überflutet

Wut der T-Aktionäre bringt Justiz an den Rande des Kollaps

Verhandlungen über 15 000 Klagen beginnen am Dienstag
Von AFP / dpa /

Meinrad Wösthoff hat viel Post bekommen: Briefe von Aktionären, die sich von der Deutschen Telekom beim Börsengang über den Tisch gezogen fühlen. Die geballte Wut von 15 000 Anlegern stapelt sich bei dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Frankfurt in zwei extra dafür eingerichteten Aktenräumen. Die Papierflut hatte das Fassungsvermögen der Geschäftsstelle gesprengt. Am Dienstag wird Richter Wösthoff beginnen, zehn Klagen als Musterverfahren abzuarbeiten. Schon jetzt ist klar: Dieser Mammutprozess ist beispiellos in der Geschichte der Bundesrepublik - juristisch und logistisch.

Die Aktionäre werfen dem Bonner Telefonriesen vor, den Wert der Immobilien vor dem ersten Börsengang wissentlich zu hoch angesetzt zu haben. Die Angaben in den Verkaufsprospekten für alle drei Tranchen 1996, 1999 und 2000 seien daher geschönt gewesen. Die Aktionäre hätten für das als Volksaktie gepriesene Papier zu viel bezahlt. Die Telekom bestreitet dies, auch wenn sie Anfang 2001 ihren 1995 festgelegten Wert für den Bestand an Grund und Boden deutlich abgewertet hat, was die T-Aktie weiter auf Talfahrt schickte. Nun verlangen die Anleger ihr Kapital nebst Kosten zurück, alles in allem rund 100 Millionen Euro.

Prozess beginnt am Dienstag

Es ist ein Prozess der Superlative, der am Dienstag, 23. November, vor dem Frankfurter Landgericht beginnt. Der 46-Jährige Vorsitzende Richter der 7. Kammer für Handelssachen am Landgericht Frankfurt, hat sich dafür entschieden, zunächst zehn Pilotverfahren eingehender zu behandeln. In ihnen, so sagt Gerichtssprecher Stefan Möller, sind alle rechtlich relevanten Fragen enthalten. Zentrale Punkte in den meisten Klagen sind die angeblich weit überhöhte Bewertung der Telekom-Immobilien und die zum dritten Börsengang schon weit vorangeschrittene Milliarden-Akquisition des US-Mobilfunk- Unternehmens Voicestream.

Außerdem sind in den Musterverfahren alle denkbaren Beklagten vertreten: Neben der Telekom sind das die Bundesrepublik Deutschland, deren KfW-Bankengruppe, die Deutsche Bank als Konsortialbank und in einigen wenigen Fällen auch der frühere Telekom-Vorstandsvorsitzende Ron Sommer persönlich.

Breite Allianz gegen die Deutsche Telekom und andere an der Emmission Beteiligte

Der Unmut ist groß. Verständlich, ging doch bei vielen ein Großteil der Ersparnisse mit dem Kurssturz der T-Aktie den Bach runter. Menschlich auch, dass viele Anleger nun versuchen, ihr Geld zurückzuholen. 15 000 Kläger und ihre 630 Anwälte haben Richter Wösthoff daher mit Schriftsätzen bombardiert und jeden verklagt, der irgendwie mit dem Börsengang zu tun hatte.

Kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist im Mai 2003 drohte die Justiz unter dem Ansturm zu kollabieren: Der Briefkasten des Frankfurter Landgerichts war tagelang verstopft, die Faxgeräte quollen über oder brachen zusammen, die Mitarbeiter schoben Überstunden.

Nachdem sich zahlreiche Aktionäre zusammengeschlossen haben, muss Wösthoff letzlich 2 200 Klagen abarbeiten. Allein, denn laut deutschem Recht ist er als einziger für die Schadenersatzklagen gegen die Telekom zuständig. "Der kann einem schon leid tun", sagt Anwalt Peter Gundermann von der Kanzlei Tilp, die selbst mehr als 300 enttäuschte Aktionäre vertritt. Und es könnten noch viel mehr werden: Weitere 17 000 Aktionäre haben ein Güteverfahren bei der Öffentlichen Rechtsauskunfts- und Vergleichsstelle Hamburg (ÖRA) angemeldet. Da sich die Deutsche Telekom jedoch nicht außergerichtlich einigen will, könnten viele nun zusätzlich den Klageweg beschreiten.

Zunächst sind Verfahrensfragen zu klären

Richter Wösthoff muss zunächst klären, was während der Musterprozesse und möglicherweise jahrelanger Revisionsverfahren mit den übrigen Klagen geschieht. Entscheidend ist zudem, ob das Gericht ein Gutachten zum Wert der rund 35 000 Grundstücke und Gebäude der Telekom benötigt und wer das bezahlen soll. Die Kosten werden auf etwa 17  Millionen Euro geschätzt, ganz zu schweigen von dem zeitlichen Aufwand. Die Kläger hoffen, darauf verzichten zu können, zumal die Staatsanwaltschaft Bonn eine entsprechende Expertise bereits auf Staatskosten hat anfertigen lassen - sie ist nur noch nicht fertig.

Die Bonner Ermittler sind der wundersamen Wertevermehrung der Telekom-Immobilien vor dem Börsengang seit fast fünf Jahren auf der Spur. Sie halten die damals angewendeten Bewertungsmethoden für "höchst bedenklich". Ob das auch strafrechtliche Konsequenzen hat, bleibt abzuwarten.

Schon jetzt zeigt das Verfahren, dass weder das deutsche Recht noch die Gerichte auf ein solches Massenverfahren eingerichtet sind, schon weil Sammelklagen wie in den USA in Deutschland unmöglich sind. Doch die Bundesregierung hat reagiert und das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz auf den Weg gebracht. Danach sollen Aktionärsklagen zu Musterverfahren gebündelt werden können, dessen Ausgang bindende Wirkung für die übrigen Klagen hätte. Für die Telekom-Aktionäre kommt das jedoch zu spät.