Wachstum wohin?

Fünf Thesen zur Entwicklung des Mobilfunkmarkts

Kommt UMTS zu spät, könnten Festnetzanbieter die Verlierer sein
Von Marie-Anne Winter

In Deutschland gibt es derzeit 55 Millionen Handy-Nutzer. Bis Ende dieses Jahres werden es Marktexperten zufolge 57 Millionen sein. Dies entspricht gegenüber den 48 Millionen des vergangenen Jahres einer Steigerung um knapp 19 Prozent und einer Marktdurchdringung von nahezu 70 Prozent. Kaum überraschend wächst auch der Umsatz der Mobilfunkbranche. Beliefen sich die Erlöse im Vorjahr auf 34 Milliarden Mark, so werden sie bis Ende 2001 auf 41 Milliarden Mark zulegen - ein Plus von fast 21 Prozent. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an die nächste Mobilfunkgeneration. Längst steht jedoch fest, dass bis zum breiten Markterfolg von UMTS noch einige Jahre vergehen werden. Nach wie vor aber verspricht der Breitbandmobilfunk langfristig ein enormes Potenzial mit nachhaltigen Auswirkungen auf Wirtschafts- und Sozialleben. Dies auszuschöpfen bringt für die deutsche Mobilfunkbranche grundlegende Veränderungen mit sich. Mercer Management Consulting hat die Zukunft des deutschen Mobilfunkmarktes untersucht und fünf Kernthesen identifiziert, die die Marktteilnehmer vor große Herausforderungen stellen werden. Die Unternehmensberater von Mercer definieren fünf Kernthesen zur Entwicklung des deutschen Mobilfunkmarktes:

  • Der Druck auf das Festnetz wächst.
  • Die Inhalte sind nur mittelfristig Schlüsselelement der Kundenbindung.
  • Die Marktmacht der Endgerätehersteller schwindet.
  • Mobile Virtual Network Operators bleiben eine Randerscheinung.
  • Wireless LAN muss nicht zwangsläufig mit UMTS konkurrieren.
Die Thesen im Einzelnen:

Was Marktexperten noch vor zehn Jahren nicht vorherzusagen gewagt hätten, trat zum vergangenen Jahreswechsel ein: Erstmals übertrafen die Mobilfunkverträge in Deutschland die Festnetzanschlüsse. Aber Marktforscher und Branche sind sehr verschiedener Meinung darüber, wann sich UMTS als Massenmedium im Markt etabliert haben wird. Machten anfänglich Expertenschätzungen von 2003/2004 die Runde, die anschließend schnell auf 2005/2006 revidiert wurden, so spricht die Branche heute vom Jahr 2008. "Durch die hohe Zahl an Einflussfaktoren mutiert jede Prognose zwangsläufig zur Glaskugelseherei", konstatiert Alexander Mogg, Partner bei Mercer Management Consulting. "Tatsache aber ist, dass sich der UMTS-Erfolg später einstellen wird als ursprünglich angenommen."

Dabei ist aber nicht nur für die Mobilfunknetzbetreiber wegen des hohen Finanzdruckes ein schneller Breitenerfolg von UMTS von zentraler Bedeutung. "Je länger UMTS auf sich warten lässt, desto größer wird auch der Druck auf das Festnetz werden", ist Martin Gauer, Partner bei Mercer Management Consulting, überzeugt. Vor allem die kapitalschwachen Netzbetreiber werden in der Zwischenzeit rasch Umsatz generieren müssen. "Jeder Cent wird zählen", so Gauer. "Und als einzig schnell erreichbare Umsatzquelle bleibt die Sprachtelefonie." Und das es genau dort zur Zeit nicht weniger schwierig ist, dokumentieren die Pleiten kleinerer Festnetz-Anbieter in der letzten Zeit. Trotzdem gilt die Sprache mit einem Anteil von über 60 Prozent auch im Jahr 2005 als der Umsatzbringer im Mobilfunk schlechthin. "Deshalb werden unter Druck stehende Netzbetreiber versucht sein, sich durch massive Preissenkungen und explizite Annäherung an Festnetzpreise ein Stück vom 25-Milliarden-Euro-Kuchen des Festnetzsprachverkehrs zu sichern." Nur ein rascher UMTS-Markterfolg wird verhindern, dass übermäßig Sprachvolumen in mobile Netze abwandert und die Festnetzbetreiber unter Zugzwang geraten. "Etabliert sich UMTS erst sehr spät, könnte das Festnetz einer der größten Verlierer der 3. Mobilfunkgeneration sein", betont Gauer.

Was den Content als Umsatzbringer angeht, sieht Mercer Mobile Portale und ihre Inhalte künftig als sehr wichtig an, um den Konsumenten von den UMTS-Vorteilen zu überzeugen und ihn an ein Netz zu binden. Mercer erwartet, dass die Netzbetreiber die Chance nutzen werden, durch Inhalte den Kunden zu binden und zusätzliche Umsätze zu generieren. Dabei ist Vorsicht geboten. "Sowohl der Aufbau eines eigenen Content-Geschäfts als auch Kooperationen mit erfahrenen Partnern sind riskant und erfordern hohe Investitionen", warnt Mercer-Mobilfunkexperte Alexander Mogg. "Denn die nötigen Kompetenzen zur Generierung von Inhalten, ihrer Aufbereitung und Verwaltung weicht fundamental vom Kerngeschäft ab."

Den Netzbetreibern bleiben nach Ansicht von Mogg nur zwei Wege, langfristig an Inhalten zu verdienen: "Entweder sie fördern Anbieter und Geschäftsmodelle mit volumenintensiven, verkehrsgenerierenden Inhalten, um die Netzauslastung zu forcieren, oder sie entwickeln und vermarkten netznahe Dienstleistungen (wie z.B. Authentisierung des Kunden), um Inhalte auf den Netzen zu ermöglichen und über den so erbrachten Mehrwert am Inhalt zu verdienen."

Zur dritten These, dass die Marktmacht der Endgerätehersteller schwände, bemerkt Mercer, dass die mangelhafte Verfügbarkeit von Endgeräten zuletzt das Wachstum des Mobilfunkmarktes hemmte. Im Vergleich zu GSM aber misst Mercer dem Endgeräteproblem bei UMTS eine wesentlich geringere Bedeutung bei. "Es wird erheblich mehr Endgerätehersteller geben", ist sich Mercer-Mobilfunkspezialist Martin Gauer sicher. "UMTS wird eine Vielzahl von unterschiedlichen Endgerätetypen hervorbringen, deren Hersteller nicht nur aus dem Mobilfunkmarkt, sondern auch dem PC-, Spielkonsolen- und Unterhaltungselektronikmarkt kommen." Gleichwohl wird die Polarisierung des Endgerätemarktes in Lowtech- und Hightech-Endgeräte weiter zunehmen. "Bei UMTS wird sich der Kunde daran gewöhnen, mehrere mobile Endgeräte zu nutzen - je nach Kommunikationssituation", konstatiert Gauer. Ob sich die Kunden wirklich damit abfinden wollen, mehrere mobile Geräte zu benutzen, bleibt abzuwarten, denn ein Versprechen der UMTS-Visionäre war schließlich, dass man künftig mit dem Handy auch fernsehen oder einfache Office-Anwendungen erledigen kann. Aber Menschen vergessen bekanntlich schnell...

Das seit einigen Jahren in der Mobilfunkszene diskutierte Geschäftsmodell der Mobile Virtual Network Operators (MVNOs), das es auch ohne Erwerb einer Mobilfunklizenz ermöglicht, mit den lizenzierten Netzbetreibern in Wettbewerb zu treten, bekommt in Bezug auf UMTS neue Konturen. Mögliche MVNOs, wie etwa Automobilhersteller mit einer großen Kundenbasis, sollen Netzbetreibern bei der Erweiterung ihrer Kundenbasis helfen. Einen solchen Ansatz aber bewertet Mercer als wenig erfolgversprechend. Zum einen nähert sich die Mobilfunkpenetration der Sättigungsgrenze, so dass Kunden von potenziellen MVNOs bereits auch Kunden der heutigen Mobilfunkbetreiber sind und sich somit nur über Verdrängungswettbewerb abwerben lassen.

Und schließlich wird immer wieder über die Konkurrenz zwischen der Wireless LAN-Technologie und UMTS geredet. In den USA wurden bereits Hunderte von Hot-Spots, wie Hotels und Flughäfen, mit der drahtlosen Zugangstechnologie für Breitbandanwendungen ausgerüstet. Diese Funktechnik reicht bis maximal 150 Meter und weist das Fünffache der UMTS-Übertragungsrate auf. Darüber hinaus können Wireless LANs zu erheblich geringeren Kosten errichtet und betrieben werden. Allerdings sind sie im Gegensatz zu Mobilfunksystemen auf stationäre Anwendungen ausgelegt und verfügen derzeit noch über unzureichende Verschlüsselungsmechanismen.

In Europa befinden sich Public Wireless LANs noch im Versuchsstadium. Ob sie tatsächlich zu einer Wettbewerbstechnologie von UMTS werden, sich zu einer Komplementärtechnologie entwickeln oder lediglich eine Nischentechnologie werden, ist noch ungewiss. Tatenlos bleiben sollten die UMTS-Betreiber jedenfalls nicht. Aus Sicht von Mercer stehen ihnen drei Strategien zur Verfügung. So können sie die weitere Entwicklung beobachten und bei neuen Erkenntnissen oder Marktsituationen über das weitere Vorgehen entscheiden. Denkbar sind auch Pilotprojekte in Zusammenarbeit mit Infrastrukturherstellern oder Hot-Spot-Eignern. Ausloten lassen sich zudem regulatorische Gegenmaßnahmen. So könnten Frequenzgebühren auf kommerzielle Public Wireless LAN-Anwendungen gefordert werden.