Benutzer paeffgen schrieb:
Der Duden ist ja auch nur deskriptiv und nicht - wie z.B. die Academie Francaise - normativ.
Und das ist gut so. Die Normativität der Academie Francaise führte dazu, dass die Franzosen heute noch so schreiben, wie sie vor 300 Jahren (oder so ähnlich, nagle mich nicht auf eine Zahl fest) gesprochen haben. Wir Deutschen schreiben dagegen nahezu so wie wir sprechen (die gravierendste Ausnahme neben den Fremdwörtern dürften Wörter auf -ig sein, die Standardaussprache für beispielsweise richtig ist "richtich").
Natürlich ändert sich eine Sprache, aber der Trend geht immer zur Vereinfachung und Nivellierung. Muß ich das gutheißen und dem tatenlos zusehen?
Stimmt so nicht. Natürlich gibt es eine Tendenz ("Trend") zur Vereinfachung - wobei Vereinfachungen in einem Bereich zuweilen andere Bereiche komplizierter machen (beispiel siehe unten). Aber es gibt auch die Tendenz, sich deutlich auszudrücken - schließlich will jemand, der redet, auch verstanden werden. Im Englischen ist z.B. das Wort quean ("Strichmädchen") ausgestorben, als seine Aussprache mit der von queen ("Königin") identisch wurde.
Beide Tendenzen gehen in verschiedene Richtungen, wo sie diametral entgegengesetzt sind, gibt es einen Ausgleich: so besagt z.B. das Zipfsche Gesetz, dass häufig benutzte Wörter kürzer sind als selten benutzte - wenn sich die Häufigkeit eines Wortes ändert, wird das angepasst (aus Automobil wurde Auto). So erklären sich z.B. auch die Abkürzungen und Kurzworte in kleineren Sprachgemeinschaften innerhalb einer größeren Sprachgemeinschaft (z.B. Berufsgruppen oder Subkulturen).
Grundsätzlich lässt sich beobachten, dass Sprachwandel zuweilen im Kreis verläuft: eine Vereinfachung an einer Stelle mach was anderes komplizierter, und so entsteht eine Kettenreaktion, bei der am Ende im Prinzip die Ausgangssituation wieder hergestellt wird.
Wenn aus einem starken Verb ein schwaches wird, wird die Sprache dadurch geschwächt.
Quatsch,. "Stark" und schwach bezieht sich auf "starke" und "schwache" (also große bzw. kleine) Veränderungen in der Flexion - wobei das nicht in allen Fällen so stimmt (ist eben leicht vereinfacht), mit der Stärke der Sprache hat das überhaupt nichts zu tun.
Ursprünglich gab es mehrere Flexionsklassen für Verben (so wie wir es heute noch bei Substantiven haben), die "schwachen" Verben unterschieden sich von den starken deutlicher als die starken Verben untereinander (und waren daher gewissermaßen die "Ausnahme"). Durch Lautwandel und Analogiebildungen - also Vereinfachungen in Aussprache und Lexikon - spalteten sich einige starke Klassen auf, d.h. im Lauf der Jahrhunderte gab es immer mehr (und damit immer kleinere) Flexionsklassen bei starken Verben - die Fexionsmorphologie wurde komplizierter. Irgendwann brach dann das System zusammen: heute ist es nur noch sinnvoll, zwischen regelmäßigen und unregelmäßigen Verben zu unterscheiden (es gibt auch unregelmäßige schwache Verben, z.B. denken). Und eine Sprache, die Unregelmäßigkeiten ausmerzt, wird stärker, nicht schwächer.
Bei Substantiven ist dagegen die schwache Deklination auf dem Rückzug (früher gab es noch schwache Feminina, vgl. z.B. "auf der Erden"). Wird die deutsche Sprache stärker, wenn jemand (um eine mögliche zukünftige Entwicklung vorwegzunehmen) "des Mensch" sagt statt "des Menschen"?
Ist das keine Verschlechterung?
Nö. Warum sollte es eine Verschlechterung sein, wenn eine Sprache besser funktioniert als vorher?
"Verschlechterungen" sind es nur subjektiv: das, was vorher falsch war, wird auf einmal richtig. Nur wie der Beispiel mit dem Germanistikprofessor im 19.Jh. der dem "der Hund ball" nachtrauerte, sich für "der Hund boll" einsetzte und deswegen "der Hund bellte" bekämpfte, macht klar, dass diese Entwicklung im Nachhinein nicht als schlecht bewertet wird - "der Hund ball" ist heute nur noch ein Witz. Schon Tucholsky hat sich in einem Artikel über bellende Hunde darüber lustig gemacht.
Oder ein anderes Beispiel: im Grundgesetz stören mich die vielen Dativ-es in Fällen, in denen heute keins mehr benutzt wird, das ist für mein Empfinden schlicht falsch.