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Happy Birthday, Hvt-Vectoring!

Seit einem Jahr tobt in der Tk-Branche der Streit um den Hvt-Vectoring-Antrag der Telekom. Grund genug, zu rekapitulieren, was den Antrag so verzwickt macht und warum die Wettbewerber Sturm laufen.
Ein Kommentar von Hans-Georg Kluge

Die BNetzA muss jetzt über den Vectoring-Antrag der Telekom entscheiden. Die BNetzA muss jetzt über den Vectoring-Antrag der Telekom entscheiden.
Bild: teltarif.de
Seit einem Jahr tobt ein Streit in der Tk-Branche: Vor genau 12 Monaten hatte die Telekom bei der BNetzA beantragt, künftig VDSL Vectoring im Nahbereich um die Hauptverteiler (Hvt) einsetzen zu dürfen. Mit Vectoring möchte die Telekom weitere Haushalte mit bis zu 100 MBit/s ins Netz bringen (später noch etwas schneller). Technologisch gesehen bedeutet Vectoring aber: Hat ein Wettbewerber im Hauptverteiler eigene VDSL-Technik stehen, muss er diese entfernen, denn Vectoring schließt die Konkurrenz aus. Die Hauptverteiler gehören zur Infrastruktur der Telekom, die Wettbewerber haben dort aber möglicherweise auch eigene VDSL-Technik installiert. Niemand möchte aber seine Investitionen abschreiben, die Telekom wiederum möchte ihre Standorte nicht einfach räumen.

Abseits dieses sehr konkreten Problems weisen Gegner des Vectoring-Antrags der Telekom darauf hin, dass ein echter Breitbandausbau mit Glasfaser bis ins Haus der Kunden unumgänglich sei. Aber dieser Ausbau werde unrentabel, wenn mit Vectoring bereits schnelle Anschlüsse vorhanden sind. Und so tobt eine Lobby-Schlacht um den richtigen Weg zum schnellen Internet für alle. Mitten drin: Die Telekom, die Wettbewerber-Verbände VATM, Breko und Buglas sowie die Politik und deren Institutionen wie die Bundesnetzagentur.

Außerhalb des Nahbereichs ist Vectoring schon lange Realität. Im Nahbereich der Hvt sind rund 15 Prozent der Haushalte zu finden - nur um diese geht es bei der aktuellen Debatte.

Eine Frage der Ökonomie

Die BNetzA muss jetzt über den Vectoring-Antrag der Telekom entscheiden. Die BNetzA muss jetzt über den Vectoring-Antrag der Telekom entscheiden.
Bild: teltarif.de
Einig sind sich die Vertreter der Streithähne in einem Punkt: Es braucht mehr Breitband-Internet. Die Bundesregierung hat als Ziel ausgegeben, bis 2018 Anschlüsse mit mindestens 50 MBit/s flächendeckend anbieten zu können. Infrage kommt daher im wesentlichen ein Ausbau mit Glasfaser, Internet über das TV-Kabel oder technische Lösungen, um so schnelle Verbindungen über das klassische Kupferkabel zu realisieren, kurz: VDSL Vectoring. Für jede dieser Technologien ist es notwendig, dass die Festnetzinfrastruktur, also das Backbone-Netz mit Glasfaser realisiert wird. Reine Glasfaserinfrastruktur bringt die Glasfaser bis ins Haus oder gar die Wohnung, andere Ausbauarten führen die Glasfaser bis zum Straßenrand und in die dortigen grauen Kästen. Insgesamt rückt die Glasfaser mit Vectoring näher an die Kunden.

Offensichtlich ist eine vollständige Glasfaserinfrastruktur bis zum Kunden in puncto Ausbau recht teuer. Hier punktet dagegen Vectoring: Die Kupferkabel gehen ja schon in fast jede Wohnung - diese zu nutzen, spart also eine ganze Menge Geld. Hierin liegt die Krux und gleichzeitig der Grund, warum die Telekom so vehement Vectoring verteidigt: Zwar kann die Telekom mit Vectoring derzeit keine Anschlüsse mit höheren Ge­schwin­dig­keiten als 100 MBit/s schalten, dafür sind diese aber erheblich günstiger. Und nur wenige Verbraucher fordern tatsächlich 200 MBit/s oder mehr, und sind dann auch noch bereit, deutlich teurere Gebühren dafür zu bezahlen.

Im Unternehmensbereich ist dies ganz anders: Hier sind hohe Bandbreiten gefragt wie nie - ein 100-MBit/s-Anschluss für 20 oder 30 Mitarbeiter kann schon heute an seine Grenzen kommen. In Gewerbegebieten sind daher Gigabit-Anschlüsse beinahe Pflicht. Doch die Investitionen in eine vollständige Glasfaser-Infrastruktur kommen nur schleppend voran.

Gigabit-Gesellschaft: Ein Irrweg?

Kaum ein Symposium zur Digitalisierung oder dem Breitbandausbau kommt ohne den Verweis auf die Gigabit-Gesellschaft aus. Aber gibt es diesen Bedarf wirklich? Selbst Full-HD-Streaming ist bei einem Anschluss mit 100 MBit/s bei voller Auslastung in vier unabhängigen Streams möglich. Und wenn UHD ins Spiel kommt? Hier ist davon auszugehen, dass sich in den nächsten Jahren der HEVC-Codec durchsetzt. Damit dürfte ein 100-MBit/s-Anschluss weiterhin zwei oder drei Streams gleichzeitig packen - was den meisten Nutzern wohl ausreichen wird.

Doch beim Breitbandausbau geht es ja gerade nicht nur um individuelle Bedürfnisse. Was passiert, wenn der Bedarf an Bandbreite trotz allem weiter steigt (wovon trotz besserer Videokomprimierung auszugehen ist)? Wenn Multimedia-Dienste wie Radio, Fernsehen und nicht-lineares Streaming mehr und mehr Nutzer erreichen?

VDSL Vectoring: Die nur scheinbar günstige Alternative

VDSL Vectoring ist gewissermaßen eine fleischfressende Pflanze: Die Technologie lockt die Politik mit dem Versprechen, günstigen und schnellen Netzausbau zu realisieren. Langfristig schnappt aber die Falle zu: Einerseits wird die Telekom ihre (dennoch nötigen) Investitionen in Vectoring nicht in wenigen Jahren wieder abschreiben wollen, andererseits bleibt der Ausbau von Glasfasernetzen weiterhin unattraktiv, weil nur wenige Haushalte mit den höheren Bandbreiten tatsächlich zu locken sind.

Und so zementiert VDSL Vectoring (ob nun im Nahbereich um die Hvt oder um die Kvz) den Status quo. Im Nahbereich bliebe (beim aktuellen Stand) ein Monopol der Telekom. Wettbewerber werden weiterhin beim Ausbau finanziell ans Limit gehen müssen, weil die Refinanzierung über viele Haushalte kaum realistisch erscheint. Und die Telekom? Die lacht sich ins Fäustchen, denn mit den finanziellen Möglichkeiten eines Weltkonzerns lässt sich natürlich nach eigenem Willen auch mal eine Region ausbauen. Und wenn ein Wettbewerber dort einen Anschluss schalten möchte, dann klingelt es auch in der Telekom-Kasse. Denn die Telekom muss trotz Vectoring den Wettbewerbern einen Bitstream-Access zur den Teilnehmern ermöglichen - Ehrensache, dass die Telekom dafür eine Leitungsmiete kassieren darf.

Und trotzdem: Über Vectoring aus dem Hvt lassen nicht einmal alle Haushalte im Einzugsgebiet erreichen!

BNetzA-Beirat: Schwierige Entscheidungsfindung

Der Vorsitzende des BNetzA-Beirats, Klaus Barthel, sagte während eines Pressegesprächs, dass sich der Beirat intensiv auch mit den technischen Details beschäftigt habe. In insgesamt vier Sitzungen stand das Thema auf der Tagesordnung. Die intensive öffentliche Debatte habe sich auch in den unter­schied­lichen Positionen der Beiratsmitglieder widergespiegelt. Entsprechend zufrieden zeigte sich Barthel, dass es schließlich gelungen sei, weitgehend einen Konsens über die Stellungnahme des Beirats zum Vectoring im Nahbereich zu erzielen.

Doch können die Empfehlungen des Beirats die Diskussionen tatsächlich befrieden und versachlichen, wie es der Anspruch der Beiratsempfehlung ist? Die Verbände Breko, Buglas und VATM zeigten sich in Stellungnahmen grundsätzlich schon zufrieden. Allerdings bleiben sie bei ihrer Position: Vectoring führe dazu, den Glasfaserausbau zu verschleppen. Der Verband Breko weist darauf hin, dass der Beirat der BNetzA mitgegeben habe, auch alternative Zugangstechnologien wie Annex Q zu berücksichtigen.

Opposition kritisiert den Beiratsbeschluss

Tabea Rößner von den Grünen geht weiter. Sie ist Sprecherin der Bundestagsfraktion unter anderem zur digitalen Infrastruktur und äußerte sich kritisch zum Beiratsbeschluss vom 25. Januar.

Der Vorwurf der Re-Monopolisierung steht also weiterhin im Raum - nicht ganz unberechtigt, wie die vorangegangene Analyse gezeigt hat.

Breitbandausbau - wo geht es hin?

Auch wenn sich die Wettbewerber-Verbände zufrieden geben: Der Entscheidungs-Entwurf der BNetzA zum Hvt-Vectoring lässt sie alt aussehen - selbst, wenn man die Kommentare des Beirats der BNetzA berücksichtigt. Die wenigen Punkte, die die Wettbewerber erreichen konnten, sind letztlich zahnlose Tiger: Alternative Zugangstechnologien? Da es in dem Antrag um VDSL Vectoring ging, bleibt die Aufforderung, auch Technologien wie Annex Q zu berücksichtigen, eigentlich Makulatur. Dass die Telekom tatsächlich in großem Umfang Hauptverteiler ihres Netzes an Wettbewerber verlieren wird, erscheint ebenfalls eher Wunschdenken der Wettbewerber zu sein, denn die Hürden für den Vectoring-Ausbau durch einen Wettbewerber bleiben weiterhin hoch.

Die pragmatischen Fakten sprechen somit für die Telekom. Sie verspricht schnellen und bedarfsgerechten Ausbau. Und durch die Hintertür sichert sie sich auch noch Einfluss auf den Glasfaserausbau, der vielleicht irgendwann doch stattfindet. Die Wettbewerber sollten aber den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern stattdessen den Ausbau mit moderner High­speed-Infrastruktur forcieren.

Ein formeller Beschluss der BNetzA dürfte nun unmittelbar bevorstehen. Danach erfolgt eine Prüfung in Brüssel, wobei die EU-Kommission nur wenige Möglichkeiten hat, die Entscheidung zu beeinflussen. Im Herbst 2016 könnte dann der Ausbau losgehen.

Persönlicher Kommentar von Hans-Georg Kluge
Hans-Georg Kluge In diesem Sinne: Happy Birthday, lieber Hvt-Vectoring-Antrag! Wahrscheinlich wirst du auch nach einem Jahr weiterhin umstritten sein. Trotzdem bringst du ja auch etwas Gutes: Nämlich schnelleres Internet - wenn auch nicht so, wie sich das die Wettbewerber, manche Politiker und breitbandhungrige Unternehmen vorstellen. Mal sehen, wann der nächste Antrag kommt, der die Geschwindigkeit wieder etwas beschleunigen soll.

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