Bundestag: Risikobewertung von Hochfrequenz nicht möglich
Im Rahmen der "Technikfolgenabschätzung" hat der Deutsche Bundestag in diesen Tagen seinen "Technikfolgenbericht zu gesundheitlichen Auswirkungen der Mobilfunkstrahlung" veröffentlicht. Die Einführung beschreibt recht anschaulich das Dilemma: "Ein besonderes Augenmerk wurde auf eine transparente Unterscheidung zwischen evidenzbasierten wissenschaftlichen Befunden und möglichen Interpretationen seitens gesellschaftlicher Stakeholder sowie politischer Akteure gelegt. In diesem Sinne leistet der Bericht wohl eine Risikoabschätzung, aber keine dezidierte Risikobewertung."
Da meldet sich die Diagnose-Funk e.V. zu Wort, die sich als "Umwelt- und Verbraucherorganisation zum Schutz vor elektromagnetischer Strahlung" versteht. Sie begrüßt zunächst die Gesamtaussage dieses Berichts.
Bericht von Mobilfunklobby verfasst?
Mit martialischen Grafiken versucht diagnose:funk die "Gefahren" des Mobilfunks zu verdeutlichen
Grafik: diagnose:funk
Gleichzeitig kritisiert der Verein mit Sitz in Stuttgart, dass das "Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB)" den "wichtigsten Teil des Berichts von der Schweizer Mobilfunk-Lobby schreiben ließ." Die Schweizer Forschungsstiftung Strom und Mobilfunkkommunikation (FSM) mit Sitz in Zürich werde zu 98 Prozent von den Schweizer Mobilfunk- und Stromnetzbetreibern und deren Zulieferern finanziert und das ist für die Kritiker natürlich "höchst verdächtig".
Im Widerspruch zu den klaren Aussagen auf der Stiftungs-Homepage sei diese Stiftung kein Bestandteil der angesehenen Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, sondern habe in deren Gebäuden lediglich ihre Geschäftsstelle eingemietet. Die Kritiker vergleichen die Stiftung mit der Tabaklobby.
Umweltministerin soll Alternativen fördern
diagnose:funk steht dem Mobilfunk generell kritisch bis ablehnend gegenüber und erwartet von der zuständigen Umweltministerin Steffi Lemke eine "Aufklärung der Bevölkerung über die Gesundheitsrisiken der Funktechnik, Schutzvorschriften" und plädiert dafür, über "gesundheitsfreundliche Alternativen wie Datenübertragung per Licht" intensiver nachzudenken.
Deutschland soll nicht über 5G sprechen?
Die Kampagne der Bundesregierung "Deutschland spricht über 5G" sollte nach Ansicht der Kritiker schnellstens eingestellt werden, da sie 5G "verharmlose", so die Interessenvertretung.
Für die Initiative dokumentiert der Bericht des Bundestages "über 60 wissenschaftliche Studien", die signifikante Ergebnisse zu den Gesundheitsgefahren von Mobilfunkstrahlung aufzeigten. diagnose:funk lobt dabei "das hohe Niveau dieser Studien". Es benenne die gesundheitlichen Folgen von Mobilfunkstrahlung explizit (Seiten 12/13,112). Die Gesamtaussage enthalte auch Vorschläge wie Anpassung der Grenzwerte, die Einrichtung von Schutzzonen, neue technische Standards und die Aufklärung der Bevölkerung (Seite 17 unten).
Zur Einführung von 5G kritisiert der TAB-Bericht die "unzulängliche Studienlage" und fordert das Prinzip der "umsichtigen Vermeidung" durch staatliche Leitlinien für den Sendeanlagenbau ein (Seite 153).
Und dann wird es "gruselig": "Mobilfunk- und WLAN-Strahlung erzeugen oxidativen Zellstress, was wiederum zu entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen, verminderter Fruchtbarkeit und Krebs führen kann", sagt Jörn Gutbier, Vorsitzender von diagnose:funk.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Wenn ein Thema diskutiert wird, gibt es Befürworter und Gegner, das ist klar. Die Mobilfunk-Gegner fordern nun, dass nur noch die Kritiker gehört und für gut befunden werden, die Befürworter aber nicht. Mobilfunk ist per se "fürchterlich böse, böse". Wenn da noch "5G" drauf steht, wird es für die Kritiker gleich "lebensgefährlich".
Doch man muss auch wissen: Hinter vielen Kritikern stecken knallharte (finanzielle) Interessen. Die Angst vor dem unbekannten Mobilfunk kann man gut "monetarisieren", mit Büchern, Kursen, Seminaren, Filtern, Schutzkleidungen, baulichen Maßnahmen und alles für richtig viel Geld. Da passt es gut, dass die angepeilte Kundschaft sich kaum mit der Technik auskennt oder jeder modernen Veränderung ziemlich skeptisch gegenüber steht. Da wird alles in einen Topf geworfen. Für Außenstehende ist es schwer bis unmöglich, die Bedenkenträger mit Argumenten zu überzeugen, besonders wenn sie dem eigenen Weltbild widersprechen.
Wir versuchen es trotzdem: 5G ist einfach nur eine Weiterentwicklung von 4G (LTE), mit neuen Funk-Übertragungsprotokollen, um die nutzbaren Frequenzen besser ausnutzen zu können und auf einer Fläche mehr Geräte als bisher unterbringen zu können.
Die Angst vor stärkerer "Strahlung" beruht wohl auf dem MIMO-Prinzip, wo die Antennen dem Nutzer "hinterherfahren", damit das Signal beim Nutzer besser ankommt. Das wird nicht nur in Deutschland heiß diskutiert. Nur: MIMO gibt es schon seit 3G (UMTS), das ist also überhaupt nix Neues. UMTS startete vor 20 Jahren bereits.
Wer selbst kein Mobilfunk nutzen möchte, muss das ja nicht tun. Wer sein Mobiltelefon aber nutzen möchte, wünscht sich überall da, wo es gebraucht wird, eine gute Netzversorgung. Zum Mobiltelefon gehören aber auch Sender. Ohne die geht es nicht. Je "näher" die Sender stehen, desto geringer ist die "Strahlenbelastung". Es bräuchte eigentlich viel mehr Sender, um diese Belastung geringer zu halten. Das klingt paradox, ist aber physikalisch erklärbar.
Flächendeckender digitaler Mobilfunk erlaubt eine weitere Vernetzung bis hin zu einer "Kontrolle", die vielen Menschen (zu Recht) unheimlich ist und strikte Datenschutzgesetze erfordert. Da müssen aber die Menschen (die Nutzer) auch mitspielen und sich mit der Technik mehr beschäftigen. Das gleiche Passwort für alle Dienste, das Teilen persönlichster und intimster Lebensereignisse in aller Öffentlichkeit auf sozialen Medien, das passt dann aber auch nicht. Bei der Hotline meckern, dass das Handy nie richtig geht, aber den Sender in der Nachbarschaft bekämpfen, ist ein Widerspruch.
Mobilfunkkritiker und -gegner fordern strahlungsfreie Gebiete
Foto: Picture Alliance / dpa
Die Initiative fordert "Schutzzonen", also Gebiete, die bewusst nicht mit Mobilfunk versorgt werden sollen und das auch bitte in der Zukunft. Das könnte man tun, mit gut sichtbaren Warnschildern: "Achtung, Sie verlassen die mit Mobilfunk versorgte Zone". Nur könnte es dort auch Menschen geben, die in einer solchen Zone nicht mehr leben möchten und vermutlich auch Menschen, die sich dort wohler fühlen würden. Wird es dann bei der Einfahrt in solche Gebiete richtige Grenzkontrollen geben, wo mitgebrachte Handys, Smartphones, Funkgeräte etc. gleich abgegeben werden müssen, um auch ganz sicher zu sein? Ist das realistisch?
Die Initiative fordert die WLAN-Versorgung in Gebäuden auf Licht-basierende umzustellen, die Stichworte lauten "LiFi" oder "VLC". Die Technische Hochschule Ostwestfalen Lippe (OWL) forscht in dieser Richtung beispielsweise.
Kommerziell kaufbare Geräte gibt es aber nach wie vor kaum. Das lässt vermuten, dass die Technik doch nicht so optimal funktioniert, wie es sich die Befürworter wünschen. Ist ja auch logisch: Sichtbares Licht würde durch natürliches Tageslicht gestört. Wer schon mal einen lichtgesteuerten Spielzeughubschrauber draußen fliegen lassen wollte, kennt das Problem, es geht nicht richtig. Nur indoor im halbdunklen Zimmer fliegt das Gerät sehr gut. Also müsste hier "nicht sichtbares" Licht verwendet werden und das sind - rein physikalisch gesehen - auch wieder Funkwellen mit sehr hoher Frequenz.
Den digitalen Mobilfunk (also seit 2G) gibt es weltweit seit über 30 Jahren. Wäre der wirklich so "gefährlich", wie uns die Kritiker das einreden wollen, hätten wir das sicherlich schon bemerkt.