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Editorial: Ortsnetz-Besonderheiten

Oder: Wie sorgt man für nachhaltige Investitionen?
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Vergleicht man die Aussagen von Politikern, Wirtschaftsverbänden oder Unternehmen zum Thema "Wettbewerb in der Telekommunikation", herrscht seltene Einstimmigkeit: "Ja, wir brauchen mehr Wettbewerb" hört man allerorten. Gäbe es nicht die Deutsche Telekom, die aus nachvollziehbaren Gründen dagegen ist, Marktanteile zu verlieren, hätten wir bei der Wettbewerbsfrage schon fast sozialistische Einmütigkeit.

Doch Vorsicht ist angebracht. Unter "Wettbewerb" verstehen verschiedene Marktteilnehmer ganz verschiedene Sachen. Und so taucht immer wieder der Streit auf, ob "Call by Call" schon "echter Wettbewerb" sei, oder nicht nur einfaches "Re-Selling" von Telekom-Leistungen, das keine Arbeitsplätze schafft und auch sonst nicht viel bringt. Dann wird von "Infrastruktur" geredet, die von den regionalen Telcos "aufgebaut" werde, was den Telekommunikations-Standort Deutschland verbessere.

Bei solchen Argumenten ist immer Vorsicht angebracht. Ist der "Infrastrukturwettbewerb" wirklich besser als "Call by Call"? Oder dient das Argument mit dem "Infrastrukturwettbewerb" nur dazu, den sehr erfolgreichen Call-by-Call-Wettbewerb zu erschlagen? Ein Politiker, der keinen Wettbewerb will, um bestehende Privilegien und Arbeitsplätze zu schützen, wird das nie offen zugeben. Aber er wird versuchen, Wettbewerb dorthin abzudrängen, wo er nicht oder nur ineffizient stattfinden kann. Letzteres ist die Folge der jüngsten Entscheidung der Regulierungsbehörde - zumindest zur Nebenzeit im Ortsnetz.

Betrachten wir das ganze von der technischen Seite: Um Call by Call im Ortsnetz anbieten zu dürfen, müssen die Firmen eine große Menge an Infrastruktur aufbauen. Denn nur dann, wenn die Zuführung der Gespräche "ortsnah" erfolgt, hat die Regulierungsbehörde die Telekom verpflichtet, die entsprechenden Verbindungen weiterzuleiten. Die Folge ist, dass derzeit nur drei Anbieter Call by Call im Ortsnetz mit einer guten Abdeckung anbieten können - siehe auch unsere Umfrage zur Verfügbarkeit. Das heißt aber: Die aktuelle Gesetzeslage motiviert Call-by-Call-Anbieter bereits dazu, eine bundesweit flächendecke Infrastruktur aufzubauen, die bis zu 500 Vermittlungsstellen der Deutschen Telekom direkt anbindet.

Was bauen die City-Carrier nun zusätzlich auf, was diese in der politischen Diskussion so "wertvoll" macht? Nun, nicht viel. Denn die wenigsten City-Carrier ziehen eigene Leitungen bis zum privaten Endkunden. Vielmehr binden sie die Vermittlungsstellen der Telekom in ihrem Einzugsbereich an. Unterschiede gibt es aber bei der Verkabelung zwischen dem jeweiligen Anbieter und der Telekom: Bei Call by Call werden Leitungen geschaltet, die jeweils mindestens 30 Gespräche führen (sogenannte "Primärmultiplexer" oder "E1er"). Beim Verfahren der Übernahme des Vollanschlusses wird hingegen für jeden Teilnehmer ein eigenes Kabel zwischen der Telekom und dem City-Carrier gezogen. Das erinnert von der Effizienz her irgendwie an das uralte "Fräulein vom Amt", mit dem Ergebnis, dass dauerhafte Verbindungen zu den Vermittlungseinrichtungen und DSL-Ports der Konkurrenten geschaffen werden, nicht nur temporäre.

Der City-Carrier, der Telefonie und ADSL für Privatkunden anbietet, baut also "seine" Infrastruktur im wesentlichen in den Vermittlungseinrichtungen der Telekom auf, indem er dort Kolokationsfläche anmietet. Dort baut er dann Technik auf, die von der Funktionalität her (teilweise auch von den Herstellern her) ähnlich oder identisch mit der Technik der Deutschen Telekom ist.

Beide - sowohl City-Carrier als auch Call-by-Call-Anbieter - sind für den Erfolg ihres Produktes wesentlich auf ein Vorprodukt der Deutschen Telekom angewiesen. Mit der Verfügbarkeit dieses Vorproduktes zu einem vernünftigen Preis steht und fällt die gesamte Kalkulation. Soweit es darum geht, die einzelnen Vermittlungsstellen der Telekom an das eigene Netz anzubinden, werden Call-by-Call-Anbieter wie City-Carrier entweder eigene Glasfaserkapazitäten aufbauen, Kapazitäten der Deutschen Telekom anmieten, oder Kapazitäten von Drittanbietern erwerben oder anmieten, je nachdem, was am Schluss am günstigsten ist.

Wer Call by Call als reines "Re-Selling" von Telefonminuten beschimpft, muss sich fragen lassen, warum nicht die Übernahme von Telefonaschlüssen ebenfalls reines "Re-Selling" von Telekom-Anschlüssen ist. Wenn nun eine Variante des Re-Sellings effizienter ist, als die andere, sollte man auch nicht traurig sein, wenn eine von beiden scheitert.

Echten Infrastrukturwettbewerb haben wir erst dann, wenn City-Carrier ihre eigene Technik bis zum Endkunden aufbauen. Das mögen eigene Kupfer- oder Glasfaserkapazitäten sein, Powerline übers Stromkabel, Datenübertragungen übers Fernsehkabel oder Funkverbindungen (WLL). Auch dann, wenn die Teilnehmeranschlussleitungen (TAL) gemietet wird, gibt es innovative Produkte. Als Beispiel sei SDSL für Geschäftskunden von QSC und einigen City-Carriern genannt. Hier zog die Deutsche Telekom erst Jahre später mit einem vergleichbaren Angebot nach.

Es sollte möglichst auch reines "Re-Selling" der TAL zugelassen werden, indem die Basismiete derselben für Wiederverkäufer günstiger ist, als ein Analoganschluss der Deutschen Telekom für Privatkunden. Denn je mehr Anbieter die TAL mieten, desto mehr innovative Ideen werden diese mit der Zeit haben. Man sollte dann aber nicht auf die Idee verfallen, dass "TAL-basiertes Re-Selling" an sich besser oder schlechter ist, als "minutenbasiertes Re-Selling". In beiden Fällen wird es immer Discounter geben, die das Vorprodukt der Deutschen Telekom preisoptimiert an Endkunden weiterverkaufen. Wenn die TAL günstiger wird, und die IC-Entgelte weiter steigen, dann wird 01051 eben Vollanschlüsse verkaufen. Nur viel mehr Mitarbeiter wird die Firma deswegen trotzdem nicht einstellen. Und City-Carriern mit einem behördenartigem "Wasserkopf" wird der Discounter weiterhin stark zusetzen.