Wenn TV-Lizenzen auf Tapeten verhandelt werden
Für Sendungen wie das "Aktuelle Sportstudio" muss das ZDF mit etlichen Rechteinhabern verhandeln
Bildquelle: obs/ZDF/Kerstin Bänsch
In analogen TV-Zeiten war die Welt klar geordnet: Ein TV-Sender kaufte bei Produzenten wie etwa den Hollywood-Studios ein und erhielt für die
lineare Weiterverbreitung seines Programms Geld von den Kabelnetzbetreibern. Seitdem jedoch das Fernsehen digital und das Internet als neuer
Verbreitungsweg hinzugekommen ist, verkomplizierte sich die TV-Lizenzierung. Jetzt geht es um Standard- und hohe Bildauflösung (SD und HD),
um die lineare Wiedergabe und Video on Demand (VoD, Mediatheken), um die Verbreitung in geschlossenen und offenen Netzen wie dem Internet.
Hinzu kommen neuen Funktionen wie die Speicherung einer TV-Aufzeichnung auf Servern (als Net oder Cloud PVR bezeichnet), Restart oder Replay, also der Start einer gerade laufenden bzw. das Ansehen einer bereits ausgestrahlten Sendung. Das potenziert die Möglichkeiten der Lizenzierung - und verkompliziert die Verhandlungen hierzu.
70 000 Verträge für ein Programm
Für Sendungen wie das "Aktuelle Sportstudio" muss das ZDF mit etlichen Rechteinhabern verhandeln
Bildquelle: obs/ZDF/Kerstin Bänsch
Dieses Lizenzierungschaos treibt irrwitzige Blüten, die der Nutzer ausbaden muss: Mal sind Aufnahmen möglich, mal nicht. Mal darf man eine Aufnahme
vorspulen, mal nicht oder nur mit maximal zweifacher Geschwindigkeit. Und bestimmte Inhalte sucht man in den Mediatheken vergeblich.
"Es gibt kaum noch eine Rechtssituation, die eindeutig geklärt ist", kritisiert Timo Seidel, Leiter Legal Content, Procurement and Technology von
Vodafone Deutschland.
"Selbst die TV-Sender wissen teilweise nicht, welche Rechte sie haben." Wenn Seidel mit Rechteinhabern oder TV-Sendern um Lizenzen verhandelt,
rollt er großen Tapeten aus, auf denen niedergeschrieben wird, welche Rechte man wie erhalten kann und welche nicht.
Das ZDF schließt zum Beispiel jedes Jahr rund 70 000 Verträge mit Rechteinhabern wie Hollywood-Studios, Produktionsfirmen, Komponisten, Drehbuchautoren etc. ab. "Es ist praktisch unmöglich, die entsprechenden Rechte individuell zeitgerecht zur Vornahme der Nutzungen zu erwerben", heißt es in einer Erklärung, die unter anderem von ARD und ZDF, dem Verbraucherzentrale Bundesverband oder Verwertungsgesellschaften wie der GEMA unterzeichnet wurde.
Angst vor illegalem Streaming
Keine Rechte erhalten: GigaTV muss seinen Nutzern das Vorspulen in Aufnahmen von RTL HD oder VOX HD untersagen. Bei ProSieben HD oder Sat.1 HD ist es aber ohne Probleme möglich
Quelle: Vodafone
Insbesondere die Lizenzierung für die Verbreitung über das Internet Protocol (IP) ist kompliziert. Viele Rechteinhaber verweigern eine Lizenzierung oder fordern hohe Sicherheitsmaßnahmen, weil sie eine illegale Verbreitung, insbesondere im offenen Internet, befürchten. Und natürlich wollen sie mit der Lizenzierung Geld verdienen. So ist es für einen Anbieter, der in einem geschlossenen Netz operiert einfacher an Lizenzen zu gelangen, als für Anbieter, die ohne eigene Netzinfrastruktur im offenen Internet unterwegs sind.
Die EU will mit einer Verordnung Abhilfe schaffen, doch die wird scharf kritisiert. Zum einen, weil sie großen Interpretationsspielraum lasse, wie die GEMA meint, und dadurch allgemein anerkannte Rechtsauffassungen ins Wanken bringen könnte. Zum anderen, weil die Verordnung den Bereich des offenen Internets schlicht außen vor lässt. Zu kurz gesprungen, ist die allgemeine Reaktion auf den Brüsseler Vorschlag.
TV-Sender zwischen den Stühlen
IPTV-, Web-TV- oder Kabelnetzbetreiber schauen gerne auf die Schweiz. Dort zahlen Rechtenehmer an die Verwertungsgesellschaft Suissimage und können danach Funktionen wie Net PVR, Restart oder Replay ohne weitere Restriktionen anbieten. Diese Kollektivlizenzierung gibt es in Deutschland nicht. Deshalb kann zum Beispiel Zattoo hierzulande kein Replay wie in der Schweiz anbieten.
Beim Thema Kollektivlizenzierung sitzen die TV-Sender jedoch zwischen den Stühlen. Einerseits würde es ihnen den Rechteerwerb wesentlich erleichtern, wenn nicht mit jedem einzelnen Rechteinhaber verhandelt werden müsste. Andererseits könnte das Zusammenfassen unterschiedlicher Rechte dazu führen, dass eben diese Rechte teurer werden. Das gilt insbesondere für den Sportbereich. Müsste das ZDF zum Beispiel für eine Sportart europaweite statt wie bisher nationale Ausstrahlungsrechte erwerben, würde das selbst das Budget des öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprengen - und es würde weit mehr als nur die Champions League aus dem Free-TV verschwinden.