Moskau testet "smarte Stadtteile" unter realen Bedingungen
Die Stadt Moskau probiert smarte Vernetzung im Stadtteil Maryino aus.
Foto: DIT Moskau
Die Moskauer Stadtregierung hat in einem bereits länger existierenden Stadtteil der Millionen-Metropole einen "smarten Distrikt" eingerichtet. Dort wollen die Behörden "Spitzentechnologien für die Stadtentwicklung in einer bestehenden Nachbarschaft" testen. Die Ergebnisse sollen dann ausgewertet und in künftige Projekte wie die Moskauer Stadterneuerung fließen.
Der "intelligente Stadtbezirk" solle ein "lebendiges Labor für intelligente Technologien in der Stadt" werden. Dazu hat man sich eine Umgebung mit etwa 8000 Einwohnern herausgesucht. Ziel ist es, die Akzeptanz bestimmter Verfahren bei der Bevölkerung zu testen. Was wird wirklich genutzt und wie oft?
Smartes Wohngebiet in Maryino
Die Stadt Moskau probiert smarte Vernetzung im Stadtteil Maryino aus.
Foto: DIT Moskau
Im April 2018 begannen die Behörden mit dem Aufbau der neuen Technik in ausgewählten Gebäuden im Bezirk Maryino im Südosten von Moskau. Dieser Stadtteil umfasst sieben Wohngebäude, die zwischen 1996 und 1998 errichtet wurden. Jedes Wohngebäude ist etwas anders gebaut, der gesamte Komplex beherbergt 2044 Apartments auf einer Grundfläche 105.000 Quadratmetern. Jedes Apartment hat somit im Schnitt etwa 50 Quadratmeter Wohnfläche, ein in russischen Großstädten durchaus üblicher Wert.
Interessanterweise neigen die Planer bei der Einführung neuer Technik dazu, ganz neu erbaute oder leere bzw. verlassene Gebiete auszuwählen, um dort von Grund neu anzufangen. Das kann oft schneller, einfacher oder kostengünstiger sein. In Moskau wollte man erforschen, was in einer bereits bestehenden Wohnungsumgebung mit moderner Technologie heute schon möglich ist. Dabei ging man sehr pragmatisch vor: In realer Umgebung erprobte Technologien sind schneller an das Leben moderner Bürger anpassbar. Jetzt erhalten die Projekt-Entwickler sofort Rückmeldungen und können die Anforderungen der Betroffenen in Echtzeit ändern, um schließlich die Akzeptanz zu erhöhen.
Die neuen Systeme betreffen beispielsweise Heizung, Beleuchtung oder Abfallsammlung. Ausgewählte Wohngebäude wurden mit bis zu 29 verschiedenen "intelligenten" Technologien ausgestattet.
- Intelligentes Heizen: Die Wärmezufuhr soll abhängig von der Außentemperatur geregelt werden, damit sollen bis zu zehn Prozent des Energieverbrauchs eingespart werden können.
- Schlaue Beleuchtung: Durch Sensoren in Eingangshallen eines Hochhauses können die Energiesparlampen ausgeschaltet werden, wenn sich niemand in der Nähe befindet. Dadurch ist eine Einsparung von bis zu 80 Prozent möglich.
- Intelligente Überwachung: Jeder Einwohner soll auf die Überwachungsdaten der im Stadtteil installierten Kameras zugreifen können.
- Smart Metering: Die Verbrauchsdaten von Heizungsenergie oder Frischwasser werden autonom an die Rechenzentren der Versorgungsunternehmen übermittelt.
- Öko-Monitoring: Eine eigene Wetterstation überwacht die Luftfeuchtigkeit, den Wind und die Temperatur in Echtzeit.
- Smartes Müll-Management: Selbstlernende Überwachung von Sortierung und Sammlung von Müll mit Online-Überwachung. Jeder Behälter verfügt über einen Füllsensor, der das Abholsystem benachrichtigt, sobald der Behälter voll ist.
Schönere Installation
Interessanterweise wurden alle Kabel für Außenbeleuchtung, Stromversorgung, Wi-Fi-Router, Überwachungskameras oder Notfall-Lautsprecher in den Untergrund verlegt, "um den Himmel über dem Stadtteil freizubekommen", wie es blumig in einer Pressemitteilung der IT-Abteilung der Stadt Moskau heißt. Die bisher übliche Freiluftverkabelung ist zwar schnell montiert, sieht aber auf die Dauer nicht schön aus, ist außerdem unzuverlässig und unsicher.
Mobilfunkanbieter Beeline mit im Boot
Der russische Telekommunikationsnetzbetreiber Beeline hat in Maryino eine Testumgebung für IoT-Lösungen aufgebaut, verwendet wird das LTE-basierende NB-IoT-System von Ericsson. Die Testversion ermöglicht den Anschluss von bis zu 10.000 Geräten pro Basisstation. Ericsson hat zwei Stationen innerhalb der Testzone mit einem Kilometer Radius installiert.
Smart City - Licht und Schatten
Moderne Großstädte mit vielen Einwohnern auf kleiner Fläche sind auf die Dauer nur durch moderne Technik organisierbar. Ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt für Regierung und Verwaltung ist die Möglichkeit, genauer mitzubekommen, was ihre Bürger so tun oder nicht tun oder wo der Schuh drückt. Bis zu einem gewissen Grade ist das nachvollziehbar und sinnvoll, aber es muss klar sein, dass irgendwann auch die Privatsphäre betroffen sein könnte.
Neue Technik deswegen zu verteufeln oder abzulehnen, ist auch keine Lösung. Eher die Technik zu kennen und zu verstehen und zu wissen, wo Vorteile und Nachteile liegen. Einfaches Beispiel aus Deutschland: in Bayern sollten neue "Funkwasserzähler" alle 10 Minuten (!) den aktuellen Wasserverbrauch über Funk melden, damit die "Ableser" des Versorgers schon vor der Haustüre informiert sind. Mit diesen Informationen könnte man genaue "Profile" der Bewohner eines bestimmten Hauses erstellen ("ist überhaupt jemand zu Hause?"), die für eine jährliche Wasserrechnung absolut unnötig oder für den Eigentümer sogar gefährlich sind. (Potenzielle Einbrecher wüssten genau, wann jemand im Haus ist.) Längere Zyklen würden hier also durchaus ausreichen. Sollte der Verdacht eines Wasserrohrbruchs auftreten, könnten diese Zyklen verringert werden, um Anhaltspunkte zu erhalten. So hat jede Technologie ihre Vor- und Nachteile.