selbst schuld

Neues Glücksspiel: Prozesse um Dialerkosten

Neues Urteil: Dummheit schützt vor Strafe nicht
Von Marie-Anne Winter

Für Freunde des Glücksspiels gibt es einen neuen Thrill: Prozesse um Dialerkosten. Die aktuelle Rechtssprechung in diesem Bereich kommt derzeit einem Roulettespiel gleich - zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Kanzlei Härting. Nachdem in letzter Zeit einige Urteile zugunsten des Kunden verkündet wurden, hat nun das Amtsgericht Dillenburg entschieden, dass ein Kunde die Telefonrechnung in voller Höhe zahlen muss, auch wenn 0190-Gebühren dadurch zustande kommen sind, dass unbemerkt ein Internet-Dialer betätigt wurde (AG Dillenburg vom 13.09.02, Az. 5 C 286/ 02).

Wie die Kanzlei mitteilt, ging es in dem Prozess vor dem hessischen Amtsgericht um 0190-Gebühren in Höhe von 912,55 Euro, die auf Grund einer unbemerkten Dialeranwahl angefallen waren. "Selbst schuld", befanden die Richter. Das Herunterladen von Dialer-Software liege im "Verantwortungsbereich" des Internetnutzers und sei der Deutschen Telekom als Rechnungssteller nicht "zurechenbar". Der Kunde müsse die Gebühren an die Telekom überweisen und sich wegen etwaiger Schadensersatzansprüche an den Dialer-Anbieter halten.

Ersatzansprüche gegen Dialeranbieter helfen den geschädigten Telefonkunden wenig: Unseriöse Anbieter sind meist nicht in Deutschland, sondern auf spanischen Ferieninseln ansässig und für Haftungsklagen schwer bis gar nicht erreichbar.

Das Urteil des Amtsgerichts Dillenburg liegt auf einer Linie mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der Einwendungen gegen 0190-Gebühren bereits mehrfach für weitgehend ausgeschlossen erklärt hat (BGH vom 22.11.2001, Az. III ZR 5/01; BGH vom 16.05.2002, Az. III ZR 253/01 BGH vom 13.06.2002, Az. III ZR 156/01). Verbraucherfreundlicher haben unlängst unter anderem das Berliner Kammergericht und das Landgericht Kiel geurteilt. Beim Berliner Fall ging es um die aufgelaufenen Dialerkosten, die eine Mutter für ihren minderjährigen Sohn zahlen sollte. Das Berliner Gericht wies die entpsrechende Klage der Berlikomm in zweiter Instanz zurück. (KG vom 27.01.03, Az. 26 U 205/01). Und auch das Landgericht Kiel befand, dass bei der Einforderung von Gebühren eine bewusste Nutzung durch den Kunden nachgewiesen werden müsse. (LG Kiel vom 09.01.2003, Az. 11 O 433/02).

Das von der Bundesregierung geplante Gesetz zur Bekämpfung des Dialer-Missbrauchs wird an der unübersichtlichen Rechtslage nichts ändern. Ein Widerspruchsrecht des Kunden gegen die Gebühren unseriöser 0190-Anbieter sieht der Gesetzesentwurf nicht vor. Rechtsanwalt Härting kommentiert: "Prozesse um 0190-Gebühren gleichen derzeit einem Roulettespiel. Jedes Gericht entscheidet anders. Solange der Gesetzgeber kein Widerspruchsrecht des Kunden einführt und die Rechtslage klärt, werden aufwändige und bürokratische Maßnahmen wie die Einrichtung von Datenbanken und zusätzliche Vorschriften zu Preisangaben nichts nützen. Der Streit um den Dialermissbrauch wird weitergehen."

So sieht es aus. Denn sämtliche, noch so gut gemeinte Maßnahmen wie die Zwangstrennung nach 60 Minuten, die Obergrenze für ein Entgelt von maximal 3 Euro pro Einwahl oder auch die wirkliche sinnvolle Erstellung einer Anbieter-Datenbank, in der sämtliche Anbieter mit einer vorladbaren Adresse gelistet sein müssen, verhindern nicht, dass erst einmal Kosten entstehen. Und es zeigt sich, dass die kriminelle Energie der Dialerhersteller nicht durch Appelle zu zügeln ist. Deshalb ist nicht nachvollziehbbar, weshalb der Gesetzgeber das Schicksal der Telefon- und Internetkunden weiterhin der jeweiligen Rechts- und Weltauffassung der verschiedenen Gerichte überlassen will.