Tonfolge

Editorial: Pfeifen verboten!

Neue Erlöswege der Musikindustrie
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Mittlerweile fünf Abmahnungen von Musikverlagen hat Michael Meier, Betreiber einer Klingelton- und Logo-Site, in den letzten Tagen erhalten (teltarif berichtete zweimal: <1> <2>). Alle Abmahnungen haben einen ähnlich lautenden Inhalt, den man vereinfacht so zusammenfassen kann: "Klingeltöne sind stark verkürzte und vom Tonumfang reduzierte, folglich also verstümmelte Kopien unserer Musiktitel und daher illegal." Michael sarkastisch am Telefon: "Ich könnte die Wände mit Abmahnungen tapezieren."

Michael versteht die Welt nicht mehr. Er hat die Klingeltöne von einem anderen Anbieter bezogen, der wiederum Lizenzgebühren an die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte) abgeführt hatte. Die GEMA hat sogar eine eigene Rubrik speziell für Klingeltöne in ihren Vertragsbedingungen. Alles sollte folglich seine gründlich deutsche Korrektheit gehabt haben. Sollte.

Es gibt in der Tat ein erstes Urteil, das den Musikverlagen recht gibt. Daraufhin startete EMI den Abmahn-Reigen. Andere Verlage zogen nach. Die vorläufig letzte Abmahnung stammt von Sony. Sie wurde von demselben Anwalt versendet, der EMI vertritt. Ein anderer Anwalt vertritt gar ein halbes Dutzend Musikverlage, schickte bisher drei Abmahnungen. Diese gleichen sich bis auf die Angaben zu den beanstandeten Musiktiteln und den Namen der vertretenen Verlage aufs Wort. Die Serienbrieffunktion der Textverarbeitung lässt grüßen. Selten ist Geld verdienen einfacher.

Ganz ungeahnt gar die Verdienstmöglichkeiten, die sich den Anwälten und der Musikindustrie erschließen, sollten sie recht behalten. Wenn mechanische Pfeiftöne der Handys verboten sind, warum dann nicht auch bei menschlichen Mitbürgern? Wer beim Nachpfeifen einer aktuellen Schlagermelodie in der Öffentlichkeit erwischt wird? Abmahnung! Wer im Alkoholrausch den Ballermann-Song gröhlt? Abmahnung und Ausnüchterung wegen starker Entstellung! Wer in der Badewanne singt? Glück gehabt, wenn der Nachbar ihn nicht hört.

Dem mündigen Bürger bleibt dann wohl nichts anderes übrig, als auf althergebrachtes Liedgut ("public domain") zurückzugreifen, oder teure Pfeif-, Sing- oder gar Gröhllizenzen im Musikladen zu erwerben. Der "portable personal rights manager" (PPRM) wird der Clou der IFA im Jahr 2003: Ein kleines portables Gerät, das auch unterwegs alle Lizenzen automatisch verwaltet. Erkennt der PPRM, dass man ein Lied singt, wozu man noch nicht berechtigt ist, zeigt es dieses durch lautstarkes Piepen an. Ignoriert man dieses Piepen, wird die neue Lizenz automatisch per UMTS-Netze heruntergeladen und über die nächste Mobilfunkrechnung bezahlt.

Mal wieder im Ernst: Über den Nutzen von Klingeltönen fürs Handy mag man streiten. Viele Betreiber von Klingelton-Sites sind aber junge Geschäftstreibende mit Domain bei Strato und Service-Vertrag bei einem der Provider für die Töne. Auf diesem Weg sammeln diese erste Erfahrungen im Geschäftsleben, ein wertvoller Grundstock, sollten sie selbständig bleiben. Statt hunderten von Kleingewerbetreibenden nun jeweils zig Abmahnungen zu schicken, hätte man sich auch direkt mit der GEMA auseinandersetzen können, wenn diese wirklich, wie behauptet, Lizenzen erteilt, die sie nicht erteilen darf. Aber vielleicht hat man Angst vor dem großen Gegner.