Kapitalismus versus Verbraucher

Europäische TK-Firmen: Abstellgleis für Übernahmekandidaten?

Ende der Regulierung und US-Protektionismus in der Diskussion
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Europäische TK-Firmen: Abstellgleis für Übernahmekandidaten? Europäische TK-Firmen: Abstellgleis für Übernahmekandidaten?
Bild: EU, teltarif.de
Die am Wochen­ende durch­ge­sickerte Markt­studie der Telekom zum euro­päischen Tele­kommuni­kations­markt offen­bart ein mer­kwürdiges Welt­bild, das hinter der Inter­pretation der zweifel­los korrekten Fakten steckt. Wünscht sich die Telekom einen Raub­tier­kapitalismus im Stil der USA?

Die ersten Ergeb­nisse der Studie wurden von teltarif.de auf der Grundlage eines Berichts der Wirtschafts­woche am Samstag mitgeteilt, mittlerweile liegen uns weitere Details der Studie vor. Manche Ergebnisse und Inter­pretationen der Telekom, grade im Bereich der europäischen Regulierung des Tele­kommuni­kations­marktes, sind aus der Sicht von Branchen-Insidern sicherlich nach­voll­ziehbar und diskussions­würdig. Aus der Perspektive eines unbedarften Nutzers erinnern aber viele Vorschläge an den un­ge­hemmten Groß-Kapitalismus des Industrie­zeit­alters.

Die Position europäischer TK-Firmen auf dem Weltmarkt

Europäische TK-Firmen: Abstellgleis für Übernahmekandidaten? Europäische TK-Firmen: Abstellgleis für Übernahmekandidaten?
Bild: EU, teltarif.de
In der Studie werden die TK-Märkte von Europa, Nordamerika und Asien/Pazifik-Raum einander gegen­über­gestellt. Andere Märkte werden nicht be­rücksichtigt, ebenso­wenig wird angesprochen, was es inner­halb der Märkte an Bereinigungen (beispielsweise durch Fusionen, Insolvenzen oder Übernahmen) gibt.

Die Studie vergleicht die Umsätze und den IP-Traffic, die europäische, asiatische und nord­amerikanische TK-Unter­nehmen generieren. Das Wachstum des Traffics ist natürlich weltweit fest­stell­bar: Zwischen 2008 und 2016 wird dieses in Europa schätzungs­weise 836 Prozent betragen, in Nord­amerika 966 Prozent und im Asien-Pazifik-Raum sogar 1 006 Prozent. Die von der Euro­päischen Kommission stammenden Zahlen prognostizieren im selben Zeitraum für Asien ein Umsatz­wachstum von 40 Prozent und für Nordamerika von 35 Prozent. Die euro­päischen Firmen werden ein Umsatz-Minus von 10 Prozent einfahren.

In den USA wuchs der Umsatz pro Kunde bei drahtlosen Internet-Zugangstechniken zwischen März 2007 und September 2012 von knapp 32 auf 39 Euro, wohingegen er bei den europäischen Unternehmen von 28 auf 25 Euro sank (allerdings mit zwischenzeitlichen Steigerungen auf über 30 Euro). Überhaupt werden laut der Studie nur 10 Prozent des weltweiten Umsatzes im ITK-Segment von europäischen Unternehmen generiert. Die Studie führt sechs Marktsegmente auf, in denen die fünf dominierenden Firmen weltweit entweder amerikanisch oder asiatisch sind. Dies sind IT-Services, PCs/Notebooks, IT-Hardware, mobile Geräte, die Chipfertigung und Internet-Konzerne. Lediglich im Software-Bereich schafft es SAP auf Platz 5 weltweit, und bei den Netzbetreibern steht Telefónica auf Platz 4. Nur in einem Bereich finden sich drei europäische Firmen unter den fünf weltweit führenden, und zwar im Segment der Netzwerkausrüster (dies sind Ericsson, Alcatel-Lucent und Nokia-Siemens Networks).

Dieser Präsentation ist eine gewisse Tendenz nicht abzusprechen: Warum behandelt die Studie beispielsweise PCs/Notebooks, IT-Hardware und mobile Geräte getrennt voneinander? Hätte man aus dem Bereich der IT-Services nicht beispielsweise den Bereich der IT-Security ausklammern können, wo es zu vermuten ist, dass europäische Firmen besser aufgestellt sind? Eine weitere Grafik zeigt, welche europäischen Firmen in der letzten Zeit durch außereuropäische aufgekauft wurden oder demnächst werden. Es gibt aber keine Grafik darüber, welche (von der Studie geforderten) Konsolidierungsvorgänge bereits in Europa stattfinden, beispielsweise die Übernahme von E-Plus durch Telefónica oder der Aufkauf von Kabel Deutschland durch Vodafone.

Europäische Unternehmen: Reguliert, eingeschränkt, aufgekauft?

Die Studie möchte natürlich herausfinden, was der Grund für diese ganze "Misere" ist und kommt zu klaren Ergebnissen, die mitunter wie Schuldzuweisungen empfunden werden können. "Die europäische Telekommunikationsbranche ist durch jahrelangen, anhaltenden Regulierungs- und Wettbewerbsdruck geschwächt und droht international den Anschluss zu verlieren" ist ebenso zu lesen wie: "Der Börsenwert der europäischen Netzbetreiber ist seit Jahren rückläufig, während US-amerikanische Netzbetreiber und -Internetunternehmen ihren Wert kontinuierlich steigern."

Kein gutes Haar lässt die Studie an der Regulierung: "Mit der Liberalisierung des Telekommunikationssektors in den 1990er Jahren wurde [...] ein Sonderrecht in Form einer sektorspezifischen Regulierung eingeführt, die auf Preissenkungen, Marktzutritte und Absicherung eines breiten Spektrums von Geschäftsmodellen konzentriert war. Die intensive Preisregulierung der letzten Jahre hat, trotz massiv steigender Verkehrsdaten, zu immer geringeren Umsätzen und einem teils ruinösen Preiswettbewerb bei europäischen TK-Anbietern geführt. Empirische Studien belegen zudem, dass sich die sektorspezifische Regulierung trotz zunehmenden Wettbewerbs immer weiter ausgedehnt hat – insbesondere zu Gunsten derjenigen Unternehmen, die selbst keine eigenen Netze aufbauen sondern auf die Netze Dritter zugreifen. Hinzu kommen hohe Summen, die die Mobilfunknetzbetreiber für die Ersteigerung von Frequenzspektrum bezahlen müssen. Diese Mittel fehlen für den eigentlichen Netzausbau."

Ist die Regulierung wirklich an allem schuld?

Der TK-Markt in Europa sei mit über 200 nationalen Netzbetreibern stark fragmentiert und damit strukturell im globalen Vergleich "so nicht zukunftsfähig". Sinnvolle Zusammenschlüsse und Konsolidierungen würden von den Wettbewerbsbehörden kritisch gesehen und sogar untersagt. Es werde "dogmatisch dem obersten Ziel des Preiswettbewerbs zugunsten des Verbrauchers" gefolgt, für den man meine, eine bestimmte Anzahl von Anbietern im Markt halten zu müssen.

In den vergangenen 20 Jahren seien die Möglichkeiten des industriepolitischen Instruments der Fusionskontrolle zur Gestaltung Europas einer "Verwaltungsbürokratie" gewichen. Insgesamt habe sich in Europa "ein komplexes institutionelles Geflecht aus nationalen Regulierungs- und Wettbewerbsbehörden, supranationalen Regulierungsgremien und EU-Kommission" herausgebildet. Die Konsultations- und Entscheidungsprozesse seien aufwändig und zeitintensiv. Es fehle an einer "konsistenten und wirksamen Politik zur Stärkung des IKT-Sektors in Europa" und zur Förderung des Breitbandausbaus.

Ganz klar wird in der Studie das (teils verbraucherfeindliche und protektionistische) Vorbild der USA beschworen, das auf einen abgeschotteten Markt wert legt, der von staatlichen Institutionen bewusst gegen Angriffe von außen geschützt wird. Intern sollen die staatlichen Behörden der Schlussfolgerung zufolge ihre Strategie eher auf ein Wachstum des Marktes auslegen und nicht auf günstige Preise, Verbraucherschutz und einen starken Wettbewerb.

teltarif.de-Redakteur Alexander Kuch meint:
Alexander KuchDie Studie verkennt leider, dass in Europa ein wirtschaftliches Wachstum nur im Einklang mit dem Verbraucher funktionieren kann, weil mündige europäische Bürger kaum dazu bereit sind, für dieselbe Leistung einen höheren Preis zu bezahlen. Viele Umfragen zeigen allerdings, dass gerade deutsche Nutzer dazu bereit wären, für eine höhere Bandbreite und eine bessere Verfügbarkeit des Netzes auch einen (vernünftig) höheren Preis zu bezahlen. Dass die Telekom diese Gewinne wiederum in den Netzausbau steckt, kann man ihr nicht absprechen, doch bei anderen europäischen TK-Unternehmen hapert es da noch. Der Vorwurf einer uneinheitlichen und unübersichtlichen Regulierungspolitik mag für Europa durchaus berechtigt sein - doch diese Regulierung auf Kosten der Nutzer und zugunsten der Investoren im Sinne des Kapitalismus fallen zu lassen, kann nicht der richtige Weg sein.

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