gefährlich

Editorial: E-Mail verboten!

Die jüngsten Blüten des Anti-Spam-Kampfes
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Wer eine E-Mail-Adresse hat, die leicht zu erraten ist, oder die an irgendeiner Stelle des Internets öffentlich einsehbar ist (z.B. auf einer Webseite, in einer Newsgroup, auf einer großen Mailingliste etc.) kennt das Problem: Täglich bekommt er unerwünschte E-Mail. Die meisten dieser E-Mails drehen sich um Sex und Porno; folgt man den Anweisungen in der E-Mail, kommt man meist zu einschlägigen Sites im Internet, bei deren Betreten ein überteuerter Dialer lädt, oder man gar seine Kreditkarte zücken muss. Andere Spammer versprechen dem Empfänger wunderbare Methoden zur Geldvermehrung, oder zumindest zur Reduktion seiner Schulden.

Für viele User, die ihre Adressen veröffentlichen müssen, ist es zunehmend schwierig, die 10 oder 20 vernünftigen E-Mails aus Dutzenden oder hunderten von unerwünschten E-Mails herauszufiltern. Angesichts dieser Fluten ist es auch kein Wunder, dass die Gerichte die Versendung von Spam in der Regel verbieten - so man denn die jeweiligen Absender herausfindet.

Doch es sind auch die Gerichte, die teilweise erheblich übers Ziel hinausschießen, und bereits anhand einer einzelnen E-Mail beurteilen, ob Spam vorliegt oder nicht. Damit sind diverse Web-Services hierzulande akut bedroht.

Gefährliche E-Cards

Erwischt hat es beispielsweise mehrere politische Parteien, die vor der letzten Bundestagswahl jeweils auf ihrer Homepage die Möglichkeit anboten, sogenannte Grußkarten oder E-Cards an Dritte zu versenden. Auch eine Agrar-Marketinggesellschaft [Link entfernt] zog vor dem Landgericht München den kürzeren, und musste die entsprechende Versandmöglichkeit auf der Homepage einstellen.

Dabei gilt: Der Anwalt, der gegen die Parteien als auch gegen die Agrargesellschaft vor Gericht zog, ist im Web sehr bekannt und sehr umstritten. So ist es kein Wunder, wenn ihn Scherzbolde für allerlei Newsletter anmelden oder Grußkarten übersenden. Doch der Anwalt freut sich über das bunte Treiben: Indem er sich jeweils selber vertritt, kann er hohe Anwaltsrechnungen verlangen. Für ihn ist Spam längst eine Einnahmequelle.

Der mögliche "Kollateralschaden" von vorschnellen Anti-Spam-Gerichtsentscheidung ist jedoch enorm: Wendet man die Logik der Grußkartenurteile allgemein an, sind alle Funktionen verboten, mit denen man von einer Website aus per Webformular von der Website bereitgestellte Inhalte versenden kann. Denn die zugehörigen Formulare lassen sich leicht von Dritten missbrauchen. Unsere Meinung dazu ist jedoch: Für Missbrauch ist im Zweifelsfall derjenige verantwortlich, der das Formular benutzt, um Dritte zu belästigen, nicht derjenige, der das Formular bereit stellt. Schließlich kommt auch keiner auf die Idee, Nokia das Herstellen von Mobiltelefonen zu verbieten, nur weil Nokia-Telefone ab und zu für belästigende Anrufe benutzt werden.

Das Landgericht München sieht das jedoch - zumindest bei der Versandfunktion für E-Cards - derzeit anders, und verurteilte die Website-Betreiber jeweils als "Mitstörer". Und so befinden wir uns mit der Funktion, eine News als E-Mail an einen Dritten weiterzuleiten, in der rechtlichen Grauzone. Immerhin sind wir damit nicht allein - auch spiegel.de, focus.de, stern.de, netzeitung.de [Link entfernt] und hunderte, wenn nicht gar tausende anderer Nachrichten-Websites bieten eine solche Funktion derzeit an.

Unerwünschte Newsletter

In eine ähnliche Kerbe haut auch das Landgericht Berlin, das in einem Beschluss vom letzten Jahr gar das sonst als besonders vorbildlich geltende "double-opt-in-Verfahren" für die Anmeldung zu Newslettern für illegal erklärt (Aktenzeichen 16 O 515/02). "Double opt in" bedeutet, dass man sich für die Bestellung eines Newsletters zunächst auf einem Webformular einträgt. Daraufhin erhält man eine Bestätigungs-E-Mail, auf die man entweder per Reply-Funktion des Mailprogramms antworten muss, oder in der ein Aktivierungslink enthalten ist, auf den man klicken muss. Führt man diese Aktivierung nicht durch, erhält man auch den Newsletter nicht.

Diese Bestätigungs-E-Mail sah nun das Landgericht Berlin in mehreren Fällen bereits als "unzulässige Werbung" - und erließ entsprechende einstweilige Verfügungen gegen den Newsletter-Anbieter. In einem Urteil heißt es: "Es bliebe die Möglichkeit, dass die Anforderung [für die Zusendung der Bestätigungs-E-Mail] durch einen unbekannten Dritten erfolgte, und dies fällt in den Risikobereich des Antragsgegners." Auch diese Entscheidung fiel wegen einer einzigen E-Mail.

Wenn es aber zum Risikobereich eines Informationsanbieters gehört, wegen seiner Newsletter-Anmeldefunktion vor Gericht gezerrt zu werden, dann stellt sich die berechtigte Frage, wie viele Site-Betreiber den Newsletter eben wieder abschaffen. Denn zumeist werden Streitwerte von zehntausenden von Euro angesetzt. Da summieren sich die Kosten für den Anwalt auf beiden Seiten und die Gerichtsgebühren schnell auf mehrere tausend Euro.

Behutsame Interessensabwägung

Es bleibt zu hoffen, dass hier durch vernünftige Urteile der höheren Gerichte bald Rechtssicherheit geschaffen wird. Eine vernünftige Rechtsprechung sollte unserer Ansicht nach vor allem drei Punkte umfassen:

  • Für die Prüfung, ob Spam wirklich Spam ist, sind nachvollziehbare Maßstäbe anzuwenden. Insbesondere dann, wenn nur eine einzige E-Mail Gegenstand des Verfahrens sind, ist eine besonders harte Prüfung erforderlich, ob der Absender tatächlich unzulässig in den Geschäftsbetrieb des Empfängers eingreift (§§ 823, 1004 BGB) bzw. sich durch kostengünstige E-Mail-Werbung einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschafft (§ 1 UWG). Dabei dürfen nicht nur Spam-belastende Kriterien (z.B. ein "werbender Charakter" oder "unaufgeforderte Zusendung") überprüft werden, sondern es müssen auch Spam-entlastende Kriterien (wie korrekte Absenderangaben, funktionierende Abmeldemöglichkeiten etc.) berücksichtigt werden.

    Anders hingegen in den Fällen, in denen offensichtlich Tausende oder gar Millionen unerwünschter E-Mails versendet werden. Hier ist regelmäßig von den oben genannten Verstößen auszugehen.

  • Wenn es den Gerichten nicht gelingt, eindeutige Spam-Kriterien aufzustellen, sollte zumindest die Regelung getroffen werden, dass der Streitwert proportional zu der Zahl der E-Mails festgesetzt wird, die offenbar unaufgefordert verschickt worden sind. Ist nur eine einzelne unerwünschte E-Mail Gegenstand des Verfahrens, so sollte der Streitwert dem Gegenwert der Arbeitszeit entsprechen, die benötigt wird, um die fragliche E-Mail querzulesen, sich über den Absender zu informieren, und vom Absender die Streichung aus dem Verteiler zu verlangen. Das entspricht dann einem Streitwert von ein paar Euro, was wegen der daraus folgenden niedrigen Gebühren sicher den beteiligten Anwälten die Lust am Klagen gegen die Website-Betreiber nimmt.

    Sind hingegen Tausende oder gar Millionen von unerwünschten E-Mails versendet worden, sind entsprechend hohe Streitwerte festzusetzen. Dabei sollte notfalls auch auf statistische Verfahren zurückgegriffen werden, um die Zahl der Empfänger abzuschätzen.

    Die entsprechenden Streitwert-Regelungen ergeben sich eigentlich unmittelbar aus der Zivilprozess-Ordnung. Dennoch verwundert es, dass teilweise deutlich höhere Werte von den Gerichten festgesetzt werden.

  • Wer einen Dienst im Web bereit stellt, von dem sich aus E-Mails versenden lassen, sollte bei vernünftiger Gestaltung des Dienstes für vereinzelten Missbrauch durch unbekannte Dritte nicht zur Rechenschaft gezogen werden können. Kommt es zu regelmäßigem Missbrauch, so ist er dafür verantwortlich, den Dienst geeignet umzugestalten, um den Missbrauch zu verhindern oder zumindest einzudämmen. Unterlässt er diese Umgestaltung, ist er voll verantwortlich für die Folgen.

    Diese Regelung ergibt sich in Analogie aus dem Teledienstegesetz. Dieses ist leider nicht direkt anwendbar, da bei per Web-Formular versendeten E-Mails eine Mischung von eigenen Inhalten des Diensteanbieters und fremden Informationen (nämlich die, die in das Web-Formular eingegeben wurden, wie die Empfänger-E-Mail-Adresse) vorliegt.

Selbstschutz

Website-Betreibern kann man hingegen zweierlei raten: Zum einen sollten sie die E-Mail-Adressen von bekannten "Abmahnanwälten" auf eine Blacklist setzen. Kommt doch eine Abmahnung wegen einer E-Mail-Adresse, die man vergessen hat, sollte man die Blacklist entsprechend erweitern. Hat man sichergestellt, dass die Blacklist funktioniert, sollte man eine - möglichst spezifisch formulierte und nicht mit einer übermäßigen Strafe versehene - Unterlassungserklärung abgeben. Der eigentlichen Abmahnung wird damit der Wind aus den Segeln genommen.

Dem klagenden Anwalt bleibt zwar die Möglichkeit, seine Abmahnkosten vor Gericht geltend zu machen. Das entsprechende Verfahren kostet aber deutlich weniger als der Streit über die eigentliche Abmahnung, weil nicht die hohen virtuellen Streitwerte der Abmahnung für die Kostenberechnung zugrunde gelegt werden, sondern nur die vom Anwalt in der Abmahnung geltend gemachten Abmahnkosten von typischerweise 500 bis 1000 Euro. Vor allem aber dürfte es einem "einsichtigen" Website-Betreiber, der die Unterlassungserklärung abgegeben hat, deutlich einfacher sein, einen Richter von der Unangemessenheit des ursprünglichen Streitwertansatzes zu überzeugen, als einem "uneinsichtigen" Website-Betreiber, der die Unterlassungserklärung nicht abgeben will, und sich in der Hauptsache dagegen verteidigt.