5G wird erwachsen: Telekom stellt 5G-SA für Campus-Netze vor
Uwe Horn, Director Pre-Sales Industry Connect bei Ericsson (links) und Antje Williams Senior Vice President 5G Campus Networks der Telekom (rechts) stellen 5G-SA vor.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Wenn aktuell von 5G die Rede ist, geht es in der Regel um den 5G-Standard NSA (Non-Stand-Alone) mit NR (New Radio). NR bzw. New Radio ist ein neues verbessertes Übertragungs-/Modulationsverfahren, das noch frequenzökonomischer und stabiler als 4G (LTE) ist und auf der von 4G bekannten Technik OFDMA (Orthogonal Frequency Division Multiple Access) basiert. Wenn man sich bildlich eine Wellenlinie im Raum vorstellt, kann gleichzeitig eine leicht verkippte Welle dazu übertragen werden und noch eine und noch eine - man bekommt in einen Raum viel mehr Informationen (Daten) hinein.
NSA bedeutet, dass diese Technik ohne ein 4G-LTE-Basis-Netz nicht lauffähig ist. 5G-NSA ist - wenn man so will - eine Art von 4G++.
Geht 5G nicht auch ganz alleine?
Uwe Horn, Director Pre-Sales Industry Connect bei Ericsson (links) und Antje Williams Senior Vice President 5G Campus Networks der Telekom (rechts) stellen 5G-SA vor.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Wer sich die Geschichte genauer anschaut, kommt schnell darauf, dass es auch ein 5G-SA geben müsste, wobei SA für Stand Alone steht. Es ist also "alleine" lebens- und lauffähig. Da es von den Lasten der Vergangenheit befreit ist, ist 5G-SA im Endeffekt "schneller" bei den möglichen Up- und Download-Geschwindigkeiten und bei den niedrigeren möglichen Latenzen.
5G-SA ist nicht superbrandneu, es wurde kürzlich in Aachen vorgestellt, nur konnte wegen der aktuellen Gesundheitslage sich das kaum jemand "von außen" anschauen.
Premiere in Berlin
Heute bot die Telekom wenigen Technik-Journalisten einen Einblick in die nächste Stufe des Mobilfunks: 5G-SA wird derzeit als Prototyp für die Industrie in einem Demo-Case erprobt. Wir konnten uns das im Telekom-Forschungs- und Technik-Labor im ehemaligen "Fernmeldeamt 1" in der Winterfeldtstraße in Berlin anschauen.
Oben fährt das 5G-gesteuerte Auto, unten links der EDGE-Cloud-Rechner, rechts das 5G-Core-Netzwerk
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Es handelt sich eine Tischoberfläche, auf der ein mit 5G gesteuerter Roboter durch ein Modell einer Lagerhalle fährt. Mit Laser-Radar analysiert er die Störobjekte im Raum und lässt in der EDGE-Cloud alternative Strecken berechnen. Unter dem Tisch befinden sich im linken Schrank der EDGE-Prozessrechner, der in direktem Kontakt mit dem Core-Netzwerk (rechter Schrank) des Campus-Netzes steht. Die Aktivantenne ist die weiße runde Scheibe, in der Größe eines Rauchmelders oder WLAN-Hotspot.
Der 5G-Roboter-Wagen von Clearpath. Die weißen Flügel sind die MiMo-Antennen für 3,7 GHz.
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"Campus M"
"Campus M" hat die Telekom ihr Angebot für Industrienetze getauft. Bei der Telekom hat man kein Problem damit, dass Vodafone die schon mit dem Systemlieferanten Ericsson und Telekom entwickelten Komponenten unter dem Begriff "Redbox" vermarktet. Es sei "gut, dass es einen Industriestandard gibt", das würde die Akzeptanz und die Marktdurchdringung erhöhen.
Campus M kann wahlweise alleine oder in Verbindung mit einem öffentlichen Netz gebucht werden. Aus der Industrie komme eine hohe Nachfrage nach "Wireless-Lösungen". Für die Telekom muss eine Campus-Lösung nicht zwingend und notwendig auf den hohen Frequenzen bei 3,6 oder 3,7 GHz stattfinden. Bei großflächigen Firmenareals könnte es sinnvoller sein, LTE oder 5G auf niedrigeren Frequenzen auszurollen, womit sich eine höhere Reichweite erzielen lässt als auf den viel zitierten 3,7-3,8 GHz.
Das 5G-SA-Modem mit 6 Antennen ist noch ein Prototyp.
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Campus-Netz schlüsselfertig
In Deutschland wurden bereits 50 Industriefrequenzen durch die Bundesnetzagentur vergeben, berichtet Antje Williams – Senior Vice President 5G Campus Networks. Die Telekom kann auch auf Kundenwunsch ein Campusnetz auf den dem Unternehmen zugeteilten Campus-Frequenzen zwischen 3,7 und 3,8 GHz schlüsselfertig liefern. Das kann analog zu Vodafone entweder nur auf den exklusiven Frequenzen laufen und nach außen hermetisch abgeschottet sein, es kann aber auch eine Verbindung nach Draußen geben.
Uwe Horn, Director Pre-Sales Industry Connect von Ericsson hatte seinen Testcase erstmalig in AC demonstriert. Gefunkt wird auf einer 3,7-GHz-Testfrequenz der Telekom mit einem Prototyp, der im Kern aus zwei Komponenten besteht: Rechts das Core-Teil des 5G-SA-Netzes und links der EDGE-Rechner, der möglichst nahe an dem Core angebunden sein soll.
Der Roboterwagen im Modell. Er wird über die zwei Treibräder gesteuert, das dritte Bein ist eine rollende Kugel. Die Berechnungen zur Wegführung und etwaiger Hindernisse erfolgt in der EDGE-Cloud.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Noch ist 4G/5G-NSA Standard
Wer ein Campus-Netz bestellt, bekommt im Moment noch die Kombination von 4G/5G-NSA "serienmäßig" geliefert. Aktuell besteht das Problem, dass es noch kaum industrietaugliche Endgeräte für 5G-NSA gibt, für 5G-SA gibt es an Endgeräten noch überhaupt nichts, außer Prototypen und Entwicklungsmuster.
Selbst wenn unerwartete Hindernisse auftauchen, der Roboterwagen gibt Bescheid und erhält eine neue Fahrtroute aus dem Netz.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Einsatzgebiet ATV
Interessantester Ansatz sind derzeit automatische Transportfahrzeuge, im Jargon ATV (Autonomous Transport Vehicle) genannt. Eine Firma ist die EK Automation in Hamburg, die eng mit "Jungheinrich" einem Hersteller von Gabelstaplern und Förderbändern zusammenarbeiten). Bei Osram (dem Lampenhersteller) läuft ein Wagen von Insystems [Link entfernt] . Für den Testfall in Berlin wurde ein Roboter von der Firma ClearPath ausgewählt.
Bisher hat die Industrie ihre Fahrzeuge und Geräte über WLAN gesteuert. Wenn aber sich viele Geräte in einer Zelle tummeln, wird es instabil, die WLAN-Zelle ist überlastet. Eine Koordination der Fahrzeuge und Geräte wird schnell unmöglich. Hier kommen 4G oder 5G ins Spiel, was wesentlich stabiler läuft. Telekom hat Partnerschaften mit verschiedenen Herstellern entwickelt, beispielsweise mit Endres & Hauser, einem Spezialisten für Sensoren und Messtechnik in der Industrie. Im Moment sind viele Firmen "dazwischen". Die Daten werden über WLAN-Dongles eingesammelt, im Werk stehen "überall" WLAN-Router aber das ist nicht stabil.
Williams: Die Industrie will Sicherheit und Zuverlässigkeit und ist von daher an 5G interessiert.
5G-SA für Zivilkunden?
Der Tag wird kommen, wo 5G-SA auch für "Zivil-Kunden" zur Verfügung stehen wir, aber das wird noch eine ganze Weile dauern. Das öffentliche 5G wird im Augenblick erst einmal mit 5G-NSA ausgebaut.
Sowohl für das Samsung Galaxy S20 als auch für das OnePlus 8 werden noch Updates benötigt, bevor sie die aktuellen 5G-Frequenzen auf 2100 oder bei 700/800 MHz nutzen können. Diese Updates haben sich verzögert. Geräte von Xiaomi wie das Mi 10 5G Lite könnten auch in dieser Liga mitspielen, benötigen aber eine Freischaltung, welche der Netzbetreiber "anfordern" müsste, wie uns Xiaomi auf Anfrage mitteilte. Sicherlich sind auch weitere Updates notwendig.
5G-Pionierkunden brauchen Zeit, Geduld und müssen sich aktuell informieren und mehr als regelmäßig updaten.