Die Software Precobs soll Einbrüche verhindern helfen.
Bild: dpa
Es klingt wie der Traum eines jeden
Polizisten: Verbrechen verhindern, bevor sie überhaupt passieren. Bei
Wohnungseinbrüchen könnte das vielleicht sogar irgendwann klappen. Wie bereits berichtet,
testet auch die Polizei in Deutschland derzeit die Software Precobs,
die Einbrüche vorhersagen können soll. In Zürich
gingen mit dem Programm die Einbruchsfälle um 14 Prozent zurück. In
den besonders überwachten Gebieten sogar um 30 Prozent. Entwickler
und Ermittler machen sich dabei eine Erkenntnis zunutze: Viele
professionelle Einbrecher kommen innerhalb weniger Tage an einen
Tatort zurück. Forscher nennen das "near repeats"
(sinngemäß: Wiederholung in der Nähe).
Die Software Precobs soll Einbrüche verhindern helfen.
Bild: dpa
Auf dem Computer im Nürnberger Polizeipräsidium ist eine Straßenkarte
der Südstadt von Nürnberg zu sehen. Ein Gebiet darauf ist mit einer
roten Strichellinie umringt. Dort häuften sich in den vergangenen
Jahren Einbrüche mit einem ganz speziellen Muster: "Zwei Einbrüche
innerhalb von einem Radius von 300 bis 500 Metern und innerhalb von
sieben Tagen", erklärt der leitende Kriminaldirektor Karl Geyer. 34
solcher Gebiete gibt es in ganz Mittelfranken.
Daten von mehreren tausend Einbrüchen in den vergangenen sieben
Jahren wurden dafür in die Datenbank der Prognosesoftware "Precobs"
eingepflegt. Die Abkürzung steht für "Pre Crime Observation System".
Zwei zusätzlich geschulte Mitarbeiter arbeiten in Nürnberg mit der
Software. In der Datenbank stehen der genaue Tatort mit Straße und
Hausnummer, die Tatzeit, Beute und Begehungsweise.
"Jedes Täterverhalten ist musterbasiert", erklärt der
Analysespezialist Günter Okon vom Landeskriminalamt. Will heißen:
Professionelle Einbrecher gehen nach einem bestimmten Muster vor. Sie
wollen schnell drin und schnell wieder weg sein. Daher klauen sie
auch keine sperrigen Gegenstände wie einen großen Flachbildfernseher
oder Tresor, sondern meist Schmuck oder Bargeld. Ihr bevorzugter
Modus Operandi: "Bohren, Hebeln, Einschlagen", sagt Geyer. Keiner
steigt über eine auffällige Leiter in ein oberes Stockwerk ein.
Täter kehren an den Tatort zurück
"Der Täter kehrt an Tatorte zurück, wo er sich auskennt, wo etwas zu
holen ist, wo er die Fluchtwege kennt und wo er Erfolg hatte", sagt
Geyer. Profis wägen Risiken und Nutzen ab - und wenn ein Tatort gut
erscheint, kommen sie wieder. Nur diese Einbrüche können mit Hilfe
von "Precobs" vorhergesagt werden. Beziehungs- oder Gelegenheitstaten
sowie Beschaffungskriminalität von Drogensüchtigen fallen durch.
Passiert jetzt ein neuer Einbruch innerhalb eines rot markierten
Bereichs, schlägt die Software Alarm. Die Ermittler können nun davon
ausgehen, dass es in einem Radius von 500 Metern um den Tatort
innerhalb der nächsten sieben Tage zu einem weiteren Einbruch kommt.
Die Wahrscheinlichkeit dafür beträgt mindestens 70 Prozent.
Allein an einem Wochenende gab es in Mittelfranken zuletzt 34
Einbrüche - 19 davon in Nürnberg. Während der ersten zwei Wochen
Probebetrieb mit der Software wurde bereits 11-mal Alarm ausgelöst.
Drei Fälle konnten die Experten schnell als Beziehungs- oder
Gelegenheitstaten erkennen. In fünf der acht übrigen Fälle kam es
dann tatsächlich innerhalb von sieben Tagen zu einem Folge-Einbruch.
In Zürich waren sogar mehr als 80 Prozent der Prognosen zutreffend.
Die vom Oberhausener "Institut für musterbasierte Prognosetechnik"
entwickelte Software erkennt allerdings nur, dass an einem bestimmten
Gebiet viele Einbrüche passieren. Herauszufinden, warum genau dort,
ist weiter Sache der Ermittler.
"Wir verlassen uns nicht blind auf das System", betont auch Karl
Geyer. "Die Software ersetzt unsere normale Polizeiarbeit nicht,
sondern ergänzt sie." Jeder Alarm werde von einem erfahrenen
Kriminalbeamten geprüft. Und erst wenn dieser ihn als relevant
erkennt, wird entschieden, ob etwa mehr Streifenwagen in die Gegend
geschickt werden oder mehr Zivilbeamte. Durch die Präsenz der Polizei
sollen Einbrecher abgeschreckt werden. Außerdem sind die
Einsatzkräfte schneller am Tatort und ansprechbar für Zeugen, die
etwas Verdächtiges gesehen haben.
Einen Täter auf frischer Tat zu erwischen, bleibe dennoch schwierig.
"Wir werden nicht schon da stehen, wenn der Einbrecher kommt", sagt
Günter Lang, Leiter des Lagedienstes. "Aber wir rechnen mit mehr
Festnahmen." Das zeigt auch die Erfahrung in Zürich. "Wir erhöhen die
Wahrscheinlichkeit, dass wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort
sind", sagt Lang. Wenn während der Testphase nun tatsächlich weniger
eingebrochen wird, ist es zwar gut für die Bevölkerung, aber schlecht
für den Ruf der Software. "Man weiß ja dann nicht, ob die Prognose
falsch war oder die Täter von den Streifen abgeschreckt wurden", sagt
Geyer.
Ein halbes Jahr Probebetrieb
Der Probebetrieb soll sechs Monate laufen. Danach ist es eine
politische Entscheidung, ob die Software weiter verwendet wird. Er
könne sich aber kaum vorstellen, dass sie abgelehnt wird, sagte
Geyer. Nicht bekanntgeben will die Polizei, in welchen Straßenzügen
besonders oft eingestiegen wird. Darauf könnten sich Einbrecher
wiederum einstellen, und es könnte dort künftig auch schwierig sein,
noch eine Hausratversicherung abzuschließen - oder sehr teuer.
Mit dem Datenschutz sieht Geyer keine Probleme. "Es werden nur
anonymisierte Daten erfasst - also weder Opfer- noch Täterdaten." Der
Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Thomas Petri, will
das Programm trotzdem genauer untersuchen. "Wir werden uns die
Systemdokumentation vorlegen lassen, das überprüfen und dann eine
erste Einschätzung abgeben", sagt Petri. Die Frage werde sein, wie
Präzise die Vorhersagen sind. "Das kann im Einzelfall schon
personenscharf sein. Das muss man sich dann genau anschauen - wer ist
das Opfer und inwieweit ist das vom Gesetz abgedeckt?" Petri glaubt
aber, dass die wenigsten, die in einem besonders einbruchsgefährdeten
Gebiet worden, "Einwand dagegen erheben, wenn die Polizei mal
nachschaut".
Bayern ist das erste deutsche Bundesland, das eine solche Software
einsetzt. Das "Predictive Policing" wird aber wahrscheinlich
zunehmen. In den USA und Großbritannien wird mit Hochdruck an
ähnlicher Software geforscht. "Hier gibt es auch Modelle, um
personenscharf Vorhersagen zu treffen", sagt Petri. "Das erinnert
dann schon sehr an den Film Minority Report mit Tom Cruise."
Sogenannte Precogs - die Namensähnlichkeit mit der Software ist kein
Zufall - können darin Morde vorhersehen.
Kritiker halten Software-Einsatz für problematisch
Auch in der EU werden schon länger Projekte zum "Predictive Policing"
gefördert - etwa das Programm "Indect". Dabei sollen Computer mit
Hilfe von Überwachungsvideos in großen Menschengruppen auf "abnormes
Verhalten" aufmerksam machen. Matthias Monroy hält diese neuen
Überwachungsmethoden für sehr problematisch. Der Datenschutz-Aktivist
und Mitarbeiter des linken Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko sagt:
"Ich halte es für problematisch, wenn Software zur
Verbrechensbekämpfung eingesetzt wird. Denn wie bei einem
Suchergebnis von Google hält der Anwender das Ergebnis für wahr." Das
Ziel von "Precobs" sei, dass die Dichte der Polizeistreifen erhöht
wird. "Da werden dann Personen kontrolliert, weil eine Software das
bestimmt."
Monroy befürchtet, dass die Ordnungshüter vermehrt Menschen "nach
einem Vorurteils-Raster überprüfen, das ohnehin bei der Polizei
existiert". In Amerika nehme die Polizei schon jetzt oft Leute ins
Visier, nur weil sie schwarz seien oder einen Kapuzenpulli trügen.
"Stereotype gegen Unterprivilegierten werden verstärkt", glaubt
Monroy. Polizist Geyer dagegen sagt: "Ich würde es nicht als
Vorurteile bezeichnen, sondern als Erfahrungswissen." Es werde "keine
wahllosen Überprüfungen und Personenkontrollen" geben, sagt er.
Monroy fordert dennoch, dass die Datenschutzbeauftragten die
Arbeitsweise des Programms genau prüfen. Skepsis sei bei neuen
digitalen Ermittlungswerkzeugen immer angebracht: "Die Erfahrung hat
gezeigt, dass sie immer aufgebohrt und erweitert werden, wenn es sie
erst einmal gibt.