Zählerei

Editorial: 1000 vs. 1024

Oder: Standards, die keine sind
Von

In der Schule lernen wir: Ein Kilometer sind 1000 Meter, ein Kilogramm 1000 Gramm oder ein Kilowatt 1000 Watt. Doch beim Kauf von Computer oder Speicherkarten die Ausnahme: Ein Kilobyte entspricht hier nicht 1000 Byte, sondern 1024 Byte. Ein Megabyte sind gar 1024*1024, d. h. 1 048 576 Byte, und ein Gigabyte kommt auf 1 073 741 824 Byte.

Doch nicht einmal alle Hersteller von Computerhardware halten sich an die "1024-Regel". Der Festplattenhersteller Seagate gibt beispielsweise auf seiner Homepage [Link entfernt] an, bei seinen Platten die Regel zu verwenden, dass ein Megabyte 1000 Kilobyte entspricht, nicht 1024. Auch die meisten anderen Festplattenhersteller arbeiten mit den physikalischen Größenbeziehungen. Hingegen wird die Kapazität von Halbleiterspeicher (z.B. Hauptspeicher, Cache, Flash-Karten etc.) fast ausschließlich nach der 1024-Regel angegeben, so dass "1 Gigabyte RAM" eben 1024 Megabyte sind.

Eingeführt wurde die 1024-Regel für Halbleiterspeicher, weil es aufgrund der Gegebenheiten der verwendeten binären Logik am günstigsten ist, wenn dessen Größe eine 2er-Potenz ist. Das sind (der Reihe nach) die Zahlen 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512, 1024 usw. Und es ist im Laden nunmal einfacher zu sagen: "Ich hätte gerne einen 512-MB-Speicherriegel" als "Ich hätte gerne einen 536.870.912er-Speicherriegel".

Doch leider vergaß man, die "großen" Kilo-, Mega- oder Gigabyte kenntlich zu machen. So enstehen fast zwangsläufig Verwirrungen an anderer Stelle, beispielsweise in der Telekommunikationsbranche. Wenn ein DSL-Tarif ein Freivolumen von 1 Gigabyte hat, sind das dann 1 Milliarde Bytes (wie bei Festplatten-Speicher) oder 1,07 Milliarden Bytes (wie bei Halbleiter-speicher)? Der Unterschied beträgt immerhin etwas über 7%. Angesichts eines Marktes, bei dem sonst um Zehntelpfennige gerungen wird, ist das ein gewaltiger Unterschied.

Weitere Verwirrungen an anderer Stelle: Das Volumen wird ja berechnet, in dem die Größe (in Bytes) aller IP-Pakete zusammengezählt wird. Doch auch hier gibt es unterschiedliche Sichtweisen. So enthalten IP-Pakete jeweils einen 20 Byte großen Header, der benötigt wird, um die Pakete im Netz zu transportieren, der für den jeweiligen Empfänger jedoch weitgehend unnütz ist. Wird der Header trotzdem mitgerechnet? Was gilt, wenn der Header - wie üblich - komprimiert wird? Um die Header-Kompression zu ermöglichen, muss jedoch zusätzlich das PPP-Protokoll verwendet werden, was wiederum eigene Bytes zusätzlich einfügt. Werden die dann wieder mitgezählt?

Ab und zu gehen im Internet Daten verloren. Wenn beispielsweise ein Web-Server zu schnell an den Empfänger senden will, läuft die Warteschleife des Routers an der "engsten Stelle" zwischen Sender und Empfänger irgendwann voll, und es werden ein oder mehrere Pakete weggeschmissen. Der Empfänger fordert diese Pakete neu an (tcp-Protokoll), was dann der Sender als Hinweis dafür nimmt, die Senderate zu verringern. Werden die so vernichteten Bytes dennoch mitgezählt?

Ähnliche Fragen stellen sich nicht nur bei der Messung des DSL-Transfers, sondern auch an anderer Stelle, beispielsweise beim Hosting von Webseiten bezüglich der Größe des Webspace oder dem durch Webseitenaufrufe ausgelösten Transfervolumens. Letztendlich gilt: Je nachdem, wo genau im Netz gemessen wird, welcher Router und welche Abrechnungssoftware zum Einsatz kommt, fällt das Ergebnis etwas anders aus.

Leider ist das derzeitige Verfahren damit alles andere als transparent. Letztendlich stellt sich die Frage, wann es eine "DIN Volumenabrechnung" geben wird. Zu befürchten ist aber, dass in einem durch internationale Großunternehmen geprägten Markt nationale Standardisierungsgremien nichts oder nicht viel ausrichten können. Das zu groß geratene Kilobyte widersetzt sich ja bereits seit Jahrzehnten den Vorschriften. Dem Kunden bleibt damit letztendlich nur die Unsicherheit - und der Rat, volumenbasierte Preisangaben nicht zu genau zu nehmen und zu vergleichen.