Internet Calling

Internet-Telefonie wird immer wichtiger

VoIP-Anteil wächst 2001 um mehr als 50 Prozent
Von dpa / Marie-Anne Winter

Das Telefonieren über das Internet wird immer beliebter: Allein in diesem Jahr soll der Gesprächsverkehr über Internet Protokoll-Netzwerke (VoIP) um mehr als 50 Prozent wachsen.

Im vergangenen Jahr wurden vier Milliarden grenzüberschreitende Gesprächsminuten über das öffentliche Internet oder firmeneigene Intranets abgewickelt. Das entspricht etwa drei Prozent des internationalen Telefonverkehrs. Dies geht aus einer Schätzung der Internationalen Telekommunikations-Union (ITU) hervor, die zu einem am Mittwoch in Genf beginnenden Seminar einen Bericht über die IP-Telefonie veröffentlicht hat.

Die Internet-Telefonie ist attraktiv, weil Gespräche wesentlich billiger sind als über herkömmliche Leitungen. Die anfangs mangelhafte Gesprächsqualität wird immer besser. US-Unternehmen nutzen VoIP zum Beispiel, um ihre Kunden in den USA über ein Callcenter in Indien zu bedienen. Die Gespräche werden über IP- Netzwerke über Tausende Kilometer hin- und her transportiert.

Auch private Anrufer profitieren von den günstigen Preisen, aber für die staatlichen Telekom-Unternehmen vor allem in Entwicklungsländern hat die Internettelefonie einen gewaltigen Nachteil: Sie verlieren Geld. In Sri Lanka ist die Zahl der ankommenden Gesprächsminuten aus dem Ausland im vergangenen Jahr etwa von 16 Millionen Minuten im Monat auf 9 Millionen Minuten gefallen. Dadurch verliert die Telekom-Gesellschaft zwei Millionen Dollar im Monat.

Im internationalen Telefonverkehr zahlt die Gesellschaft, die den Anruf im Ursprungsland vermittelt, der Gesellschaft im Ankunftsland einen Teil der Einnahmen aus dem Gesprächen. Länder, die traditionell viele Landsleute im Ausland haben, die regelmäßig die Daheimgebliebenen anrufen, haben davon in der Vergangenheit erheblich profitiert. Insgesamt schätzt die ITU die Einnahmen der Entwicklungsländer aus derartigen Kompensationszahlungen während der 90er Jahre auf 50 Milliarden Dollar im Jahr.

Ein anderes Problem ist die staatliche Kontrolle der Telekommunikation. Die Regierungen können die Internet-Telefonie praktisch nicht überwachen. Die Reaktion auf das Dilemma ist unterschiedlich: Einige haben versucht, IP-Telefonie zu untersagen, andere unterstellen sie dem staatlichen Telekom-Monopol, wieder andere betrachten die IP-Telefonie als eine andere Form des Datentransports, der nicht zu regulieren ist. Für demokratische Systeme sollte das eigentlich kein Problem sein, aber es gibt leider noch eine Menge Staaten, die ihren Bürgern keine freie Meinungsäußerung erlauben.

China hat in jüngster Zeit eine rasante Kehrtwende vollzogen. Die Brüder Chen, die 1998 Internet-Telefongespräche ins Ausland zum halben Preis anboten, wurden zu Haftstrafen verurteilt. Sie hätten das Monopol von China Telecom verletzt, hieß es. Der Berufungsrichter hob das Urteil allerdings auf. Das Ministerium erkannte plötzlich die ungeahnten Chancen. Drei Unternehmen wurden inzwischen damit beauftragt, Netze aufzubauen. Das System wird rasant ausgebaut. Im nächsten Jahr rechnet die Regierung mit Einnahmen aus der Internet-Telefonie von mehr als zwölf Milliarden Dollar - inzwischen kommt auch im tugendsamen Reich der Mitte der Markt vor der Moral.