gegen das Profitstreben

Internetstudie untersucht Motivation der MP3-Freaks

Die neue Moral: Hedonismus und Selbstbedienungsmentalität
Von dpa / Marie-Anne Winter

Robin Hood lebt - jedenfalls im Internet. Als Rächer im Dienst der guten Sache fühlen sich die meisten, die im weltweiten Datennetz Musik tauschen und herunterladen. "Sie wollen gegen die Musikindustrie kämpfen", sagt die Leipziger Wissenschaftlerin Sonja Haug, "dort vermuten sie ein großes Profitstreben." Die promovierte Soziologin von der Universität Leipzig befragte mit dem Philosophen Karsten Weber von der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) mehr als 4000 Internetnutzer, in welchem Umfang und warum sie Musiktauschbörsen im Internet nutzen.

Auch wenn viele Internetnutzer Lieder im MP3-Format herunterladen, kaufen sie trotzdem weiter CDs. "Im Schnitt wird eine CD im Monat gekauft und eine aus dem Internet geladen", sagt Haug. Der durchschnittliche Nutzer ist jung, männlich und hoch gebildet. Er lädt sich monatlich 13 bis 15 Songs. Lange suchen muss er nicht. MP3-Dateien sind längst kein Geheimtipp mehr, die meisten Tauschbörsen sind bekannt. Auch mit Suchmaschinen lassen sich die Seiten finden, auf denen anonyme Anbieter Musik von ihrer Festplatte zum Herunterladen freigeben. Die Zahl der Musiktitel ist dadurch riesig.

Die meisten wollen Songs, die es in Musikgeschäften nicht mehr gibt. "Deshalb weichen sie auf das Internet aus", sagt Haug. Und die Musikindustrie schimpft über die Musiktauschbörsen. In Deutschland werden nach ihren Angaben mittlerweile mehr CD-Rohlinge als bespielte CDs verkauft. Im ersten Halbjahr brachen die Umsätze der Plattenfirmen in Deutschland gar um ein Achtel ein.

Haug entdeckte bei den Nutzern eine Moral, die sie mit zwei Worten beschreibt: Hedonismus und Selbstbedienungsmentalität. "Sie haben keine Skrupel, die Musik illegal für sich nutzen, die das Internet bietet", sagt sie. Drei viertel wissen um ihr illegales Treiben und haben dennoch keine Angst vor Strafverfolgung. "Die Programme der Tauschbörsen sind so konstruiert, dass sie nicht überwacht werden können", sagt Haug. Auch um den Schutz des Urheberrechts der Künstler und Plattenfirmen machen sich die wenigsten Gedanken. Nur etwa drei Prozent haben Bedenken. Ihnen erscheinen die CD-Preise noch zu hoch.

Auch Plattenhändler klagen über gestiegene Preise in den vergangenen Jahren. Eine CD kostet inzwischen meist rund 35 Mark (18 Euro) in den Läden. Außerdem finden die Internetnutzer bei den Tauschbörsen etwas, was sie in den Musikläden vermissen. Einen guten Überblick über ihre Musikszene und Kontakte zu anderen Fans.

Zwischen den Musiktauschern entwickelte sich eine Solidarität. "Für fast alle gilt: Wie Du mir, so ich Dir", sagt sie. Sie geben auch gern von ihren Liedern ab, wenn sie selbst etwas dafür bekommen. Doch bezahlen wollen sie nach Haugs Einschätzung dafür nicht. Kommerziellen Anbietern, die für die Titel Geld verlangen wollen, sagt die Wissenschaftlerin keinen großen Erfolg voraus. "Warum sollen sie für etwas zahlen, was sie auch kostenlos bekommen können?"