gefährlich

Editorial: Im Haifischbecken

Oder: Welche Attacke auf Call by Call kommt dieses Mal?
Von

Beim derzeitigen Reformeifer der Bundesregierung - Steuer, Rente, Sozialversicherung - geht ein aktuelles Reformvorhaben derzeit etwas unter: Das Telekommunikationsgesetz, kurz TKG. Anders als bei den vorangehenden TKG-Änderungen, etwa zur Einführung von Call by Call im Ortsnetz, wird dieses Mal das komplette Gesetz umgekrempelt. Die Umsetzung einiger EU-Verordnungen verlangt nämlich grundsätzliche Änderungen am Gesetz.

Dabei ist das TKG grundsätzlich zu wichtig, um nur als Randnotiz im politischen Geschehen behandelt zu werden. Denn dieses Gesetz regelt eine der größten Industriebranchen in Deutschland. Mehr noch, funktionierende und bezahlbare Telekommunikationsdienste werden von praktisch allen Wirtschaftsbereichen benötigt. Ohne funktionierende internationale Telefon-, Telefax und E-Mail-Verbindungen wäre Deutschland nicht in der Lage, wieder Export-Weltmeister [Link entfernt] zu werden, wie jüngst geschehen.

Politische Verschlimmbesserungen

Andererseits wünscht man sich auch, dass die Politik sich des neuen Gesetzes nicht zu sehr annimmt. Denn im Zweifelsfall wird der jetzige Regierungsentwurf des TKG, der überwiegend aus der Feder von Experten aus dem Bundeswirtschaftsministerium stammt, im parlamentarischen Prozess nur verschlimmbessert.

Das letzte parlamentarische TKG-Desaster - Call by Call im Ortsnetz - liegt erst gut ein Jahr zurück. Es wurde dadurch verursacht, dass der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag in letzter Minute zusätzliche Formulierungen in das Gesetz aufnahm. Die Folge der Bastelei in letzter Minute: Statt am gesetzlich vorgesehenen 1. Dezember 2002 wurde Pre-Selection im Ortsnetz erst am 9. Juli 2003 eingeführt - eine Verzögerung von über einem halben Jahr!

Über im Gesetzestext angedeutete zusätzliche Interconnect-Entgelte wird derzeit vor Gericht gerungen. Zunächst hatte die Regulierungsbehörde einen Zuschlag von 0,4 Cent pro Minute für Ortsgespräche angeordnet, doch zwei Monate später hatte ein Gericht diesen wieder gekippt.

Die Kritik an den beiden Sätzen des Vermittlungsausschusses ist im Detail in einem früheren Editorial nachlesbar.

Fingerspitzengefühl ist gefragt

Regulierungsfragen sind immer heikle Fragen, da die Interessen widerstreitend sind. Die Telekom möchte verständlicherweise so wenige Eingriffe wie irgend möglich, also eine laxe Regulierung. Die Konkurrenten wollen hingegen, dass die Telekom soviel wie möglich beschränkt wird, und bestimmte Märkte - zum Beispiel Call by Call - für sie geöffnet werden. Zwischen diesen widerstreitenden Interessen agiert die Politik.

EU-Richtlinien, allgemeine Wettbewerbs- und Kartellgesetze, sowie der grundgesetzlich garantierte Schutz des Eigentums geben die Schranken vor, innerhalb derer sich Regulierung überhaupt abspielen darf bzw. kann. Die technischen Fragen zur Regulierung sind komplex, aber immerhin eindeutig zu beantworten. Die betriebswirtschaftlichen Fragen sind zum Teil heftig umstritten und ohne allgemein akzeptierte Lösung.

Dies alles bewirkt, dass man "Bauchentscheidungen" und "Stimmungspolitik" aus dem TKG besser raushält. Denn diese ecken garantiert an den vorgenannten Grenzen an. Strickt man TKG-Änderungen gar mit der heißen Nadel, löst man möglicherweise ein Problem, schafft aber gleichzeitig sicher zwei bis fünf andere Probleme an unerwarteter Stelle. Die Folgen sind dann langjährige Gerichtsverfahren, Rechtunsicherheit für alle Beteiligten und ein schwieriger werdender Markt.

Somit ergeht der Aufruf an alle Beteiligten, dieses Mal mit mehr Fingerspitzengefühl an das TKG heranzugehen, als bei der Einführung von Call by Call im Ortsnetz.