XCP

Editorial: "Achtung: Diese Musik-CD verwanzt Ihren Computer"

Die Probleme des "Digital Right Managements"
Von

Die Digitaltechnik hat in den letzten Jahren den Umgang mit Bild-, Ton- und Filmaufnahmen revolutioniert. Zwar wurden "analoge" Verfahren zur Aufzeichnung von Ton, Bild und Film wie der Phonograph [Link entfernt] oder die Daguerreotypie [Link entfernt] bereits im 18. Jahrhundert entwickelt. Doch Haltbarkeit und Vervielfältigung der so hergestellten Aufnahmen sind beschränkt: Jedesmal, wenn man eine Schallplatte abspielt, verringert sich deren Qualität geringfügig, weil Kratzer und Staub hinzu kommen, oder die Nadel die Spur doch leicht ausleiert. Kopiert man eine Schallplatte auf einen anderen Tonträger, sind die Qualitätseinbußen deutlich hörbar.

Fotos vergilben unter Lichteinfluss, teilweise auch durch schleichende Reaktionen der beteiligten Chemikalien. Von einem Negativ kann man zwar recht viele Abzüge gleicher Qualität herstellen, doch auch Negative altern, und "neue" Negative lassen sich nur unter Qualitätsverlust herstellen. Einige historische Werke der Filmkunst gelten bereits als verloren, weil es keine gute Kopie von diesen mehr gibt. Zwar lässt sich durch Lagerung in geeignet klimatisierten Archiven die Lebenszeit deutlich verlängern. Doch die Zeit bis zum Verfall bleibt in allen Fällen endlich.

Die Digitaltechnik ermöglicht hingegen unbegrenzt viele verlustfreie Kopien. Die richtige Backup-Strategie vorausgesetzt, wird damit die Lebenserwartung von Bild-, Ton- und Filmaufnahmen beliebig verlängert. Hinzu kommt die ungeheure Kompression der Daten. Eine handelsübliche 200-Gigabyte-Festplatte kann mehr Musik speichern, als 1000 Schallplatten. Übers Internet lassen sich Aufzeichnungen binnen Sekunden an (fast) jeden Ort der Welt kopieren.

Angst in der Medienindustrie

Es ist nachvollziehbar, dass die rasante Digitalisierung so manchem Künstler und manchem Manager in der Medienindustrie den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Denn mit Ton- und Filmträgern lässt sich kein Geld mehr verdienen, wenn jedermann diese nach Belieben kopieren kann. Und so wird der Ruf nach Kontrolle laut: Niemand soll mehr in der Lage sein, anonym im Internet Dateien zum Download anzubieten. Aber genausowenig sollen DVD-Rekorder, private PCs oder USB-Sticks in der Lage sein, Kopien von geschützten Dateien zu speichern. Denn dann müssen doch wieder alle Kunden Original-Datenträger kaufen.

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" sagt schon der Volksmund. Und so ist das Bedürfnis der Medienindustrie nach Kontrolle der Medien wie CD oder DVD grundsätzlich nichts verwerfliches. Doch muss die Kontrolle dort ihre Schranken finden, wo persönliche Rechte anderer Menschen verletzt werden könnten. Diese Grenze hat Sony BMG mit ihrem Kopierschutz XCP massiv überschritten. Sie stehen deswegen vollkommen zu recht in der öffentlichen Kritik.

Zwar wird XCP wohl nur installiert, wenn der Nutzer nach dem Einlagen einer damit geschützten CD in seinen Computer diesem auch zustimmt. Doch kann der Nutzer, der die Zustimmung verweigert, die CD dann auch nicht abspielen. Und selbst die Benutzer, die zustimmen, werden wohl kaum damit rechnen, dass sich die Software derartig tief ins System vergräbt, dass sie quasi "unauffindbar" geworden ist. Trotzdem verhindert sie künftig, das als "geschützt" markierte Dateien kopiert werden. Letztendlich entzieht sie damit dem Nutzer die Kontrolle über seinen Computer, im Widerspruch zum Verfassungs-Grundsatz, dass der Eigentümer mit seinen Gegenständen machen kann, was er will.

Trotz Zurückrudern von Sony: Ein flaues Gefühl bleibt

Da von XCP wesentliche Treiber geändert werden, droht bei spezieller Hardware oder künftigen Betriebssystem-Upgrades gar, dass der Computer unbenutzbar wird. Dank fehlender Funktion zur Deinstallation wird das Einlegen einer mit XCP geschützten CD in einen PC damit gänzlich zum Glücksspiel für den Kunden. Im Grunde genommen müsste sich auf den CDs ein Warnhinweis befinden: "Achtung: Diese Musik-CD verwanzt Ihren Computer." Verkäuflich wären sie damit wohl nicht mehr.

Inzwischen rudert Sony BMG massiv zurück [Link entfernt] . Nicht nur werden XCP-CDs aus dem Handel zurückgerufen. Auch Endkunden können ihre CDs kostenlos umtauschen, und sogar zusätzlich MP3-Dateien mit den Songs von der CD erhalten. Gegenüber Microsoft und Antiviren-Herstellern wurden die Funktionen von XCP offen gelegt, so dass Viren sich zum Beispiel künftig nicht mehr mit Hilfe von XCP verstecken können.

Ein flaues Gefühl bleibt: Wie viele vergleichbare Tools verstecken sich auf den CDs der Konkurrenz? Hat Sony BMG wirklich gelernt, und wird künftig auf solch intransparente Software auf den Systemen der Kunden verzichten? Vor allem aber: Bauen künftig die Betriebssystem-Hersteller solche oder noch viel problematischere Anti-Kopie-Software von vornherein ein? Vor allem Microsoft bekennt sich ja in letzter Zeit ausgesprochen deutlich zu "trusted computing", was letztendlich bedeutet, einen Teil des Rechners komplett vom Zugriff des Nutzers abzuschotten. Ansätze dazu sind bereits in der Spielekonsole XBox enthalten. Das kommende Windows Vista (bisheriger Codename "Longhorn") soll ebenfalls damit ausgestattet sein.