Gigaset GL7 im Test: Minidisplay für Pixel-Internet
Am Anfang der mobilen Telefonie waren riesige Kisten fürs Auto. Die wurden kleiner und handlicher. Dann kam das Smartphone und bis dahin marktführende Hersteller verschliefen diesen Trend und wurden böse bestraft. Man denke da nur an ein großes Unternehmen aus Finnland.
Auch in Deutschland verdiente ein großer Elektrokonzern teilweise mit Finanzen mehr Geld als mit seinen elektrotechnischen Produkten. Der Elektronik-Konzern Siemens war einst ein wichtiger Spieler auf dem internationalen Mobilfunkmarkt. Intern schwierige Abläufe und verpasste Chancen führten dazu, dass Siemens seine Handysparte an den taiwanesischen BenQ-Konzern verkaufte. Doch die hatten auch wenig Glück und mussten bald aufgaben.
Gigaset: Einst schnurlose Telefone von Siemens
Bei schnurlosen Telefonen war Siemens ebenfalls Marktführer gewesen, fand aber auch diese Sparte nicht lukrativ genug. Siemens verkaufte diesen Unternehmensteil, der unter dem bisherigen Produktnamen "Gigaset" weitermachte und sich inzwischen auch wieder an Mobiltelefone herantraut.
Das Frontdisplay des Gigaset GL7 informiert auch über eingehende Anrufe
Foto: teltarif.de
Glücklicherweise konnte das Siemens-Werk in Bocholt (Nordrhein-Westfalen) von Gigaset "gerettet" werden. Ein Bruchteil der Mitarbeiter von damals produziert dort heute wieder schnurlose Telefone für daheim und die Mobilfunknetze - aus Teilen, die aus Fernost angeliefert und in Bocholt zusammengesetzt werden.
Dass ein mobiles Telefon notwendig und sinnvoll ist, hat sich bei den Anwendern herumgesprochen. Aber manche Nutzer wollen nur telefonieren und auch das nur im Notfall. Da braucht es kein Smartphone mit unzähligen Funktionen, die gar nicht genutzt werden.
Gigaset möchte diese Zielgruppe bedienen und stellt dafür das Gigaset GL7 vor. Das Telefon scheint aus der Zeit gefallen, das Design ist sehr antik, eine Klappe unter der sich zum einen die große Tastatur befindet und in der anderen Hälfte das Telefondisplay.
Gigaset GL7: Einrichten für Fachleute
Bevor wir das Telefon nutzen können, muss eine SIM-Karte (Nano-Format) und bei Bedarf eine SD-Speicherkarte sowie der Akku eingelegt werden. Das sollte der Berater im Shop oder ein kundiger Nachbar oder ein Familienmitglied machen, denn für ungeübte Nutzer ist das eine schier unüberwindbare Hürde: Es gibt keine SIM-Schublade oder einen verschließbaren Schlitten. Nein, die SIM-Karte muss in der richtigen Orientierung unter einen Metallbügel geschoben werden (es können zwei SIM-Karten eingelegt werden). Anschließend kann die SD-Karte eingefädelt werden. Dann kann der Akku eingelegt werden.
Soll die SD-Karte später wieder herausgezogen werden, z.B. um die Möglichkeit zu bekommen, eine weitere SIM-Karte einzulegen oder die vorhandene herauszunehmen, ist fachliches Geschick und die Zuhilfenahme eines flachen Schraubendrehers oder eines SIM-Kartenwerkzeugs (nicht im Lieferumgang) zu empfehlen.
Aufladen über USB-C
Das Gigaset GL7 hat große Tasten: A,B,C können mit bevorzugten Telefonkontakten belegt werden
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Erstaunlich: Trotz des antiken Designs hat das GL7 eine USB-C-Ladebuchse. Dort kann der Stecker des mitgelieferten USB-Netzteils oder ein anderes USB-C-Kabel angeschlossen werden. Es gibt auch eine Ladeschale, die dann das Kabel aufnimmt. Im Innern der Schale finden sich zwei spitze Kontakte, die den Kontakt zum Handy an der Unterseite herstellen.
Nur, wenn man das Handy anschließt, weiß man nicht, wie voll der Akku ist, auch eine Ladeanzeige sehen wir nicht. Dazu müsste das Handy aufgeklappt und eingeschaltet werden, um das erkennen zu können.
Erste Versuche
Schalten wir das Gigaset GL7 ein: Dazu den roten Knopf "Hörer auflegen" solange drücken, bis das Gerät vibriert und der Schriftzug "Gigaset enabled by KaiOS" erscheint. Es können vier bis fünf Sekunden vergehen, bis sich etwas tut.
Das Handy spielt einen Gigaset-Werbespot ab und bittet mit "Starting, please Wait" weiter um Geduld, bis der Nutzer endlich aufgefordert wird, die SIM-PIN einzugeben.
Zwei weiße Tasten am oberen Rand übernehmen Kontext-sensitive Funktionen und die Einstellung der Uhrzeit und einige Logos erscheinen, bevor nach wenigen Sekunden der Bildschirm wieder dunkel wird.
Wir drücken eine beliebige Taste, oben im Display erscheint das Akku-Ladesymbol. Dieses ist aber so klein, dass es Menschen mit visuellen Beeinträchtigungen unter Umständen nicht gut erkennen können.
Bedienung nicht intuitiv
Ist das Display dunkel, muss erst eine Taste gedrückt werden, die das Display wieder belebt. Will man jemanden anrufen, reicht es nicht, die Nummer zu tippen, weil der erste Tipper nur das Display reaktiviert. Die Eingabe als solche ist dann aber verloren.
Ist die Nummer getippt, könnte man die mittlere der drei oberen Tasten drücken, um den im Menü beschriebenen Anruf auszulösen, es passiert aber nichts. Drücken wir die Aktionstaste (die innere Taste im Ring) und die Wahl beginnt. Stattdessen hätten wir auch - wie gewohnt - den grünen Hörer-Knopf verwenden können.
Wer WhatsApp-Nachrichten verschicken oder im Internet surfen will, hat nur diese zwölf Tasten zur Verfügung, plus den roten Knopf für die Fehlerkorrektur
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Beim Auflegen sollte nicht zu lange gedrückt werden, sonst schaltet das Gerät ab. Man wird aber vorher gefragt, ob man neu starten oder den Speicher bereinigen möchte.
Verschachtelte Menüfunktionen - für Kenner
Mit dem silbernen Ring um die Aktionstaste kann man Menüs und Funktionen auslösen. Den Ring nach links und dann nach oben oder unten gedrückt, bemüht die vorgeschlagenen Programme (WhatsApp, Facebook, YouTube, Google Maps oder Google Suche), ausgewählt wird mit der besagten Aktionstaste.
Wer sich vertippt hat, gelangt durch Drücken des roten Hörers eine Ebene zurück. Wählt man vom Grundzustand direkt den Knopf ohne Ring-Tasten, gibt es ein weiteres Menü, das mit "Shop" beginnt und mit "Browser" noch nicht aufhört.
Für Senioren, die mit den Enkeln in Kontakt bleiben wollen, ist der WhatsApp-Messenger gedacht. Man muss nur seine Handynummer angeben und die Bestätigungs-SMS abwarten und den Code eintragen. Dann kann es theoretisch losgehen. Bilder können verschickt werden, aber die Auflösung ist ziemlich pixelig und kein Vergnügen.
Web-Browser für Geduldige und KaiOS
Im Gigaset GL7 ist ein Web-Browser eingebaut, mit dem auch Webseiten aufgerufen oder YouTube-Videos angeschaut werden kann. Selbst für tadellos sehende Nutzer, die es lieben, kryptische Tastenfolgen und Menüs zu erforschen, ist das allerdings kein großes Vergnügen.
Das Gigaset GL7 läuft mit KaiOS. Die angezeigten Apps sind ab Werk installiert. Man braucht gute Augen und Fingerspitzengefühl
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Das Menü "Shop" lädt den KaiOS-Shop, wo es einige kostenlose Demo-Programme gibt. Damit man die laden kann, muss das Handy mit dem Internet verbunden sein, beispielsweise über eine SIM-Karte mit passendem Datentarif. Wir hatten noch eine SIM-Karte von Lebara zur Hand. Zur Nutzung muss noch der Internetzugangspunkt (APN) händisch eingetragen werden, was für unerfahrene Nutzer eine hohe Hürde darstellt.
Mitten beim Ausprobieren des KaiOS-Shops traf ein Software-Update für KaiOS ein (Version 0023). Man musste sehr genau die Tastenfolge einhalten und drücken, sonst reagierte das Handy nicht korrekt. Dass die Systemmeldungen für das Update auf Englisch erfolgen, mag man noch verschmerzen. Das Update war nach wenigen Minuten erfolgt, das Gigaset GL7 startete neu.
Wofür ist das Gigaset GL7 gedacht?
Was kann man mit dem Telefon den anfangen? Mit 144 Gramm ist es für ein Modell im klassischen Klapphandy-Design kein Leichtgewicht, aber Telefonieren funktioniert gut. Die Signal- und Klingeltöne erinnern an die schnurlosen Telefone von Gigaset und machen keine weiteren Probleme.
Ein Display auf der beim Zuklappen sichtbaren Vorderseite meldet sich, wenn ein Anruf ankommt, sonst bleibt es dunkel. Der klassische Akku hält einige Tage, da kommen heutige Smartphones einfach nicht mehr mit, denn sie müssen (fast) täglich an die Steckdose.
4G und VoLTE möglich, weitere Konnektivität
Das Gigaset GL7 bucht sich in 4G-Netze ein und zeigt das auch an. Sofern der SIM-Karten-Anbieter es unterstützt, kann auch über VoLTE telefoniert werden.
Sind zwei SIM-Karten eingelegt, erfolgt vor dem Rufaufbau die Abfrage, über welche Karte telefoniert werden soll. Das ist beispielsweise in Berlin wichtig. In der U-Bahn funktioniert oft nur o2 einigermaßen, oberirdisch können Vodafone oder Telekom auch deutlich besser sein.
Die Abfrage ist auch dann wichtig, wenn die geschäftliche und die private Rufnummer auf dem Handy abwechselnd genutzt werden sollen.
Im KaiOS-Shop gibt es ab und zu auch Software-Updates für das Handy
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Neben Wi-Fi und der möglichen Bildung eines WLAN-Hotspots für andere Nutzer beherrscht das Gerät auch Bluetooth und GPS. Die eingebaute Google-Landkarte funktioniert sogar, wenn auch die Positionsbestimmung einige Minuten benötigte.
Fazit: Besser nicht
Ein einfaches Tastentelefon mit Dual-SIM ist grundsätzlich eine gute Idee. Auch die Tatsache, dass das Gigaset GL7 Wi-Fi-Konnektivität beherrscht, ist zunächst einmal hervorzuheben. Gedacht hat der Hersteller auch an die 4G/LTE-Funktion und VoLTE (Telefonieren über LTE) funktioniert ebenfalls. Über die fehlende Ladeanzeige speziell in geschlossenem Zustand kann man hinwegsehen. Soweit so gut.
Es beschleicht einen aber das Gefühl, dass dieses Smartphone, dessen Tastatur-Layout an ein älteres Doro-Modell erinnert, ziemlich lustlos zusammengestellt wurde.
Das KaiOS-Betriebssystem mit App-Store und vielen Apps hätte man sich schenken können, denn das pixelige Minidisplay und die ruckelige Bedienung ist eine Zumutung - auch für Nutzer, die weniger Ansprüche an ein mobiles Gerät haben. Das jüngere Publikum greift in der Regel ohnehin zu einem Smartphone mit ausreichend großem Display.
Unsere Empfehlung: Wir raten von dem Gigaset GL7 trotz des vergleichsweise günstigen Preises von unter 90 Euro ab.