Irrweg

Editorial: Der Irrweg

Mobilfunkbranche rennt in die falsche Richtung
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Nun wäre es ok, sich mit voller Kraft auf Datendienste als neue Aufgabe zu stürzen, wenn die bisherige Aufgabe, nämlich Sprachdienste, bereits perfekt gelöst wäre und keinen weiteren Raum für Verbesserungen mehr ließe. Doch das ist mitnichten der Fall. Keineswegs telefonieren wir alle vom Handy verzögerungs- und echofrei in CD-Qualität und mit perfekter Unterdrückung ungewünschter Hintergrundgeräusche. Im Gegenteil, schon etwas Wind kann die Kommunikation dank Rauschen im Mikrofon unmöglich machen. Musik wird durch die Sprachkompression oft regelrecht verstümmelt. Und die Zeit vom Wählen, bis es beim Angerufenen wirklich klingelt, kann unangenehm lang sein.

Wie toll wäre es, wenn wir beim Rauswählen auf Wunsch per Menü entscheiden könnten, ob wir in dem Fall, dass der Angerufene nicht rangeht, auf die Mailbox sprechen möchten oder es stattdessen weiter klingeln soll? Wenn Mailboxnachrichten bei Netzverfügbarkeit auf Wunsch automatisch auf das Handy übertragen werden, damit wir diese später auch dann abhören können, wenn wir im nächsten Funkloch hängen? Oder wie wäre es, wenn wir endlich vor einem Gespräch die Möglichkeit hätten, kurz abzufragen oder anzeigen zu lassen, was dieses pro Minute kosten wird, und welche Entgelte für den Verbindungsaufbau hinzu kommen?

Warum nicht per Tastendruck automatisch Hintergrundgeräusche ausfiltern (z. B. störendes Maschinengeräusch) oder ebenso per Tastendruck bewusst in hoher Qualität übertragen (z. B. schöne Hintergrundmusik)? Mehrere hochqualitative Mikrofone im Handy und speziell programmierte Prozessoren zur Trennung der Sprach- und Geräuschquellen könnten dieses "Wunder" bewerkstelligen. Bei Open-air-Konzerten gelingt es ja auch, dass der Star vor einer Lautsprecherwand mit 10 000 Watt und mehr steht und dennoch rückkopplungsfrei live singt.

Statt "Audio" fast nur Video, Daten und Applikationen

Nicht jede der vorgebrachten Ideen mag kommerziell sinnvoll sein. Und sicherlich gäbe es noch viel mehr Möglichkeiten, den Service rund um die Telefonie zu verbessern. Es ist normal, dass im IT-Markt vieles ausprobiert und nur manches ein Produkt wird. Insofern hätte ich auf der Messe eine Menge Ideen zu Verbesserungen im Audio-Bereich erwartet: Hochwertige Mikrofone, bessere Lautsprecher, Software zur Filterung von Störgeräuschen und dergleichen mehr. Und so machte ich mich gezielt auf die Suche nach "Audio", fand aber, bis auf wenige Ausnahmen, nur Video, Daten und Applikationen.

Nicht mal die Methoden zur Sprachverbesserung, die technisch bekannt und gut standardisiert sind, werden zügig umgesetzt. Als Beispiel sei AMR-WB genannt, was "adaptive multi-rate wideband" heißt, ein Verfahren, das eine deutlich bessere Sprachqualität ermöglicht, als derzeit im Festnetz/ISDN oder Mobilfunk üblich. Obwohl bereits 2002 standardisiert, hat dieser Codec es bis heute nur in wenige Endgeräte und praktisch keine Netze geschafft.

Dabei benötigt AMR-WB zumindest in den drei stärksten Kompressionsstufen noch nicht einmal eine höhere Bitrate als die derzeit üblichen Codecs, hört sich aber dennoch besser an. In UMTS-Netzes wird üblicherweise AMR-NB eingesetzt, wobei das "NB" für "narrowband" steht. In derselben Zeit, in der es AMR-WB nur zu ein paar Trials brachte, wurde hingegen die maximale Datenrate in vielen UMTS-Netzen von 384 kbit/s auf 3600 kBit/s hochdreht.

Breitband für Daten und Schmalband für Sprache: Ob diese Entscheidung so sinnvoll ist, wenn über 80 Prozent der Umsätze mit Sprache gemacht werden?

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