abgehört

Zypries: Telefonüberwachung soll wirksam und maßvoll sein

Gutachten sieht keine besorgniserregende Zunahme bei Telefonüberwachungen
Von Marie-Anne Winter

Um den staatlichen Strafanspruch bei schweren Delikten auch in schwierigen Beweislagen durchsetzen zu können, sieht die Strafprozessordnung unter strengen Voraussetzungen so genannte verdeckte Ermittlungsmaßnahmen vor. Die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) durch Strafverfolgungsbehörden greift dabei notwendigerweise in die Freiheitsgrundrechte der Bürger ein. Kein Wunder, dass die immer häufiger angewendeten Telefonüberwachungen - insbesondere bei Mobiltelefonen - auf Besorgnis und Kritik stoßen. Allerdings zeigt sich die Bundesregierung gegenüber der von verschiedener Seite geäußerte Sorge aufgeschlossen, dass der Staat sich auf diese Weise im Übermaß Informationen über seine Bürger beschaffen und sich damit schrittweise zu einem Überwachungsstaat entwickeln könnte.

Das Bundesjustizministerium hatte beim Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg eine Untersuchung zur "Rechtwirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b StPO und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen" zu Umfang, Wirkungsweise und Effizienz dieses Ermittlungsinstruments in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten, das Bundesjustizministerin Brigitte Zypries gestern gemeinsam mit Prof. Dr. Hans-Jörg Albrecht das Gutachten vorgestellte, hat die zitierten Befürchtungen nicht bestätigt.

Telekommunikationsüberwachung ist effektiv

"Die Untersuchung des Max-Planck-Instituts zeigt, dass die Telekommunikationsüberwachung ein unverzichtbares und effizientes Mittel zur Strafverfolgung ist, das von den Ermittlungsbehörden sensibel und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingesetzt wird", sagte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Die Untersuchung des Max-Planck-Instituts habe ergeben, dass TKÜ als Ermittlungsmaßnahme für die Strafverfolgungsbehörden unverzichtbar sei, weil es Deliktsbereiche gebe, in denen ohne die Überwachung der Telekommunikation eine Strafverfolgung praktisch unmöglich sei. Dies gelte für die organisierte Kriminalität, aber auch für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Die Untersuchung mache deutlich, dass TKÜ weit überwiegend bei schweren Straftaten wie Rauschgifthandel, Verstößen gegen das Kriegswaffenkontroll- und Außenwirtschaftsgesetz, Menschenhandel und Raub oder räuberische Erpressung eingesetzt werde.

Wie effektiv die TKÜ sei, zeige sich nicht zuletzt daran, dass die Anklagequote bei Verfahren, in denen Telekommunikationsüberwachung eingesetzt wurde, mit 58 Prozent etwa doppelt so hoch liege wie im sonstigen Durchschnitt. Die Verurteilungsquote liege sogar bei 94 Prozent.

IN der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums heißt es weiter, dass das Gutachten mit dem Vorurteil aufräume, Deutschland sei Weltmeister im Abhören. Stattdessen belege es, dass Deutschland im kontinentaleuropäischen Mittelfeld liege und die Strafverfolgungsbehörden dieses Instrument mit der gebotenen Sensibilität einsetzten. Eine Betrachtung der TKÜ-Zahlen mache deutlich, dass es in den vergangenen Jahren eine Steigerung der Überwachungsanordnungen in absoluten Zahlen lediglich im Bereich der Mobiltelefone zu beobachten sei. Die Zahlen bei den Festnetzanschlüssen sollen hingegen im wesentlichen konstant geblieben sein. Dabei sei zu berücksichtigen, dass in den letzten Jahren der Anteil der Bevölkerung, der über Mobiltelefone verfügt, auf 71 Prozent angestiegen sei. Berücksichtige man das Verhältnis von überwachten Anschlüssen zur Gesamtzahl der Mobiltelefonanschlüsse seien die Zahlen von 1997 bis heute sogar rückläufig. Die Überwachungsdichte bei Mobilfunktelefonen in den Jahren 1997 bis 2001 sei von 0,46 auf 0,32 je 1000 Anschlüsse gesunken. Daraus lasse sich ableiten, dass der Anstieg bei den absoluten Zahlen bei der TKÜ auf das veränderte Kommunikationsverhalten der Bevölkerung zurückzuführen ist.

Weiterhin habe die Untersuchung ergeben, dass der zulässige Zeitrahmen für eine Überwachungsmaßnahme (drei Monate) in zwei Drittel der Fälle nicht ausgeschöpft würde. Auch dies sei ein Beleg dafür, dass die Ermittlungsbehörden den Eingriff auf den erforderlichen Umfang beschränkten. In der Hälfte der Fälle, in denen eine Überwachung für drei Monate angeordnet wurde, wurden die entsprechenden Anschlüsse lediglich einen Monat lang tatsächlich überwacht. Drei Viertel der Überwachungen seien spätestens nach zwei Monaten wieder beendet.

Schwachstellen in der Praxis

Allerdings habe die Untersuchung auch Schwachstellen in der Praxis belegt: In zwei Bereichen habe die Untersuchung Defizite aufgezeigt: Richterliche Anordnungen einer Überwachungsmaßnahme werden in zu vielen Fällen nur allgemein und ohne hinreichenden Einzelfallbezug begründet. Zudem wird offenbar die gesetzliche Pflicht, die Betroffenen nachträglich über die Maßnahme zu informieren, nur in einer geringen Zahl von Fällen geprüft und befolgt. Dort sieht Frau Zypries Handlungsbedarf. Man könne zwar aus einer formelhaften Begründung nicht schließen, dass die gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen im Einzelfall nicht vorgelegen hätten oder unzureichend vom Richter geprüft worden wären. Einem außen stehenden Betrachter erschließe sich dies aber nicht hinreichend, so dass es an der erforderlichen Transparenz und Nachvollziehbarkeit mangele. "Wir werden deshalb prüfen, wie die Gesetzeslage verbessert werden kann. So ist es etwa vorstellbar, die Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Anordnungen detailliert im Gesetz festzuschreiben", kündigte die Bundesjustizministerin an.

Als weiterer kritischer Punkt habe sich in der Praxis ergeben, dass die im Gesetz (§ 101 StPO) vorgesehene Pflicht, die Beteiligten nach Abschluss der Maßnahme zu benachrichtigen, nicht zufrieden stellend beachtet werde. In zwei Dritteln der Fälle finde sich in den Akten kein Hinweis, dass die Pflicht zur Benachrichtigung beachtet wurde. Nur in 27 Prozent der Fälle erlangten die Beteiligten durch Benachrichtigung oder Akteneinsicht Kenntnis von der Überwachung. Die Benachrichtigungspflicht dient dazu, den Beteiligten die Möglichkeit des Rechtsschutzes, also einer erneuten gerichtlichen Überprüfung zu geben, in deren Rahmen der Betroffene, der ja zunächst von der Überwachung keine Kenntnis hat, Einwände gegen diese vorbringen kann. Dies folgt aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör und ist in einem Rechtsstaat unverzichtbar. Nur in Ausnahmefällen, wenn beispielsweise dadurch weitere Ermittlungen gefährdet würden, darf dies unterbleiben.

"Hier ist nach meiner Einschätzung allerdings nicht in erster Linie der Gesetzgeber gefragt. Dieser hat ja bereits die Pflicht zur Benachrichtigung im Gesetz verankert; insoweit kommt allenfalls eine noch präzisere Benennung des zu benachrichtigenden Personenkreises in Betracht", sagte Brigitte Zypries. "Viel wichtiger ist, die Praxis hier stärker in die Pflicht zu nehmen. Sowohl die Behördenleitungen der Staatsanwaltschaften als auch die zuständige oberste Dienstaufsicht – das sind die jeweiligen Landesjustizverwaltungen – werden hier Maßnahmen ergreifen müssen, um die Benachrichtigungspflicht in der Praxis besser zu gewährleisten als dies bisher der Fall ist".