Anonyme Anrufe: Zurück in die Telefonie-Steinzeit
Ein Punkt des neuen Telekommunikationsgesetzes von 2021 sieht - wie bereits berichtet - vor, dass wahrscheinlich gefälschte deutsche Rufnummern beim Angerufenen nicht mehr angezeigt werden dürfen, der Anrufer kommt jetzt also seit dem 1. Dezember "anonym" oder "unbekannt", falls der Anrufer überhaupt noch durchkommt.
ACR verschluckt erwünschte Anrufer
Wer ruft da an? Die Erbtante, ein Freund im Urlaub oder Betrüger?
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Wer sich die Funktion "ACR" (Anonymous Callers Rejection) schalten ließ, die es im Prinzip bei jedem Anbieter geben muss (nur weiß nicht jede Hotline darüber Bescheid), wird sich höchstens wundern, dass bestimmte erwünschte Anrufer nicht mehr durchkommen. Anrufer, die ahnungslos gewohnte Rufnummern anwählen, erhalten eine Ansage, sie möchten doch bitte ihre Rufnummernübermittlung einschalten. Diese Ansagen dürften zutiefst verwirren, da sie völlig unschuldig in eine vom Gesetzgeber (un)gewollte Falle getappt sind.
Roaming-Anrufe aus dem Ausland - keine Nummer?
Wenn beispielsweise deutsche Mobilfunkkunden mit ihrer deutschen Karte im Ausland roamen und darüber zu Hause anrufen möchten, kommen sie aktuell nur noch "anonym", also ohne Rufnummer beim Angerufenen an. Das sollte so eigentlich nicht sein, denn die Vorschrift sieht ausdrücklich Ausnahmen für Mobilfunkrufnummern im Roaming vor.
Das ist aber technisch derzeit (noch) nicht lösbar. Also wird alles ausgeblendet, was irgendwie "komisch" sein könnte. Und damit gehen Anrufer verloren oder werden blockiert, was in bestimmten Situationen sogar gefährlich werden könnte (etwa bei Zwischenfällen im Ausland, wo wegen Sprachschwierigkeiten die Lieben daheim informiert werden sollen).
Ausländische Roaming-Kunden auch betroffen
Nicht nur deutsche Kunden, auch ausländische Roaming-Kunden in Deutschland, die von deutschen Teilnehmern angerufen werden, sehen unter Umständen keine ankommende Rufnummer mehr, wie Tests von teltarif.de ergaben. Eine Logik gibt es hier leider nicht. So ist die Chance, eine Rufnummer zu sehen, bei Einbuchung ins Netz der Telekom ("D1") noch am höchsten, aber sicher ist das nicht. Eine Karte von georg.at einem Discounter aus Österreich, der daheim im Netz von mobilkom A1 (Telekom Austria) aufgehängt ist, sah die Anrufer nur bei Einbuchen in das Netz der Telekom. Bei Vodafone (was beim Roaming bevorzugt genutzt wird) oder o2 blieb es anonym.
Ein Kunde von Yallo (Schweiz, gehört zum Netz von Sunrise) hatte Pech. Keine Nummer, auch im Telekom-Netz nicht.
Ruft z.B. ein Schweizer den Österreicher (beide in Deutschland) an, klappte es bei den Tests problemlos.
Wozu soll das gut sein?
Auch unter Android sieht man in vielen Fällen keine Rufnummer mehr. Erwünschte Kontakte werden mutwillig behindert.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass Rufnummern wie 110 oder 112 als Absenderkennung übertragen werden, weil damit ahnungslose Mitmenschen glaubten, Polizei oder Feuerwehr sei dran. Nur die riefen lange Zeit "anonym" an, inzwischen wird die Festnetz-Rufnummer der Telefonzentrale signalisiert.
Die Anrufer mit 110 oder 112 in der Anzeige waren Betrüger, die besonders gerne Senioren oder Menschen mit wenig Sprachkenntnissen überrumpeln wollten.
Wer bisher ohne Nummer anrief
In den letzten Jahren gab es eigentlich kaum noch anonyme Anrufe. Nutzer eines sehr alten Telekom-Festnetz-Anschlusses (aus den 1960-1980er Jahren oder älter), die nie Technologie oder Tarif gewechselt haben, übertragen teilweise bis heute keine Nummer. Auf Wunsch kann das aber eingeschaltet werden, nur muss man darauf achten, dass der Telekom-Hotliner nicht zur Buchung von neueren Tarifen oder Funktionen "überreden" will. Da heißt es hartnäckig bleiben.
Nutzer von "Vodafone zu Hause" übertragen ebenfalls keine Rufnummer. Bei diesem Produkt von Vodafone wird die ehemalige Telekom-Festnetznummer zu Vodafone portiert und bei ankommenden Anrufen auf eine Handy-SIM-Karte weitergeleitet, die in einer Art stationärem Handy landet, woran ein normales Festnetz-Telefon angeschlossen ist.
Würde man hier mit *31# vor der Rufnummer hinaus telefonieren, würde die dazugehörende Mobilfunknummer signalisiert. Das sorgt aber auf der Gegenseite eher für Verwirrung, wenn Festnetzkunden ohne aktuellen Tarif, wo eine Minute zum Handy 25 Cent kosten kann, zurückrufen wollen.
Anrufe ohne Nummer gab es auch bei Firmen, wo Service-Mitarbeiter außerhalb der Sprechstunde nicht mit Anrufen gestört werden sollten. Inzwischen wird die Rufnummer der Telefonzentrale (z.B. mit einer 0 am Ende) signalisiert.
Wenn die 0800-3307000 anruft
Wenn es eine Störung gibt, rufen Telekom-Service-Mitarbeiter den Kunden mit der Absenderkennung 0800-3307000 an, um ihr Kommen anzukündigen. Diesen Anruf muss man unbedingt annehmen und bestätigen, sonst kommt der Techniker nicht. Diese Rufnummer ist sogar zurückrufbar und führt innerhalb der vereinbarten Termin-Zeit zu genau dem Techniker, der dem Kunden zugeteilt ist, andernfalls zur zentralen Service-Hotline.
Dienstleister mit fremder Rufnummer
Hotline-Dienstleister, die im Auftrag einer Firma telefonieren, übertragen nicht die Rufnummer ihres eigenen Call-Center-Anschlusses, sondern eine Rufnummer der Firma, für die sie tätig sind, der Fachbegriff heißt "CLIP_no_sceening". Und das beschreibt auch das Problem. Niemand prüft wirklich, ob für die signalisierte Nummer eine Berechtigung vorliegt. In vielen Fällen ist das sinnvoll und wirklich gewollt, in besonders nervigen Fällen aber nicht.
Call-Center, die im Ausland angesiedelt sind (weil dort die Löhne drastisch günstiger sind), werden künftig ohne Rufnummer reinkommen, auch wenn sie durchaus Gutes im Schilde führen.
Wenige Betrüger haben alles verdorben
Betrügerische Call-Center signalisieren gerne Rufnummern, die es entweder gar nicht gibt ("nicht vergeben"), z.B. das "Maikrrosoft Sörwis Deparrtement". Oder Fake-Europol verwendete sogar "echte" Nummern von unbeteiligten Teilnehmern, die dann Rückrufe von Unbekannten bekamen. "Sie haben bei mir angerufen?" - "Nein, wer sind Sie?"
Lieb gemeint, falsch umgesetzt
Mit der neuen Regelung wollte der Gesetzgeber diesem Treiben ein Ende bereiten und hat nun genau das Gegenteil erreicht.
Entweder muss man jetzt jeden Anruf auf Verdacht entgegen nehmen, in der Hoffnung, es ist der Freund im Urlaub, oder die Erbtante mit Uralt-Anschluss oder ... es ist tatsächlich ein Call-Center, das Böses im Schilde führt.
Beschwerden gegen Spam-Anrufe sind nun auch nicht mehr möglich, weil keine Rufnummer mehr vorhanden ist, weder die echte Nummer des Anrufers (die amtliche Stellen sehen könnten) noch die gefakte.
Früher war alles besser?
In der guten alten Zeit staatlicher Telefon-Monopole wäre nie ein Beamter auf die Idee gekommen, mit gefälschten Nummern zu arbeiten.
Im Zeitalter von virtuellen Geschäftsmodellen, wo mit nicht fassbaren Dingen unendlich viel Geld verdient werden kann, sind viele "gute Sitten" längst verfallen.
Welche Lösungen gäbe es?
Wer eine Webseite im Internet aufruft, kennt das Vorhängeschloss im Browser, das eine verifizierte (signierte) Webseite ankündigt. Zwar sind auch hier Betrügereien möglich, aber doch sehr aufwendig und daher eher selten.
Bei Telefonverbindungen gibt es offenbar keine Zertifikate. Hier kann einfach irgendeine Absender-Rufnummer übermittelt werden, die dem Absender in den Kram passt.
Da Telefongespräche oft nicht mehr direkt zwischen A und B vermittelt werden, sondern rund um die Welt über aktuell günstige Wege geschickt werden, müssen allerlei Tricks angewendet werden, damit der Anrufer nicht mit ausländischen Kennungen verwirrt wird, weil der Original-Anrufer möglicherweise aus dem Nachbarort oder von einem Handy herkommt, aber über Nirwanistan und Taka-Tuka-Land geroutet wurde.
Ideale Lösung: Geprüfte Zertifikate
Die richtige Lösung wären Zertifikate, wo jeder Telefonteilnehmer für die Nummern, die er gebucht hat, ein Zertifikat bekommt, um diese Nummer zu übermitteln. Idealerweise würde das die Telefongesellschaft des Kunden übernehmen. Bei Firmen könnten solche Zertifikate auch an berechtigte Call-Center ausgeliehen und notfalls auch zurückgezogen werden. Solche Zertifikate würden dann in Deutschland vom BSI oder von vom BSI zertifizierten Ausgabestellen verteilt, etwa von seriösen und geprüften Telefongesellschaften.
Zweitbeste Lösung: Nummern mit * oder # markieren
Da die Einrichtung solcher Zertifikate Zeit braucht, wäre es sinnvoller, die übertragenen Rufnummern wieder einzuschalten und im Zweifelsfall mit einem Stern oder einer Raute zu markieren. Eindeutig verbotene Rufnummern wie 110, 112 oder 0137 oder 0900 können weiterhin komplett blockiert werden.
Wenn dann 0304530810* oder *0304530810 im Display erscheint, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es ein Anruf von teltarif.de ist, aber 100-prozentig sicher ist es halt nicht. Vielen Telefonkunden wäre damit aber mehr geholfen, als mit der derzeitigen "Null-Lösung".
Telefonbetrüger lassen sich immer neue Maschen einfallen.