Hauptversammlung

ProSiebenSat.1: Fokus auf Entertainment und Streaming

Die Situa­tion bei ProSiebenSat.1 ist durch die Corona-Krise offenbar noch weitaus schlimmer als manche Beob­achter befürchtet hatten. Der Werbe­um­satz ist um fast die Hälfte einge­bro­chen. Nun will sich das Unter­nehmen digital wandeln und auf lokale Inhalte konzen­trieren.
Von Björn König

Es war der erste öffent­liche Auftritt von Rainer Beau­jean als neuer CEO auf der virtu­ellen Haupt­ver­samm­lung von ProSiebenSat.1. Dem Manager war bei seiner Rede anzu­merken, welche Last auf ihm liegt. Das klas­si­sche Fern­seh­ge­schäft mit TV-Werbung ist bei der Münchener Sender­gruppe vor allem durch die Corona-Krise um 40 Prozent einge­bro­chen. Druck kommt darüber hinaus vom neuen italie­ni­schen Groß­in­vestor Mediaset, welcher das Manage­ment schon vorab wegen der bishe­rigen Stra­tegie öffent­lich im Nach­rich­ten­ma­gazin "Spiegel" ange­griffen hat. Der Konzern setzt nun voll auf den digi­talen Wandel im Strea­ming und will sich wieder auf sein Kern­ge­schäft Enter­tain­ment konzen­trieren.

Joyn und FYEO werden ausge­baut

Foto: ProSiebenSat.1 Media SE Dr. Antonella Mei-Pochtler gilt als Vermittlerin zwischen ProSiebenSat.1 und Mediaset
Foto: ProSiebenSat.1 Media SE
Im Mittel­punkt stehen die zwei Strea­ming-Produkte Joyn und FYEO. Während Joyn als Mischung aus SVoD, AVoD und linearem Live TV als Aggre­gator-Platt­form die Markt­füh­rer­schaft anstrebt, setzt ProSiebenSat.1 bei seiner Podcast-App eben­falls auf ein Free­mium-Modell. FYEO dient als Aggre­gator für Audio Podcasts, ergänzt um eigen­pro­du­zierte Inhalte. Wer das ganze Angebot nutzen möchte, muss bei beiden Produkten zusätz­lich ein Monatsabo abschließen. Hier wird schon deut­lich, dass man sich weiter vom Werbe­markt abkop­peln will.

Gefüllt werden soll das Programm vor allem auch mit lokalen Inhalten, womit man offen­kundig ein Allein­stel­lungs­merkmal aufbauen und sich stärker von den großen US-Platt­formen Amazon und Netflix diffe­ren­zieren will. Das Geld dafür soll vor dem Hinter­grund wegbre­chender Werbe­um­sätze wohl auch von den Aktio­nären selbst kommen, denn eine Divi­dende dürfte der Medi­en­kon­zern vorerst nicht mehr zahlen. Als Aktionär bedauere auch Beau­jean selbst den Wegfall der Divi­dende, dies sei jedoch vor dem Hinter­grund der aktu­ellen Geschäfts­si­tua­tion unver­meidbar. Lang­fristig wolle man aber an einer Ausschüt­tung von 50 Prozent des berei­nigten Konzern­jah­res­über­schusses fest­halten.

Signal an italie­ni­schen Groß­ak­tionär

Die italie­ni­sche Unter­neh­mens­be­ra­terin Dr. Anto­nella Mei-Pochtler wurde außerdem in den Aufsichtsrat gewählt. Sie tritt die Nach­folge von Ange­lika Gifford an, die als Vice Presi­dent Central Europe zu Face­book wech­selte. Mei-Pochtler gilt unter Beob­ach­tern als eine Vermitt­lerin zwischen ProSiebenSat.1 und dem italie­ni­schen Groß­ak­tionär Mediaset. Die Hoff­nungen liegen nun darauf, dass sich die Wogen zwischen Mailand und München etwas glätten, schließ­lich werden beide Unter­nehmen nun quasi gezwun­ge­ner­maßen zusam­men­ar­beiten. In Zukunft wird aller­dings auch damit gerechnet, dass Mediaset selbst eigene Vertreter in den Aufsichtsrat von ProSiebenSat.1 entsendet und den Zusam­men­schluss zu seiner Dach­hol­ding "Media For Europe" weiter voran­treibt. Wie lange dieser Prozess sich jedoch hinziehen wird, ist derzeit schwierig einzu­schätzen.

Einschät­zung: Digi­tal­kon­zern mit Mailands Gnaden

ProSiebenSat.1 will sich auf Enter­tain­ment und Strea­ming konzen­trieren. Das ist zunächst gut und richtig, denn man tritt somit in einen direkten Wett­be­werb zu den US-Anbie­tern Netflix und Amazon. Gleich­zeitig kennt ProSiebenSat.1 den deut­schen Markt besser als die ameri­ka­ni­schen Anbieter und hat mehr Poten­zial für lokale Produk­tionen. Auf der anderen Seite stellt sich natür­lich die Frage, woher das Geld lang­fristig kommen soll. Für den Werbe­markt sieht es zappen­duster aus und Mediaset lehnt die Betei­li­gung am Portal­ge­schäft (Verivox, Parship etc.) ab.

Dann bleibt abschlie­ßend natür­lich noch die Frage, ob am Ende auch die Nutzer wirk­lich auf Dauer bereit sind, für Joyn und FYEO zu zahlen. Gut möglich, dass sich das Manage­ment in Unter­föh­ring aber schon bald ohnehin nicht mehr mit solchen Fragen beschäf­tigen muss. Zumin­dest könnte man aufgrund des Spiegel-Inter­views mit Mediaset-Manager Marco Gior­dani den Eindruck gewinnen, dass die Italiener lieber heute als morgen das opera­tive Geschäft bei ProSiebenSat.1 selbst in die Hand nehmen wollen.

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