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Editorial: Das Datenschutzdilemma

Datendepots helfen gegen Kriminalität - und fördern diese gleichzeitig
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Man stelle sich einmal vor, alle E-Mail-Adressen wären geheim. Nur Personen, die gegenseitig Nachrichten voneinander beziehen wollen, würden ihre E-Mail-Adressen austauschen. Dann würde es die ganze Spam-Flut nicht geben, denn die Müllversender hätten keinen Weg, an die Abermillionen von E-Mail-Adressen zu kommen, die sie tagein, tagaus befeuern. Faktisch handelt es sich beim Spam also um ein Datenschutzproblem.

Doch nicht nur Spammer, auch andere Abzocker profitieren von Datenschutzlücken: Ein verheirateter Mann mittleren Alters mit stabilem Einkommen, der vor kurzem diverse Baby-Sachen gekauft hat und in eine größere Wohnung umgezogen ist, wird doch eine fingierte Dialer-Rechnung über angebliche Sex-Downloads viel eher diskret bezahlen als ein bekennender Single. Schließlich will der neu gewordene Familienvater unangenehme Diskussionen mit seiner Frau vermeiden. Je mehr Informationen ein Abzocker über sein Opfer hat, desto zielgerichteter kann er seine Drohbriefe formulieren, und desto höher ist seine Erfolgswahrscheinlichkeit.

Firmen können ihre Daten noch schwerer schützen als Privatpersonen - und sind entsprechend oft das Ziel fragwürdiger Angebote: Neugegründete Firmen bekommen nach der Eintragung nicht nur eine Rechnung des zuständigen Registergerichts, sondern auch diverse wie Rechnungen aussehende "Eintragungsofferten" dubioser Abzocker. Stellt die Firma auf einer Messe aus, geht das Spiel mit fragwürdigen Angeboten für die Veröffentlichung der Firma in "unabhängigen" Messekatalogen von vorne los. Auch Privatpersonen sind von dem Spiel mit getürkten Domain-Rechnungen betroffen, über das wir wiederholt berichtet hatten.

Je mehr Daten in die Hände von Spammern und Abzockern fallen, desto zielgerichteter können diese ihre Aktionen ausführen, und desto größer ist am Schluss der Schaden für die Allgemeinheit. Dabei muss man davon ausgehen, dass Spammer nicht nur legale und öffentliche Quellen für ihre Daten verwenden. Ganz im Gegenteil: Viele aktuelle Viren, Würmer und Trojaner dienen allem Anschein nach dem Zweck, den Computer des Opfers auszuspionieren, um weitere Daten zu sammeln.

Die Gesellschaft muss diesen Problemkreis berücksichtigen, wenn sie Entscheidungen über "Vorratsdatenspeicherung" trifft. Natürlich hilft es den Ermittlungsbehörden, wenn sie von den Mobilfunk-Netzbetreibern eine Liste aller Handys erhalten, die in den Stunden vor und nach einem aufzuklärenden Mord in der Nähe des Tatorts benutzt worden sind. Und schnelle Aufklärung schreckt zweifellos andere Täter ab. Aber ebenso besteht die Gefahr, dass ein Profi-Killer die Handy-Daten seines Opfers ausspioniert, um dadurch seine Gewohnheiten zu erfahren, woraus sich schließlich Ort und Zeitpunkt für den "perfekten Mord" ergibt.

Das heißt jetzt nicht, dass wir auf sämtliche Datenerfassungen und -speicherung verzichten sollten. In vernünftigem Maß betrieben, überwiegen die gesellschaftlichen Vorteile. Doch bei der Ausweitung der "Vorratsdatenspeicherung" muss man - neben den Kosten - auch die negativen Effekte beachten, die dadurch entstehen, dass die Daten in falsche Hände fallen. Dabei ist davon auszugehen, dass Kriminelle im Zweifelsfall Zugriff auch auf solche Daten haben, die offiziell als geschützt gelten. Computer und das Internet sind nun mal nicht perfekt sicher. Und ebenso, wie mancher Bankraub durch Bestechung des Wachmanns ermöglicht wurde, kann auch Datendiebstahl durch menschliche Schwächen begünstigt werden.