ProSiebenSat.1: Fokus auf Entertainment und Streaming
Es war der erste öffentliche Auftritt von Rainer Beaujean als neuer CEO auf der virtuellen Hauptversammlung von ProSiebenSat.1. Dem Manager war bei seiner Rede anzumerken, welche Last auf ihm liegt. Das klassische Fernsehgeschäft mit TV-Werbung ist bei der Münchener Sendergruppe vor allem durch die Corona-Krise um 40 Prozent eingebrochen. Druck kommt darüber hinaus vom neuen italienischen Großinvestor Mediaset, welcher das Management schon vorab wegen der bisherigen Strategie öffentlich im Nachrichtenmagazin "Spiegel" angegriffen hat. Der Konzern setzt nun voll auf den digitalen Wandel im Streaming und will sich wieder auf sein Kerngeschäft Entertainment konzentrieren.
Joyn und FYEO werden ausgebaut
Dr. Antonella Mei-Pochtler gilt als Vermittlerin zwischen ProSiebenSat.1 und Mediaset
Foto: ProSiebenSat.1 Media SE
Im Mittelpunkt stehen die zwei Streaming-Produkte Joyn und FYEO. Während Joyn als Mischung aus SVoD, AVoD und linearem Live TV als Aggregator-Plattform die Marktführerschaft anstrebt, setzt ProSiebenSat.1 bei seiner Podcast-App ebenfalls auf ein Freemium-Modell. FYEO dient als Aggregator für Audio Podcasts, ergänzt um eigenproduzierte Inhalte. Wer das ganze Angebot nutzen möchte, muss bei beiden Produkten zusätzlich ein Monatsabo abschließen. Hier wird schon deutlich, dass man sich weiter vom Werbemarkt abkoppeln will.
Gefüllt werden soll das Programm vor allem auch mit lokalen Inhalten, womit man offenkundig ein Alleinstellungsmerkmal aufbauen und sich stärker von den großen US-Plattformen Amazon und Netflix differenzieren will. Das Geld dafür soll vor dem Hintergrund wegbrechender Werbeumsätze wohl auch von den Aktionären selbst kommen, denn eine Dividende dürfte der Medienkonzern vorerst nicht mehr zahlen. Als Aktionär bedauere auch Beaujean selbst den Wegfall der Dividende, dies sei jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Geschäftssituation unvermeidbar. Langfristig wolle man aber an einer Ausschüttung von 50 Prozent des bereinigten Konzernjahresüberschusses festhalten.
Signal an italienischen Großaktionär
Die italienische Unternehmensberaterin Dr. Antonella Mei-Pochtler wurde außerdem in den Aufsichtsrat gewählt. Sie tritt die Nachfolge von Angelika Gifford an, die als Vice President Central Europe zu Facebook wechselte. Mei-Pochtler gilt unter Beobachtern als eine Vermittlerin zwischen ProSiebenSat.1 und dem italienischen Großaktionär Mediaset. Die Hoffnungen liegen nun darauf, dass sich die Wogen zwischen Mailand und München etwas glätten, schließlich werden beide Unternehmen nun quasi gezwungenermaßen zusammenarbeiten. In Zukunft wird allerdings auch damit gerechnet, dass Mediaset selbst eigene Vertreter in den Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 entsendet und den Zusammenschluss zu seiner Dachholding "Media For Europe" weiter vorantreibt. Wie lange dieser Prozess sich jedoch hinziehen wird, ist derzeit schwierig einzuschätzen.
Einschätzung: Digitalkonzern mit Mailands Gnaden
ProSiebenSat.1 will sich auf Entertainment und Streaming konzentrieren. Das ist zunächst gut und richtig, denn man tritt somit in einen direkten Wettbewerb zu den US-Anbietern Netflix und Amazon. Gleichzeitig kennt ProSiebenSat.1 den deutschen Markt besser als die amerikanischen Anbieter und hat mehr Potenzial für lokale Produktionen. Auf der anderen Seite stellt sich natürlich die Frage, woher das Geld langfristig kommen soll. Für den Werbemarkt sieht es zappenduster aus und Mediaset lehnt die Beteiligung am Portalgeschäft (Verivox, Parship etc.) ab.
Dann bleibt abschließend natürlich noch die Frage, ob am Ende auch die Nutzer wirklich auf Dauer bereit sind, für Joyn und FYEO zu zahlen. Gut möglich, dass sich das Management in Unterföhring aber schon bald ohnehin nicht mehr mit solchen Fragen beschäftigen muss. Zumindest könnte man aufgrund des Spiegel-Interviews mit Mediaset-Manager Marco Giordani den Eindruck gewinnen, dass die Italiener lieber heute als morgen das operative Geschäft bei ProSiebenSat.1 selbst in die Hand nehmen wollen.