WEtell: Nachhaltiger und transparenter Mobilfunkanbieter
Die Gründer von WEtell (von links): Dipl.-Wirt. Ing. Alma Spribille, Dr. rer nat. Nico Tucher und Dipl.Ing. Andreas Schmucker.
Foto: WEtell gGmbH
Hört man sich um, was die (jüngeren) Menschen heute bewegt, hört man oft Themen wie Klimawandel oder Nachhaltigkeit. Deshalb sollen die zu kaufenden Produkte wenigstens irgendwie nachhaltig und umweltfreundlich, sprich ökologisch sein.
Vor einigen Jahren suchte der angehende Diplom-Ingenieur Andreas Schmucker aus Freiburg (Baden-Württemberg) einen Mobilfunkvertrag mit dem Schwerpunkt "Nachhaltigkeit und Datenschutz". Da fand er nichts Passendes. So keimte die Idee, einen eigenen Mobilfunkanbieter zu gründen, der "die Branche aufzumischen und neue Standards etablieren" sollte. Schmucker traf auf die in Freiburg lebende Diplom-Wirtschafts-Ingenieurin Alma Spribille und den Naturwissenschaftler Dr. Nico Tucher. Ideen wurden geschmiedet und verworfen, eine Kampagne gestartet, die seit Februar 2018 läuft.
Man habe viele Menschen begeistert und Partner überzeugt. "Wir haben Klimaschäden, Datenmissbrauch und Intransparenz satt" schreiben sie auf ihrer Homepage und wollen "eine Alternative zu den konventionellen Mobilfunkanbietern am Markt etablieren und ein Unternehmen aufbauen, das so arbeitet, wie wir es auch vom Rest der Wirtschaft erwarten: Klimapositiv. Datensparsam. Fair und transparent." Dazu haben sie sich schon Kooperationspartner ins Boot geholt: Die Elektrizitätswerke Schönau waren eine der ersten alternativen (Natur-)Stromanbieter, Alnatura ist durch seine Bio-Produkte bekannt geworden, ferner ist das Öko-Unternehmen "Shift" mit dabei.
Aus Green Calling wurde WEtell
Die Gründer von WEtell (von links): Dipl.-Wirt. Ing. Alma Spribille, Dr. rer nat. Nico Tucher und Dipl.Ing. Andreas Schmucker.
Foto: WEtell gGmbH
"Green Calling" sollte das Unternehmen zunächst heißen, doch dann wurde "WEtell" daraus, man wolle vom Wechsel (Change) erzählen. Nachhaltiges Banking, Ökostrom und sogar faire Smartphones gibt es schon, meinen die Initiatoren, die "nachhaltige Mobilfunktarife" anbieten wollen. "Mit WEtell telefonierst Du 100% grün" versprechen die Gründer. Sie wollen in Deutschland Solaranlagen bauen, um daraus mehr Ökostrom zu erzeugen, als die Nutzung der Mobilfunkinfrastruktur eigentlich benötigen würde. Sie haben richtig erkannt, dass ein Mobilfunknetz ziemlich viel Strom braucht, "wesentlich mehr, als die komplette Herstellung oder das tägliche Laden Deines Smartphones zusammen."
WEtell verspricht auf seiner Webseite weiter, dass "Deine Daten Deine Daten" sind. Wer wo mit wem und wie lange telefoniert, "geht ausschließlich Dich etwas an!" Sie versprechen keine Weitergabe der Daten an Dritte, keine Werbung, keine Cookies und "wir löschen Deine Verbindungsdaten so schnell es geht und Du es möchtest".
WEtell will auf allen Ebenen "fair und transparent" sein. Man biete "einfach verständliche Mobilfunktarife" an, ohne versteckte Kosten und verspricht "echten Service von Mensch zu Mensch". WEtell will einen "ethischen Umgang mit Geld" und nach den Richtlinien der Gemeinwohl-Ökonomie zertifizieren lassen.
Hohe Ziele und große Ansprüche
WEtell Change: Ein grüner, nachhaltiger und transparenter Mobilfunkprovider möchte von Veränderung erzählen und gehört werden.
Bild: WEtell gGmbH
WEtell möchte "einen Wandel im Mobilfunk, der neue Standards setzt". Das klingt auf den ersten Blick gut, ist aber schwierig umzusetzen. Man richte sich an "alle Menschen, die mit dem Status quo nicht zufrieden sind und sich für Veränderung einsetzen", man will die Werte Klimaschutz, Datenschutz, Fairness und Transparenz konsequent umsetzen. Für zukunftsfähiges Wirtschaften gebe es "wichtigere Dinge als Profitmaximierung", schreiben die Gründer. Langfristig möchte WEtell als "erfolgreicher Mobilfunkanbieter ein Zeichen" setzen und - basierend auf Nachhaltigkeit - Bewegung in die gesamte Branche zu bringen.
Netz: Telekom - Provider: newsim
Für sein Angebot hat sich WEtell das Mobilfunknetz der Deutschen Telekom (D1) ausgeguckt. Das Startup schließt aber noch keine direkten Verträge bei der Telekom ab, sondern hat für den Anfang einen "White-Label-Provider" namens newsim dazwischen geschaltet, der nach außen hin quasi unsichtbar bleibt. newsim sitzt in Marburg, wo es vor Jahren schon die Unternehmen Woodman und später Forester Telecom (Gesmo) gab, die ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgt haben.
Da die WEtell am Anfang noch keinen direkten Service-Provider-Status hat, werden die ersten Verträge direkt bei newsim abgeschlossen und laufen dort (theoretisch) auch weiter, falls WEtell unterwegs die Luft ausgehen sollte. Langfristig möchte WEtell irgendwann direkt mit der Telekom ins Gespräch kommen.
Drei Tarife zur Auswahl
Drei Tarifmodelle haben sich die Aktivisten aus Freiburg ausgedacht, die auf die originellen Namen "Ultrakurz", "Mittelwelle" und "Superfunk" hören. Alle WEtell-Verträge sollen von vornherein eine monatliche Kündigungsfrist haben.
Beim "Ultrakurz"-Tarif sind 300 Sprach-Minuten in alle deutschen Netze, 100 SMS-Nachrichten und 1 GB Daten pro Monat enthalten. WEtell macht in der Tarifbeschreibung von gleich darauf aufmerksam, dass beim "Ultrakurz"-Tarif nur 3G-Technologie (UMTS) (und 2G = GSM) nutzbar ist, mit einer maximalen Datenrate von 25 MBit/s. Wer mehr sms-t oder telefoniert, zahlt dafür marktübliche 9 Cent pro Mehr-Minute oder pro extra SMS. Für den Tarif "Ultrakurz" möchte WEtell 15 Euro pro Monat haben.
Wem LTE wichtig oder 1 GB Daten zu wenig sind, sollte mindestens die "Mittelwelle" wählen: Darin enthalten sind eine Allnet-Flat für Sprache und SMS, monatlich 3 GB Daten auch in LTE, wobei die maximal mögliche Datengeschwindigkeit 50 MBit/s beträgt. Telefonie über LTE (VoLTE) und WiFiCall sind derzeit noch nicht möglich. Für die Mittelwelle sollte man 30 Euro pro Monat investieren.
Der größte Tarif heißt "Superfunk", funktioniert wie die "Mittelwelle" und hat dann 8 GB Daten, ebenfalls mit LTE und maximal 50 MBit/s. Er soll 40 Euro pro Monat kosten.
Finanzierung durch Crowdfunding
Doch jede neue Idee braucht Geld, also wurde eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. Dafür wird Geld im Internet eingesammelt, das erst einmal "nicht angerührt" wird, bis eine bestimmte vorher bekannte Mindestsumme erzielt wurde. Die Kampagne wurde bei Startnext gestartet. Für die Gründung von WEtell haben sich die Gründer ein Ziel von mindestens 1000 Unterstützern oder 100 000 Euro gesetzt, die in der Crowdfunding Kampagne "Vertragsgutscheine" kaufen sollen, denn "Mobilfunkanbieter wird man nicht alleine".
Unterstützer erhalten einen Mobilfunkgutschein, den sie flexibel einlösen können, wann immer sie wollen, zum Beispiel wenn der aktuelle Vertrag endet. WEtell soll von Beginn an monatlich kündbar sein.
Ein Risiko bestehe nicht, versprechen die Gründer, das Mitmachen sei 100 Prozent risikofrei: Sollten das Finanzierungsziel nicht erreicht werden und wenn der Unterstützer keine WEtell SIM-Karte bekomme, gehe das Geld komplett zurück.
Mit der Crowdfundingkampagne will man ausreichendes Interesse an dem geplanten Mobilfunkangebot sicherstellen, bevor bei Banken und Partnern langfristige Verträge unterschrieben werden und damit großes persönliches Risiko eingegangen werde. Ab 100 000 Euro beziehungsweise mindestens 1000 verkauften Mobilfunkgutscheinen will WEtell im Jahr 2019 starten, sobald das Unternehmen aufgebaut sei, sollen "ein cooler Webshop, eine sympathische Hotline und funktionierende IT-Systeme" gehören. Dafür werde man "noch ab diesem Jahr 100 Prozent grün telefonieren und mobil surfen". Sollten sogar 200 000 Euro zusammen kommen, werde die Finanzierung ohne profitgetriebene Investoren noch einfacher und es könne früher losgehen.
Zur Unterstützung muss ein Konto bei Startnext eingerichtet (oder ein bestehendes verwendet) werden. Ein Unterstützer könnte 180 Euro (für ein Jahr "Ultrakurz") in den Crowdfunding-Topf einbezahlen, es sind aber auch 45 Euro für 3 Monate (Ultrakurz) möglich, dazu kommen einmalig 5 Euro, um den Crowdfunding-Anbieter Startnext selbst zu unterstützen. Startnext reserviert die Kartenzahlung auf der Kreditkarte, verspricht aber, es erst dann einzuziehen, falls das Projekt wirklich realisiert werden sollte. Gestern Abend, nur vier Tage nach dem Start, hatten etwa 260 UnterstützerInnen schon rund 46 000 Euro eingezahlt, die Frist läuft noch bis zum 31. März 2019.
Eine Einschätzung
Endlich "grünfunken", mit Postkarten, Plaketen und viel Aktivitäten auf Social-Media-Kanälen will WEtell-Change bekannter werden.
Grafik: WEtell gGmbH
Nachhaltigkeit, Datenschutz und Transparenz sind wichtige Ziele, aber in der Praxis oft sehr schwer umsetzbar. Besonders dann, wenn man nicht die komplette Lieferkette kontrollieren oder wenigstens durchschauen kann. Wenn ein kleines Unternehmen Mobilfunk verkaufen will, bekommt es ein "fertiges Produkt", das aus einer SIM-Karte, einer Datenbank nebst Abrechnungssystem und einem Mobilfunknetz und bestimmten Netzfunktionen besteht. Viel Einfluss oder gar Durchgriff, auf das, was in diesem Netz passiert oder nicht passiert, hat der Verkäufer dieser Produkte eigentlich nicht. Daher ist die Gefahr groß, dass gutmeinende Kunden später enttäuscht aussteigen könnten, wenn das Produkt doch nicht so grün und transparent sein sollte, wie man sich das vorgestellt hat.
Preislich liegen die Angebote von WEtell unter den direkten Mobilfunk-Angeboten der Telekom, falls man nicht Festnetz und Mobilfunk der Telekom kombinieren kann und damit noch günstiger fährt. Wer bei Congstar, der Discount-Tochter der Telekom unterschreibt, bekommt mit der Allnet Flat für 30,80 Euro pro Monat (plus 30 Euro einmaligem Bereitstellungspreis) gleich 10 GB Daten und LTE dazu, allerdings nur mit 25 MBit/s Geschwindigkeit (was in der Regel reichen sollte). Mit dem gesparten Geld müsste man dann "nachhaltigen Projekte", wie es die Macher von WEtell versprechen, dann auf eigene Faust unterstützen, um einen Effekt zu erzielen.
Funktionen wie Voice over LTE oder WiFi-Calling, die in unseren löchrigen deutschen Netzen heute eigentlich unabdingbar sind, wenn man auch mal außerhalb der Ballungsräume telefonieren will oder muss, können WEtell und newsim nicht bieten, weil die Telekom (und auch Vodafone) diese Funktionen aus nachvollziehbaren Gründen derzeit nur ihren eigenen Direktkunden anbieten möchten.
Nur: Einen Tarif ganz ohne LTE kann man guten Gewissens heute nicht mehr empfehlen, wenn ab 2020/21 wirklich mit der Abschaltung der UMTS(3G)-Sendestationen begonnen werden sollte. Schon heute scheinen 2G-GSM-Netze langsam ausgedünnt zu werden und mittelfristig nur noch als Basis-Netz für langsame Datenübertragungen für SMS und Maschinen genutzt zu werden. Vielleicht funktioniert noch das eine oder andere 2G-Telefonat für Kunden, die immer noch kein 3G oder 4G-fähiges Endgerät oder schlicht den falschen Mobilfunkvertrag (ohne LTE) haben.
Trotz aller Bedenken: Wer ein paar Euro übrig hat und das Projekt unterstützen möchte, kann nicht viel falsch machen, sollte aber das eingesetzte Geld (hier mindestens 50 Euro) im schlimmsten Fall verschmerzen können. Sollte das Projekt hingegen genügend Unterstützer finden, können Kunden, denen diese Themen wirklich Ernst sind, anschaulich beweisen, wie viel (mehr) Geld sie dafür ausgeben wollen.
Wir haben eine Karte bestellt und werden weiter berichten.