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Verfassungsbeschwerde gegen Vorratsdatenspeicherung

Bürgerrechtler rufen zur Teilnahme an "Sammel-Verfassungsbeschwerde" auf
Von Marie-Anne Winter

Bürgerrechtler rufen zur Teilnahme an einer "Sammel-Verfassungsbeschwerde" gegen die von der Bundesregierung geplante Protokollierung der Nutzung von Telefon, Handy, E-Mail und Internet auf. Der Aufruf zur Erhebung einer Massenverfassungsbeschwerde sei in der deutschen Geschichte bisher einmalig. "Die von der Bundesregierung geplante Totalprotokollierung der Telekommunikation der gesamten Bevölkerung ist ebenfalls einzigartig", begründet der Politikwissenschaftler Ralf Bendrath vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung die Aktion. "Frau Zypries will vorsorglich Informationen über unsere Telefonate, Bewegungen und Internetnutzung sammeln lassen für den Fall, dass wir zu Verbrechern werden. Wir sammeln vorsorglich Beschwerdeführer für den Fall, dass SPD und Union dieses verfassungswidrige Vorhaben tatsächlich umsetzen sollten. Wenn die Koalition unzählige Menschen bespitzeln lassen will, dann werden sich auch unzählige Menschen in Karlsruhe dagegen zur Wehr setzen."

An der vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung vorbereiteten Verfassungsbeschwerde kann sich jeder beteiligen. Auf der Internetseite des Arbeitskreises befindet sich ein Meldeformular. Die Vertretung der Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht wird der Berliner Rechtsanwalt Meinhard Starostik übernehmen, der Mitglied in dem Verein "RAV - Anwält/innen für Menschenrechte" ist.

Mit dem Fernmeldegeheimnis unvereinbar

Zu den Erstklägern gehören Dr. Rolf Gössner und Prof. Dr. Christoph Gusy. Der Bremer Rechtsanwalt und Bürgerrechtler Rolf Gössner ist Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte (ILMR). Christoph Gusy ist Professor der Rechtswissenschaft an der Universität Bielefeld. Er begründet seine Teilnahme an der Verfassungsbeschwerde wie folgt: "Das geplante Gesetz begründet eine allgemeine, anlassunabhängige Duldungspflicht der Bürger im Hinblick auf mögliche polizeiliche Maßnahmen, welche ohne Wissen des Betroffenen und damit gleichfalls ohne Kontroll- oder Rechtsschutzmöglichkeit durchgeführt werden können. Eine derart allgemeine, breit angelegte Datenerhebung ist mit dem Grundrechtsschutz aus Artikel 10 des Grundgesetzes, dem Fernmeldegeheimnis, unvereinbar."

"Die anlasslose, zwangsweise Protokollierung der Telekommunikation der gesamten Bevölkerung ist ein eklatanter Verfassungsverstoß", bekräftigt der Jurist Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. "Es ist vollkommen unverhältnismäßig, die gesamte Bevölkerung zu erfassen, nur um gegen einige wenige Verdächtige leichter ermitteln zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass 'eine Straftat von erheblicher Bedeutung, ein konkreter Tatverdacht und eine hinreichend sichere Tatsachenbasis' Voraussetzung jeder Erfassung von Verbindungsdaten ist und dass der Gesetzgeber das 'strikte Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat' zu beachten hat. Wer gleichwohl das ziellose Anhäufen sensibler Kommunikationsdaten aller Deutschen befürwortet, macht sich des vorsätzlichen Verfassungsbruchs schuldig." Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung fordert, das deutsche Gesetzesvorhaben zumindest solange auszusetzen, bis der Europäische Gerichtshof über die von Irland im Juli eingereichte Nichtigkeitsklage gegen die EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung entschieden hat.

Das Bundesjustizministerium hatte vor zwei Wochen einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorgestellt. Danach soll ab Mitte 2007 zur verbesserten Strafverfolgung über einen Zeitraum von sechs Monaten nachvollziehbar werden, wer mit wem per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden hat.