Streit um 40 cm: Telekom-Mast kann nicht senden
Stolpe auf Usedom hat ein wunderschönes Schloss, aber kein Netz, weil sich die Telekom mit dem Landkreis um 40cm streitet.
Foto: Picture Alliance / dpa
Der Mobilfunk-Netzausbau sollte im Lande möglichst schnell vonstatten gehen, speziell in nicht versorgten Regionen. Die meisten Netzbetreiber geben Gas und bauen permanent neue Sendestationen auf. Doch ob diese Stationen dann auch gleich in Betrieb gehen können, ist nicht gesagt, besonders wenn zwischendurch der Amtsschimmel wiehert.
Stolpe auf Usedom muss im Funkloch warten
Stolpe auf Usedom hat ein wunderschönes Schloss, aber kein Netz, weil sich die Telekom mit dem Landkreis um 40cm streitet.
Foto: Picture Alliance / dpa
Es gibt einen Ort mit dem schönen Namen Stolpe, der liegt im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern auf der Insel Usedom. Dieser Ort hat "ein wunderschönes Schloss", berichtet uns ein teltarif.de-Leser, der schon dort war. Der Ort liegt direkt am Bodden (ein flaches buchtartiges Küstengewässer) und zieht daher in normalen Zeiten viele Touristen an.
Wenn die Touristen nicht da sind, leben 355 Einwohner in dem Ort. Hier gibt es bei allen Mobilfunk-Anbietern kein schnelles Internet und selbst GSM funktioniert nur ziemlich wacklig, falls überhaupt.
2017 erstmalig Mastbau angekündigt
2017 kündigte die Deutsche Telekom daher den Bau eines Mastes südlich der Gemeinde an, Bürgermeister Falko Beitz (SPD) freute sich auf Facebook.
Bei einer Versammlung hatten die Einwohner darüber abgestimmt, wo der Mast hingestellt werden sollte. Die Gemeinde verpachtete die Mastgrundfläche an die Deutsche Funkturm (DFMG), welche die kompletten Baukosten übernahm und den Mast auch betreiben wird. Für die Gemeinde könnten die Pachteinnahmen ein Beitrag zu zünftigen Dorffesten leisten, wenn (hoffentlich bald) die Corona-Krise überstanden ist.
Mastbaufirma insolvent
Doch dann passierte zunächst nichts, 2018 wartete man weiter. In der Geschichte war der Wurm drin. Die von der DFMG beauftragte Mastbaufirma "Europoles" baute nichts, sondern ging in Insolvenz.
Schließlich wurde im Frühjahr 2020 endlich das Fundament gegossen, der 40 Meter hohe Mast aufgestellt und im Juni 2020 die Elektronik angeschlossen, wie man auf der Homepage der Gemeinde nachlesen kann. Auch die Telekom kündigte den Standort an - teltarif.de berichtete.
Mast steht, aber Glasfaser fehlt
Bis dahin schien (endlich) alles in bester Ordnung, doch dann kam die dicke Überraschung: Der Mast kann nicht senden, weil die Signalzuführung per Glasfaser fehlt. Diese Leitung kann aber nicht gezogen werden, weil sich der zuständige Landkreis und die Telekom um die Verlegung des Kabels streiten, die Geschichte ging inzwischen sogar vor Gericht. Die Einwohner, allen voran ihr Bürgermeister, sind stinksauer.
Streit nach TKG Paragraph 68, Artikel 2
Der Landkreis Vorpommern-Greifswald als Straßenbaulastträger fordert eine Verlegetiefe des Kabels von 100 Zentimetern, während die Telekom dasselbe aus Kostengründen nur in 60 Zentimeter Tiefe verlegen will und eine tiefere Verlegung nach den Vorgaben des Telekommunikationsgesetzes Paragraph 68 Artikel 2 auch gar nicht erforderlich ist. Das Gesetz gibt der Telekom durchaus eine Rechtsgrundlage:
Telekommunikationslinien sind so zu errichten und zu unterhalten, dass sie den Anforderungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie den anerkannten Regeln der Technik genügen. Beim Träger der Straßenbaulast kann beantragt werden, Glasfaserleitungen oder Leerrohrsysteme, die der Aufnahme von Glasfaserleitungen dienen, in Abweichung der Allgemeinen Technischen Bestimmungen für die Benutzung von Straßen durch Leitungen und Telekommunikationslinien (ATB) in geringerer Verlegetiefe, wie im Wege des Micro- oder Minitrenching, zu verlegen. Dem Antrag ist stattzugeben, wenn 1.die Verringerung der Verlegetiefe nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Schutzniveaus (kommt) (...) (die folgenden Sätze 2 und 3 gelten bei Glasfasern nicht).
250 Meter in 60 oder 100 cm Tiefe?
Konkret soll es an der Kreisstraße 44 um einem etwa 250 Meter langen Abschnitt gehen, wofür zwei Montagegruben und zwei Straßenpressungen (das Kabel wird unter der Straße hindurch geschoben) notwendig wären. Dafür wollte der Landkreis 100 cm Tiefe haben, der Bauantrag der Telekom mit 60 cm wurde abgelehnt. Basta.
Gemeinde bietet Unterstützung an – Telekom muss ablehnen
Um Schwung in die Geschichte zu bekommen, hatte der Bürgermeister der Telekom sogar angeboten, dass die Gemeinde die zusätzlichen Tiefbaukosten infolge der notwendigen größeren Verlegetiefe von 60 auf 100 Zentimeter übernehmen würde. Beitz schreibt an die Telekom: „Es gibt inzwischen genug verzweifelte Bürgerinnen und Bürger, die sich mir gegenüber zu einer finanziellen Beteiligung bereit erklärt haben“.
Doch dieses gut gemeinte Angebot darf die Telekom nicht annehmen. Schuld ist das "europäische Beihilferecht": „Sobald ein Euro oder auch eine Dienstleistung der öffentlichen Hand fließt, ist dies als Beihilfe zu betrachten. Das löst ein vorgeschriebenes Verfahren (Markterkundung, Ausschreibung etc.) aus, damit alle in Frage kommenden Unternehmen die gleiche Chance haben, unter Inanspruchnahme der Beihilfe die gefragte Leistung zu erbringen“, erläutert ein Telekom-Sprecher das Problem. Und das könnte länger dauern.
Mit Schreiben vom 27. November 2020 erfuhr die Gemeinde, dass die Klage gegen den Landkreis noch laufe und die Telekom-Rechtsabteilung zum "größten Bedauern" den Ausgang des Verfahrens abwartet müsse.
Daseinsvorsorge scheitert an Bürokraten
Man kann ob soviel Amtsschimmel nur noch den Kopf schütteln. In Zeichen der Pandemie ist eine vernünftige Internetanbindung per Mobilfunk überlebenswichtig, aber hier streitet man sich um 40 cm auf 250 Metern.
Und da wundern wir uns, warum der Netzausbau im Land so unendlich langsam vorwärts geht.