eröff­nete eine neue Hand­lungs­ebene. Die neue Büro­welt kann viele betreffen: Nach Berech­nung des Insti­tuts der Deut­schen Wirt­schaft gab es Mitte 2022 rund 12,8 Millionen Menschen, die fest ange­stellt in Büros arbei­teten, rund ein Drittel mehr als vor zehn Jahren.

Hybride Arbeits­modelle

Gemischtes Arbeiten - teils im Büro, teils im Home­office - war 2022 oft schon selbst­ver­ständ­lich. Für Arbeits­wis­sen­schaftler kommt es auf Branche und Standort an, wie schnell weitere Verän­derungen nun in Büro­welten einziehen. Die Pandemie war für sie nur Beschleu­niger einer Entwick­lung, die in der IT-Branche und bei großen Indus­trie­unter­nehmen schon vor rund zehn Jahren begonnen hat.

Für Sozio­login Radma­nesch vom Tübinger Forschungs­institut für Arbeit, Technik und Kultur geht es dabei um das Aufbre­chen ange­stammter Arbeits­struk­turen - weg vom Herr­schafts­wissen Einzelner, hin zu Teams. Hinzu kommen ihren Worten zufolge klare und klein­tei­ligere Arbeits­auf­tei­lung, Trans­parenz, viel dichter getak­tete Effi­zienz-Nach­weise und eine laufende Fehler­ana­lyse. Das Tempo bestimme vor allem der ökono­mische Druck, der auf Unter­nehmen laste: Opti­mie­rung, Ratio­nali­sie­rung, Wett­bewerb.

Immer kürzere Abstände

Nicht alle Beschäf­tigten kommen bei der Viel­zahl der tech­nischen und sozialen Neue­rungen in immer kürzeren Abständen mit, wie die Wissen­schaft­lerin sagt. Radma­nesch promo­viert gerade zum Thema Inge­nieure in der neuen Arbeits­welt. Zweifel kämen manchmal nicht nur den Älteren, sondern auch Berufs­ein­stei­gern, berichtet sie. "Ein Inge­nieur fand zum Beispiel seine Einar­bei­tungs­zeit cool. Doch sein ganzes Berufs­leben wollte er nicht unter diesem perma­nenten Effi­zienz­druck stehen."

Radma­nesch ist Mitte 30. Sie fiel selbst aus allen Wolken, als sie von Berlin nach Tübingen zog und dort damals kein Fahrrad mit ihrem Handy ausleihen konnte. Sie traf auf Uni-Insti­tute, die Digi­tali­sie­rung kritisch sahen und es jetzt mit künst­licher Intel­ligenz wie dem Schreib- und Recher­che­pro­gramm ChatGPT zu tun bekommen. Für Radma­nesch ist Digi­tali­sie­rung in der Stadt Hegels und Hölder­lins kein Wider­spruch. Sie sieht in ihnen Vordenker einer geis­tigen Welt, in der Wissen vom einzelnen Menschen unab­hängig gemacht wird. Es gehe darum, zu lernen, neue Wissens­quellen klug anzu­zapfen.

Verän­derungen lassen sich kaum aufhalten

Kim Haußer ist Trend­for­scherin. Sie spricht von flexi­blen Büros, von "me- and we-spaces" - womit Ruhe­zonen zum Arbeiten einer­seits und Treff­punkte, gern mit bequemen Sofa­ecken, ande­rer­seits gemeint sind. "Büros werden immer mehr zu Orten der Begeg­nung, für krea­tives Schaffen im Kollektiv", sagt Haußer, die für das Münchner Trend­büro arbeitet. "Das ganz konzen­trierte Arbeiten passiert eher im Home­office."

Meetings im Büro müssten heute einen Mehr­wert gegen­über Online-Konfe­renzen haben, ergänzt Haußer. In ihrem Büro gibt es große Fenster, Aussicht auf ein Riesenrad und einen Barista auf der Dach­ter­rasse. Je nach Branche lockten Arbeit­geber heute mit ergo­nomi­schem Mobi­liar, gesundem Mittag­essen oder Sport­ange­boten ins Büro. Doch für sie gibt es ganz neue Heraus­for­derungen: "Auto­mati­sie­rung und Einsatz von künst­licher Intel­ligenz ziehen die Arbeits­welt auf links", prognos­tiziert sie.

Ziel: mehr Austausch und Zusam­men­arbeit

Arbeits­for­scherin Radma­nesch sieht die digi­tale Büro­welt bisher relativ gelassen. "Wir haben viel­leicht den Eindruck, dass wir weniger zusam­men­arbeiten, weil wir uns physisch seltener begegnen", sagt sie. "Aber im digi­talen Raum treffen wir uns dafür viel häufiger als früher im Büro. Und das ist das Ziel: Dass es mehr Austausch und Zusam­men­arbeit gibt."

Natür­lich komme es auf Rahmen­bedin­gungen an. Zum Beispiel, ob eine Beleg­schaft am Wandel betei­ligt werde oder Neue­rungen von oben verordnet bekomme. "Die Kultur, auch die Fehler­kultur in einem Unter­nehmen ist entschei­dend", resü­miert sie. Dabei gehe es auch um Hier­archien und Führungs­kräfte. Die Band­breite reiche von "krassem Mikro­con­trol­ling" bis hin zu soli­dari­schem Mitein­ander. "Dass es im Büro mensch­lich passt, ist entschei­dender als veganes Essen."

In einer Über­sicht haben wir kosten­lose Video-Konfe­renzen im Vergleich zusam­men­gestellt.

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