Ausblick

Einschätzung: Kann Microsoft mit Windows 9 die Nutzer überzeugen?

Die Veröffentlichung von Windows 9, dem Nachfolger des auf PCs ungeliebten Windows 8.1 rückt näher. Doch die Aufregung ist deutlich abgekühlt, Schlange stehen Kunden eher für das iPhone. Werden die Neuerungen die Nutzer überzeugen?
Von

Startmenü von Windows 9 Der Weisheit letzter Schluss? Startmenü von Windows 9
Bild: Microsoft / Paul Thurrott
Beim Verkauf und der Nutzung von Computern und mobilen Geräten gab es in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Wandel: Seit einigen Jahren sind nicht mehr Highend-Computer, die neueste Windows-Version und Notebooks das Gesprächsthema am Arbeitsplatz, auf dem Pausenhof und im Familienkreis.

Es greift zu kurz, dabei lediglich dem mangelnden Interesse an Windows 8 und 8.1 auf PCs und Notebooks die Schuld zu geben. Dass das Kachel-System auf Desktop-Computern deutlich schlechter angenommen wurde als auf Tablets, haben wir und andere Fachmedien nun schon oft genug gebetsmühlenartig wiederholt - nun wird es Zeit, über die Erfolgschancen von Windows 9 zu sprechen. Denn Gesprächsthemen sind heute neue iPhones, Galaxy-Smartphones, Smartwatches oder Tablets - Microsoft muss sich wieder positiv ins Gespräch bringen.

Das Gerücht, dass der schärfste Microsoft-Konkurrent meist im eigenen Hause sitzt, ist bei Windows 8 nicht von der Hand zu weisen. Viele Notebook- und PC-Nutzer sind nach wie vor mit Windows 7 zufrieden und haben sich an die Bedienung gewöhnt. Nachdem Microsoft beim 8.1-Update viele zu radikale Neuerungen der Version 8 wieder rückgängig gemacht hat, sind sicherlich einige Nutzer zum Kachel-System gewechselt. Trotzdem bleibt auch zum Teil auf Tablets der Eindruck, dass das System nicht bis ins letzte durchdacht und weniger ergonomisch zu bedienen ist als iOS, Android und das hauseigene Windows Phone. Doch kann Windows 9 das Steuer herumreißen?

Bisher wenig technische Details bekannt

Startmenü von Windows 9 Der Weisheit letzter Schluss? Startmenü von Windows 9
Bild: Microsoft / Paul Thurrott
Über die in der aktuellen Preview zu sehenden Neuerungen haben wir bereits berichtet. Festzuhalten bleibt, dass der Windows-Experte Paul Thurrot, der die Preview oder vielleicht auch nur Bilder davon gesehen hat, die aktuelle Build-Version nicht selbst installiert hat. Dieser Aspekt wurde in der Berichterstattung bisher weitestgehend vernachlässigt. Selbst ein ausgewiesener Experte wie Thurrott kann also momentan wenig dazu sagen, mit welcher Geschwindigkeit das System läuft, ob es sich intuitiv bedienen lässt und ob manche Features beziehungsweise Einstellungen nun schneller aufrufbar sind als bisher.

Denn unserer Einschätzung nach ist das einer der Knackpunkte für den Erfolg von Windows 9. Unserer Auffassung nach muss Microsoft das System nicht mit neuen Features überhäufen oder krampfhaft iOS, Mac OS oder Android imitieren, sondern ein flüssig und intuitiv bedienbares System bereitstellen, sowohl für den PC als auch für Tablets. Und das darf dann gerne auch mit Kacheln sein, wenn es der Bedienung dient und sie nicht behindert. Wir könnten uns auch eine radikale Trennung in PC- und Tablet-System mit zwei komplett unterschiedlichen Bedienkonzepten vorstellen. Aber wird Microsoft das schaffen beziehungsweise sich das trauen?

Jetzige Startmenü-Entwürfe wirken unausgegoren

Viele PC- und Notebook-Besitzer werden sich über die Wiederauferstehung des Startmenüs freuen, auf Tablets ist das eher weniger sinnvoll. Die ersten Screenshots, die Paul Thurrot vorlagen, lassen aber Zweifel daran aufkommen, dass dies der Weisheit letzter Schluss ist. Wie schon bei Windows 8.1 laviert Microsoft hier offensichtlich wieder mit einem Nebeneinander von klassischem Menü und Kacheln herum. Hier werden die Kacheln bei der Touch-Eingabe gut mit dem Finger zu treffen sein, die Menüeinträge eher weniger. Und Maus-Benutzer werden sich vielleicht über die von den Kacheln verursachte Platzverschwendung ärgern. Gut ist aber das von Thurrot erwähnte Feature, dass die Größe und Position der Einträge angepasst werden kann - das müssen wir dann in der Praxis endgültig beurteilen. Interessant wird auch sein, was sich hinter dem Shutdown-Button verbirgt und wie viele Klicks beziehungsweise Fingertipps fürs Herunterfahren des Geräts notwendig sein werden.

Ein großer Fortschritt wird die Ausführmöglichkeit von Modern-UI-Apps in einem Desktop-Fenster sein. Knackpunkt wird dann aber sein, wie Microsoft die Fenstersteuerung gelöst hat, also wie sich App-Fenster vergrößern, verkleinern, minimieren, maximieren und schließen lassen. Das klassische Drei-Button-System mit Kreuz-, Quadrat- und Querbalken-Icon, das ja noch aus den 1990er Jahren stammt, hat sich für Touchscreens als unbrauchbar erwiesen. Hier wäre es also tatsächlich mal Zeit für einen großen Wurf, der vielleicht sogar iOS und Android den Schneid abkauft.

Dringend gesucht: Ein komplett neues Touch-Bedienkonzept

Zu wenig Innovation: Windows-Explorer von Windows 9 Zu wenig Innovation: Windows-Explorer von Windows 9
Bild: Microsoft / Paul Thurrott
Der Zugriff auf die eigenen Dateien war unter Windows 8.1, insbesondere bei der Touch-Bedienung, unglücklich gelöst, da es für die Modern UI nie einen wirklich guten Dateibrowser gegeben hat. Auch hier könnte sich Microsoft mit einem großen Wurf hervortun.

Die bisher von Thurrott vorgelegten Bilder zeigen hier keinen großartigen Entwurf, sondern eine leichte Anpassung des Windows-Explorers, der prinzipiell seit Windows XP so aussieht. Viele Nutzer verwenden eben trotz der Verfügbarkeit von Online-Speicherdiensten weiterhin Speicherkarten, USB-Sticks und externe Festplatten. Für das alte System aus Kopieren und Einfügen mit Umweg über eine Zwischenablage hat bislang kein Plattformanbieter einen sinnvollen Ersatz gefunden. Das darf man also Microsoft nicht anlasten; bei großen Datei-Kopieraktionen ist die Touch-Bedienung allerdings ein kaum geeignetes Werkzeug. Hier könnte sich Microsoft mit einem großen - lokal zu nutzenden - Wurf hervortun anstatt nur auf OneDrive-Synchronisierung zu setzen.

Bleiben nicht zuletzt der Desktop und die Kacheloberfläche, die bei Microsoft schon immer deutlich unflexibler zu konfigurieren waren als beispielsweise der Android-Homescreen. Auch hier könnte Microsoft dem Nutzer mehr Gestaltungsmöglichkeit überlassen, beim 8.1-Update hat der Konzern diesbezüglich schon erste Schritte eingeschlagen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es bei der eigentlichen Funktionalität aus unserer Sicht deutlich weniger Wünsche an das neue Windows gibt als noch zu Zeiten von Windows 98 und XP, wo essentielle Funktionen mit separaten Programmen vom Anwender nachgerüstet werden mussten. Bei der Bedienung mit Tastatur und Maus hatte Microsoft mit Windows 7 einen Gipfelpunkt erklommen, aber bei der Touch-Bedienung von Windows warten wir noch auf das Ei des Kolumbus. Nur dann wird Windows 9 unserer Auffassung nach die Nutzer überzeugen können, egal auf welcher Hardware.